Samstag, 3. Januar 2009

Der Corolla und ich beim Einhüten

Willkommen in 2009, liebe Leser! Nun dauert es nur noch drei Monate, dann wird Septentryo ein Jahr alt (für seine Spezies ein durchaus respektables Alter) und Sie sind immer noch dabei oder neu hinzugekommen, wie schön.
In diesem ersten Eintrag des neuen Jahres gibt es ein Wiedersehen mit einem alten Bekannten: dem Corolla. Ohne den käme ich nämlich gar nicht da hin, wo ich mich gerade zum zweiten Mal aufhalte. Es handelt sich um einen Jahrhunderte alten Bauernhof mitten in der Lüneburger Heide. Und gestern auf dem Hinweg hätten uns der Corolla und ich, da nun der wahre Winter eingebrochen ist, fast mächtig auf die Schnauze gelegt. Das Anwesen, das ich die Freude habe zu hüten, liegt nämlich sowas von außerhalb, dass die sogenannte Dorfstraße bei Schnee ihrem einsamen Schicksal überlassen ist; nur ganz selten fährt ein Auto darüber und macht den Schnee ein wenig fest, so dass er schön rutschig wird. Wie ich also so mit dem treuen Corolla von der letzten Bastion der fahrenden Zivilisation auf besagte Dorfstraße einbiege, es hatte schon zu schneien begonnen, merke ich plötzlich sehr deutlich, dass der Corolla wohl vieles drauf hat, nur keine Winterreifen. Wir schlingern ein paar bedrohliche Meter, ich rufe "hooo, Corolla, Vorsicht!!", und er kann sich gerade noch fangen. Im absoluten Schritttempo erreiche ich klopfenden Herzens den rettenden Hof und stelle den Corolla unters schützende Dach; der schüttelt sich erst mal. Das war gestern Abend. Seitdem hat es fortwährend geschneit, und wenn es bis morgen so weiter schneit, werden der Corolla und ich wohl bis zur Schneeschmelze hier bleiben müssen, denn so kommen wir hier nicht weg.
Derweil hüte ich also Haus, Hund (aber der hütet auch ein bisschen mich und das Haus mit) und zwei Pferde. Allerdings, das war meine erste Lektion, heißt das hier "einhüten". Ich hüte ein. Und die zweite Lektion war: oben nur Pipi. Im Obergeschoss, wo ich schlafe, ist nämlich das Abwassersystem nicht mehr ganz auf der Höhe und bei festeren Dingen als Pipi verstopft es. Man muss sich also vor jedem Toilettengang immer gut überlegen, muss ich jetzt Pipi oder Aa? Man wird aber auch noch mal dran erinnert, wenn man oben auf dem Klo sitzt, denn dann hängt in Augenhöhe am Waschbecken ein Schild mit der Warnung: "Hier nur Pipi!" Gottlob ist mir bisher auch kein Missgeschick in der Richtung passiert. Nur auf der Treppe bin ich heute Morgen ausgerutscht, wobei sich mein rechter Fuß sehr schmerzhaft nach hinten bog. Und ich dachte, bitte keine ernsthafte Verletzung, sonst lieg ich hier bis zur Schneeschmelze, wenn der Hund sich nicht was zu meiner Rettung einfallen lässt. Aber meine Füße sind inzwischen Karate-geübt, nix passiert.
Überhaupt fühle ich mich hier, in diesem riesigen Haus mitten auf dem Land, umgeben nur von zwei anderen Höfen, Stallungen, Feld und Wald, allein mit einem Hund und zwei Pferden (die sich im Ernstfall nicht groß um mich scheren würden), so sicher und geborgen wie selten. Dabei gruselt es mich eigentlich schnell. Gestern Nacht aber bin ich noch spät mit dem Hund im Schnee spazieren gegangen, und seltsamerweise hatte ich keine Angst. Gut, ich war schon froh, den Hund dabei zu haben, aber ich befürchtete nicht wie sonst häufig, irgendwelche nachtaktiven Fabelwesen könnten mir hinter einem Busch auflauern. Und der Landstreicher ist auch schon länger ausgestorben, glaube ich. Es fällt einfach schwer, sich etwas vorzustellen, das den Frieden dieses Idylls trüben könnte. Derart ergreift es wohl die meisten von uns Städtern, wenn wir nach längerer Zeit einmal wieder aufs Land flüchten: Es entspannt unsere Sinne, berührt unsere Seele und erfüllt uns mit Frieden.
Mit der Zeit wird man dann wohl wieder etwas geerdeter, so wie der Postmann hier, für den die ganze Herrlichkeit ja nun wirklich nichts Neues ist. An meinem ersten Hütetag öffnete ich ihm freudestrahlend die Tür, weil ich dachte, auf dem Land muss man sich immer gut mit den Briefträgern unterhalten, die bringen ja auch die Neuigkeiten, neben der Post. Ich also voller Stolz und in Erwartung eines anregenden Plausches zu ihm: "Morgen, ich hüte hier das Haus!" (Da wusste ich noch nicht, dass es hier "einhüten" heißt.) "Schön für Sie", entgegnet er nur, gibt mir die Post und ist auch schon wieder weg. Und ich geplättet. Meine Sozialisierung mit der Landbevölkerung befindet sich durchaus noch im Werdeprozess, dachte ich. Natürlich muss ich auch noch lernen, wer von den Nachbarn mit wem kann und wer nicht. Ist ja auch immer so ne Sache hier draußen. Na, macht nichts. Bis ich mich mit den Menschen arrangiert habe, rede ich eben mehr mit den Tieren und genieße das Schweigen der Landschaft.

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