Montag, 8. Dezember 2008

Plädoyer fürs Bösesein

Zwei Grundannahmen seien diesem Eintrag vorausgeschickt: Erstens. Ich bin immer zu nett. Zweitens. Man sollte sich auf seine Intuition verlassen und ihr entsprechend handeln. Erstens wird im weiteren Verlauf hinreichend erklärt, zu Zweitens: Ich hatte so eine Ahnung, noch bevor ich die Entscheidung entgegen meiner Ahnung traf. Letzte Woche stand ich in einem Geschäft und hatte eine Mütze und einen Schal in der Hand, beide etwas teurer als meine übliche Preisklasse bei derlei Kleidungsstücken (der regelmäßige Leser dieses Blogs muss den Eindruck gewinnen, ich verbrächte den Großteil meiner Freizeit mit Shopping. Der Eindruck trügt). Ich dachte: Vielleicht solltest du besser nicht so viel Geld für eine Mütze und einen Schal ausgeben, du verlierst sowas doch immer schnell. Dann dachte ich aber daran, dass ich mir doch versprochen hatte, nicht mehr die Billigtextilketten zu unterstützen und beim Kleiderkauf mehr auf Qualität zu achten. Auf der Mütze stand sogar made in Germany, wo gibt’s das schon noch? Gebongt also, heißt gekauft. Die Mütze war braun und flauschig mit einem schönen dicken Bommel dran und der Schal war schwarz und flauschig und schlicht. Glücklich wärmte ich dann Hals und Kopf in Qualität. Was hat das mit nett und böse zu tun, mag der geneigte Leser denken. Kommt alles, kommt sofort.
In meinem Kölner Patchworkhaushalt, den ich nur noch sehr sporadisch bewohne, leben zwei junge Männer, eine erwachsene Katze und ein jugendlicher Kater. Letzterer hat dort einen Freifahrtschein für so ziemlich alle Ungezogenheiten, ihm fehlt die strenge mütterliche Hand. Und alles, was sich auch nur im Entferntesten bewegt, ist ihm Spielzeug und Jagdbeute. Ich rege mich oft ganz schön über ihn auf, vor allem wenn er wieder respektlos gegenüber der erwachsenen Katze ist, doch leider kann ich ihm, ähnlich wie den meisten Menschen, nie sonderlich lange böse sein. Denn wenn er dann kommt mit seinen goldenen Augen und sich schnurrend und völlig scham- und distanzlos in meine Halsbeuge schmiegt, wo er sogleich einschläft, ist es schnell um meine Strenge geschehen und ich bin zutiefst gerührt.
Auch gestern Nacht waren der Kleine und ich wieder sehr intim miteinander; die meiste Zeit lag sein Kopf in meiner Hand. Ohne Zweifel und zugegeben verschaffte mir das doch einige nächtliche Seligkeit. Ein hartes Herz, das da nicht weich würde. Hätte ich aber gewusst, dass er sich auf diese Weise nur Ablass für seine nächtlichen Sünden erschmeicheln wollte, hätte ich ihm was anderes erzählt. Das böse Erwachen kam mit dem Weckerklingeln um acht Uhr: Auf der Suche nach Kaffee betrat ich die Küche, wo ich am Abend zuvor Mütze und Schal über einen Stuhl gehängt hatte (warum eigentlich nicht an die Graderobe im Flur, frage ich mich jetzt). Aber wehe, wehe: Die Mütze lag auf dem Boden, der Bommel in Fetzen umher verstreut. Nur ein kümmerliches Restbüschelchen war davon an der Mütze hängen geblieben und klammerte sich ängstlich mit letzter Kraft fest. Von Bommel konnte keine Rede mehr sein. Ja, und der Schal war – weg. Ja: weg. Ich schwöre. Einfach nicht mehr aufzufinden. Ich schaute sogar ins Katzenklo (hätte ihn auch dann noch benutzt, wenn er da drin gewesen wäre), aber das Mistvieh hatte ihn einfach versteckt, und zwar richtig gut, wie Kinder das oft können oder Eichhörnchen. Und ich musste natürlich zum Zug und hatte keine rechte Zeit zum Suchen. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Mit einem markerschütternden „LUUUMP!!!“ (so heißt er tatsächlich, nur mit einem i hinten dran, damit er auch einen Namen hat, wenn er brav ist) machte ich meinem Ärger Luft. Aber da der Schuft natürlich Lunte gerochen hatte und nicht kam, um mir Rede und Antwort zu stehen, lief ich hinter ihm her und schrie ihn an: „WO HAST DU MEINEN SCHAL HINGETAN UND WAS HAST DU MIT MEINEM BOMMEL GEMACHT, DU ARSCHLOCH?!“ Und ich sagte ihm auch, was die Mütze gekostet hatte und dass ich jetzt verdammt noch mal einen Schal bräuchte draußen, es sei nämlich Winter. Am liebsten hätte ich ihm eine reingehauen. Oha, wird nun der eine oder andere Leser denken, da ist eine, die traut sich nicht, Menschen die Meinung zu sagen und lässt ihre Wut dann an einem wehrlosen Tier aus. Und sie ist ja eh selber schuld, warum hängt sie ihre Klamotten auch nicht an die Garderobe, wo der Kleine nicht dran kann; so ist das eben, wenn man Kinder hat. Überhaupt, so eine schlägt bestimmt auch Menschenkinder. Und ich sage: Richtig, ich würde mich in kaum einem Fall trauen, einen Menschen allen Ernstes Arschloch zu nennen, und warum kaufe ich mir auch teure Sachen und hänge sie dann nicht an die Garderobe, wo der Kleine nicht dran kann. Aber: Erstens werden Haustiere in unseren Breiten im Allgemeinen viel zu sehr verhätschelt. Neulich in Mali machten sich ein paar Kinder noch einen Spaß daraus, einen kranken Esel halb tot zu prügeln, so kann’s auch laufen. Und zweitens habe ich dem Lump ja gar keine reingehauen, und er hat mir nicht gesagt, wo er den Schal versteckt hat und meinen Mützenbommel auf ewig verstümmelt, und jemanden, der so was macht, möchte ich verdammt noch mal Arschloch nennen dürfen. Ich kann das sogar empfehlen als Selbsttherapie für Konfliktscheue: Wenn Sie Schwierigkeiten haben, Menschen die Meinung zu sagen, schaffen Sie sich eine pubertierende Katze an. Die wird Ihnen oft genug Anlass geben, sie als Arschloch (oder Vergleichbares) zu beschimpfen, und mit großer Wahrscheinlichkeit (eine Restmöglichkeit möchte ich nicht ausschließen) wird sie den Wortsinn Ihrer Beschimpfungen nicht verstehen. Und wenn doch, wird sie Sie vielleicht ihrerseits in Katzensprache beschimpfen, was Sie wiederum, und da bin ich mir sehr sicher, nicht verstehen werden. Man muss nicht immer nett zu allen sein.

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