Mittwoch, 18. Juni 2008

Schön beim Augenarzt

Mein Augenlicht schwindet zunehmend. Und es ist noch lange keine Altersweitsichtigkeit, sondern Maturitätshornhautverkrümmung. Das ist insofern ziemlich blöd, als ich einfach nicht so gut sehe wie manche Menschen und ständig Sehhilfen tragen muss. Es hat mir aber andererseits einen wunderbaren Besuch bei Frau Hoppe beschert.
Frau Hoppe ist Augenärztin, und ich bin zu ihr gegangen, weil meine Augen wieder schlechter geworden sind. Ihre Praxis liegt, von außen nicht erkennbar, in einem schönen Gründerzeithaus im Hamburger Univiertel. Kein Schild weist draußen darauf hin, dass Frau Hoppe hier Augen untersucht, nur an der Klingel ist ein ganz kleiner verwaschener Pfeil angemalt. Die Tür und die Dielen knarren, wenn man eintritt. Ganz links in einem versteckten Räumchen sitzt eine grauhaarige Frau mit Haaren auf den Zähnen, das ist die Sprechstundenhilfe, die einzige. Während sie meine Personalien aufnimmt, betrachte ich die uralten augenmedizinischen Geräte, die aus wer weiß welcher Universitätssammlung geklaut und hier aufgestellt wurden. Vieles davon ist sicher über hundert Jahre alt. Im Wartezimmer sitzt außer mir nur ein älteres Ehepaar, auf dem Tisch liegen Fotozeitschriften, englische Kinderbücher aus den sechziger Jahren, Comics. Und an den Wänden das Beste: wunderschöne, professionell gemachte Bilder von Venedig und Griechenland. Auch eine überlebensgroße Tigerkatze; ich könnte schwören, die ist Griechin. Unter einem Stuhl an der Wand gegenüber steht ein ganz kleines, ganz altes Radio, das Klassik spielt. Ich finde es gleich klasse hier. Da werde ich auch schon aufgerufen und muss in einen kleinen Nebenraum, wo schon eine Frau steht, die auf einen Stuhl weist. Ich will ihr die Hand schütteln, vielleicht ist das schon Frau Hoppe, aber sie nimmt meine Hand nicht, sondern sagt: "Nein, ich bin's noch, von eben." Ach ja, die grauhaarige Frau mit Haaren auf den Zähnen. Sie will nur meine Krümmung messen. Ach so, denke ich, nee, dann wärs ja auch idiotisch, wenn wir uns hier die Hand schütteln würden. Fühle mich gleich furchtbar unprofessionell.
Dann gehts wieder zurück ins Wartezimmer, ich höre noch ein bisschen Klassik und gucke Venedig, und schon bald darf ich zur richtigen Frau Hoppe. Die ist so, wie man sein will als Frau um die Fünfzig: schlicht, dabei nicht unattraktiv, sehr gelassen, mit einer Spur trockenen Humors in vielem, was sie sagt. Ihre Guckmaschine macht sie nicht sauber, bevor ich meine Stirn dran lege; okay, denke ich, mischt sich eben mein Schweiß mit dem anderer. Sie guckt und probiert durch, wie das so ist mit meinem Sehvermögen. Als wir die richtige Stärke gefunden haben, gibt sie mir einen Auszug aus einem Buch, ich schätze, ein deutscher Spätromantiker, und bittet mich, laut vorzulesen. Das kann ich gut, ich fühle mich wie bei der Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule und lese ganz toll vor, aber bald schon nimmt Frau Hoppe mir meinen Text weg und sagt: "Prima, Sie kommen ja trotz ihrer starken Hornhautverkrümmung auf hundert Prozent!" Das finde ich zwar schön, aber ich hätte auch gern noch ein bisschen weiter vorgelesen. Dann fragt sie mich, ob ich denn wirklich eine neue Stärke wolle oder ob mir das nicht eigentlich egal sei. Komisch, denke ich, deshalb bin ich doch hier und dafür sind Sie doch da, um mir eine neue Stärke zu geben. Ich sage, dass ich das schon schön fände mit der neuen Stärke, weil ich ja beim Autofahren die Schilder immer erst so spät lesen kann und beim Arbeiten oft meine Augen brennen. "Gut, dann schreib ich's Ihnen auf." Das ist nett, denke ich und finde, es ist an der Zeit, dass wir jetzt mal richtig ins Gespräch kommen. Ich frage sie, ob sie die Bilder gemacht hat. Hat sie und freut sich, dass sie mir gefallen. Prima, dann können wir uns ja jetzt richtig schön über Venedig unterhalten, denn mir scheint, wir haben da eine gemeinsame Leidenschaft, Frau Hoppe! Aber irgendwie kommt das Gespräch nicht so richtig ins Rollen, Frau Hoppe wirkt nicht so, als sei sie zum Plausch mit mir verabredet. Irgendwie ist sie eher dabei, mich zu verabschieden. Aberaber, Frau Hoppe, wir müssen uns doch unterhalten, denke ich verzweifelt, ich finde Sie doch so toll und wir haben so viel gemeinsam, ich bin Ihre Reinkarnation, Frau Hoppe, ich liebe Sie, wir sind seelenverwandt, und es interessiert Sie einen Scheißdreck?! Aber Frau Hoppe bleibt hart, unerbittlich weist sie mir den Weg zur Tür. Im Hinausgehen werfe ich ihr einen schmachtenden Blick und ein verzweifelt-hoffnungsvolles "Ich komme wieder!" zu, um dann wie im Rausch aus dem Haus zu stürmen. Gott, war das schön, denke ich auf der Straße. Ich werde einen Grund finden, wieder zu ihr zu gehen, das weiß ich. Und wenn sie mich wieder wegschickt, werde ich mich einfach unter ihren Balkon stellen und so viele Schwalben, gefaltet aus Werken venezianischer Maler, zu ihr hochschicken, bis sie mich einfach lieben muss.

Montag, 9. Juni 2008

Wut am schwarzen Montagmorgen

Mein Gott, hat das lange gedauert mit dem neuen Eintrag. Ich hoffe, ihr seid noch alle da. Könnte verstehen, wenn nicht. Irgendwann verliert man ja doch die Lust. Für die, die noch dabei sind, hier nun, Entschuldigung im Voraus, ein Eintrag mit ziemlich viel negativer Emotion. Und dabei geht es noch nicht mal um Fäkalien.
Es ist nun einmal so: Ein Kind, das müde ist, bekommt schlechte Laune und fängt irgendwann an zu weinen. Der Erwachsene fängt nicht so schnell an zu weinen, aber er bekommt auch nicht selten schlechte Laune, wenn er müde ist, und er tut etwas, was noch viel schlimmer ist als Weinen: Er sucht einen Schuldigen, oder etwas Schuldiges, für seinen Unmut. Da viele Erwachsene montags besonders müde sind (denn sie sind, bis auf die eingefleischten Lerchen, nach dem Wochenende aus ihrem Wochenschlafrhythmus heraus), heißt der Montag im Volksmund (der auch nicht immer Gold in sich hat) oft blauer Montag. Da hat man den Blues. Man hat das Gefühl, alles gehe schief, da man zu unausgeschlafen ist, um die Dinge in ihre rechte Bahn zu bringen. Und immerhin macht man, statt sich an ethnischen Minderheiten zu vergreifen, etwas dafür verantwortlich, das sich faktisch nicht greifen lässt und dem also niemand Schmerz zufügen kann: Man schiebt es auf den Wochentag, diesen miesen, kleinen Scheißer.
Mir kam allerdings der heutige Montag viel mehr schwarz als blau vor, rabenschwarz fing er an. Fuckin' shitty black monday, unfortunately without blackcurrant flavour, which would have been surprisingly sweet in comparison to that. Schon dass ich überhaupt aufstehen und arbeiten musste, war eine Frechheit, das mache ich auch nur fürs Castro-Spezial, cien por Castro, könnte eine revolutionäre Gruppe sein, oder? Cien por Cienfuegos wäre natürlich noch besser.
Nachdem ich mich also mit größter Mühe aus dem Bett geschält und ins Bad geschleppt hatte, passierte tatsächlich das Schlimmste: Es kam kein warmes Wasser aus der Dusche. Ich wartete Minuten, aber vergebens. Kalt brauste das Wasser auf meine Füße, den Rest des Körpers hatte ich wohlweislich in Sicherheit gebracht. Wirklich: Wenn ich eines nicht ertragen kann, ja hasse, dann sind das kalte Duschen bei weniger als 35 Grad Celsius Umgebungstemperatur. Und es hatte weiß Gott weniger als 35 Grad im Bad heute Morgen. So schäumte ich denn auch vor Wut und Verzweiflung, schrie heulend meine stumme und unbelebte Umgebung an: "Ich will nicht kalt duschen! Ich will einfach nicht kalt duschen!!" Aber der Heizkessel war zu lange inaktiv gewesen und meine Haare einfach zu fettig, ich hatte keine Wahl. Und die allergrößte Folter ist ja das kalte Brausewasser auf dem Kopf. Das konnte ich auch nur unter lautem Schreien ertragen. Als ich endlich weinend der Dusche entstieg, fühlte ich mich durchaus nicht richtig schön erfrischt und aufgeweckt, sondern völlig durchgefroren.
Und an solchen Tagen bleibt es ja nicht bei dem einen Unglück, oder jede Misslichkeit erscheint einem gleich als eine sich immer weiter spinnende Unglückskette. Als ich mein Zimmer lüften und wenigstens die schöne Morgensonne reinlassen wollte, ging das Fenster nicht mehr auf. Am Tag zuvor hatte es sich noch problemlos öffnen lassen. Noch so ein Ding, das mir heute Böses will, dachte ich mir und frühstückte lieber. Im Sitzen befiel mich sogleich wieder bleierne Müdigkeit, vielleicht auch noch als Folge der erlittenen Erfrierungen.
Dann auf dem Fahrrad, mit Wind und Sonne im Gesicht, konnte ich dennoch nicht umhin, mich etwas besser zu fühlen; immer noch müde, aber doch etwas leichtmütiger. Sogar ein kleines Liedchen summte wie von selbst in meiner Kehle, als wollte es mich von dort drinnen necken.
Mensch Fidel, dachte ich bei mir, für dich mach ich das alles hier, kämpfe an einem blauschwarzen Montagmorgen gegen die Welt und mich selbst. Dabei bin ich gar nicht so einverstanden mit dir und deinen Taten. Und deine Revolution, die hätte ich auch nicht mitgemacht. Dafür bin ich viel zu empfindlich. Obwohl, bei kubanischen Temperaturen könnte ich immerhin ab und zu kalt duschen...

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