Mittwoch, 17. September 2008

Die Temperamente der Händler

Wer den vorvorletzten und dann diesen Eintrag hier liest, könnte den Eindruck bekommen, ich sei besessen von Verkäufern. Vielleicht bin ich das. Na, und wenn! Es sei! Andere sind besessen von Spielzeugautos oder Plüschelefanten. Und über die kann man lange nicht so viel erzählen wie ich über meine Verkäufer. Also:
Gestern hatte ich innerhalb von weniger als zwei Stunden drei sehr unterschiedliche Begegnungen mit drei sehr unterschiedlichen Verkäufern (zugegeben waren sie auch sehr verschiedene Menschen, aber ich traf sie alle im Handelsumfeld). Jede einzelne ist erzählenswert, und zusammen ergeben sie diese schöne Komödie in drei Akten:
Nach der Arbeit nutzte ich die verbleibende Zeit bis zum Monatstreffen meines Kochclubs und ging zunächst zum Optiker, weil inzwischen meine Brille meine Sehschwäche nicht mehr vollends behebt und ich wissen wollte, ob das normal ist oder ich mir Sorgen machen muss. Der Optiker, ein agiler, schicker Herr mit grauem Haar in den besten Jahren, ging gleich auf Frontalkonversationskurs mit Komplettpaket: plaudern, scherzen, kalauern und flirten. Ich bin da ja durchaus nicht zimperlich, aber da musste ich schon einiges auffahren aus meiner Profikommunikationskiste, um mitzuhalten. Ich arbeitete hauptsächlich mit der Taktik der offenen Tür, ließ ihn einfach reden mit ermunternden Kommentaren hier und da. Und so erfuhr ich einiges über ihn: Triathlet, seine letzten Wettkämpfe, Alter, Wohnort (Sankt Georg, "im Puff"), Mietpreis (seiner Wohnung, monatlich), Lieblingscafé, bevorzugter Supermarkt, Vorname seines Bruders (deckt sich mit meinem Nachnamen). Ich könnte ihn nun nach Herzenslust ausspionieren oder ihm ein Verbrechen in die Schuhe schieben (man kann nämlich Menschen besonders gut beschuldigen oder decken, wenn man möglichst viel über sie weiß, alte Ganovenweisheit). Ich überlege mir noch was. Das mit der Sehschwäche haben wir nicht so richtig beheben können, aber dafür hat er meine Brillenbügel wieder schön festgeschraubt und ich habe eine Menge gelacht, insgesamt war ich also wieder mal sehr zufrieden mit der Händlerleistung.
So beschwingt, ging ich flugs zum Rathaus-Edeka, um nur schnell Zigaretten zu kaufen. Die Zigaretten sind dort - und nur dort, so weit ich weiß - in einem Tante-Emma-ähnlichen Holzregal vor der Nase der Kassiererin gestapelt, man muss entweder vor die Nase der Kassiererin greifen und sich selbst bedienen oder sich von der guten Frau bedienen lassen. Ich sah eine Kassiererin ohne Schlange, steuerte in heiterer Optikerstimmung auf sie zu und sagte lächelnd im Plauderton: "Da komm ich doch gleich zu Ihnen, hab ja sonst nix." Und wumm, wurde ich vom Optikerhimmel auf den Boden der Tatsachen gestürzt. Die Kassierin sagte nämlich original: nichts. Und sie zeigte exakt: keine Reaktion. Sie starrte einfach nur teilnahmslos in meine Richtung. Oh, dachte ich, jetzt bloß nicht die Fassung verlieren, höflich bleiben. "Äh, ich wollte eine blaue Pall Mall, da muss ich dann mal eben so unverschämt an Ihnen vorbei greifen, oder..." Und es passierte: nichts. Sie half mir auch nicht, als die Packung nicht gleich aus ihrem Schacht herauskommen wollte, blickte mich einfach nur teilnahmslos an. "So, dreisechzig kosten die, ne?" versuchte ich es noch einmal. Nee, nix. Sie wartete auf ihr Geld. Und auch das war ihr wahrscheinlich egal, weil's ja eh nicht für sie war, sondern für Herrn Edeka. Ich sagte noch danke und tschüß, was aber wie erwartet keine Reaktion hervorrief. Oha, dachte ich, Lektion des Tages: Herr Fielmann und Frau Edeka haben sich abgesprochen und wollen mir das Prinzip von Yin und Yang beibringen. Okay, muss ich wohl noch mal nachlesen.
Begegnung Nummer drei war dann kurz vor Ladenschluss mit einer mir schon bekannten Verkäuferin in der Marktstraße, Karoviertel. Bei ihr hatte ich vor ein paar Wochen Schuhe gekauft. Die Marktstraße ist eine Art großes Wohnzimmer mit Asphaltschneise, unterteilt in kleine Parzellen voller schicker und mehr oder weniger nützlicher Dinge, wo sich Menschen aller Art treffen, unterhalten und ab und zu einer dem anderen etwas abkauft. Und über allem weht ein leichter Duft von Räucherstäbchen. Ich wollte nach dem Schockerlebnis mit Frau Edeka noch ein bisschen Konsumspaß haben und erinnerte mich an die nette Frau in dem Schuh- und Klamotten-Laden von neulich. Da war ich auch kurz vor Ladenschluss gekommen und hatte ein nettes, kommunikatives tête-à-tête mit der Besitzerin und einzigen Verkäuferin gehabt, die uns zusammen einschloss (nicht die ganze Nacht, nur bis zum fertigen Deal) und mir zwanzig Prozent Rabatt auf ein Paar Schuhe gab. Ich kam also wieder rein, wir begrüßten einander sehr freundlich, und ich stellte gleich meine Sachen ab und zog die Jacke aus, wusste ja, dass es gemütlich wird. Ich glaube nicht, dass sie sich an mich erinnerte, aber sie war trotzdem sehr nett, und wahre Gefühle sind mir in solchen Fällen egal, ich will nur gut bedient werden.
Sie hatte gerade neue Ware bekommen und packte einen großen Karton aus, wobei sie sich über dessen Bauart amüsierte, er war nämlich eine Art Kleiderschrank, mit Stange und aufgehängten Klamotten drin. Ich probierte den einen oder anderen Schuh an, aber ohne rechte Überzeugung. Bei unseren Tätigkeiten plauderten wir ein bisschen. Einmal kamen ein paar Mädels rein, aber das waren keine richtigen Kundinnen, sie interessierten uns nicht weiter und gingen auch nach einer Ladendurchquerung gleich wieder. Und wir waren wieder schön unter uns, meine Verkäuferin und ich. Allerdings war die Rollenverteilung an diesem Tag etwas anders, wie sich bald herausstellte. Ich fand nämlich nicht so recht den Schuh, der meinen Vorstellungen entsprach. Dafür war sie aber ganz begeistert von einer Jacke, die mit der neuen Lieferung gekommen war. Und die stand ihr auch ganz wunderbar, sagte ich ihr. Ich war selbst interessiert an der Jacke und probierte sie an, aber sie spannte etwas zu sehr über meinem Busen. Trotzdem guckte meine Verkäuferin für mich nach, was sie kostete. Zu teuer, dachte ich gleich. Schade. Aber ich blieb trotzdem noch ein bisschen, es war grad so nett und meine Verkäuferin wollte noch ein paar Sachen anprobieren. Als nächstes zog sie die gleiche Jacke in grau an, „das ist aber nicht so deine Farbe“, gab ich zu bedenken. „Stimmt, hab ich auch schon öfter gemerkt, bei meiner Freundin ist das ganz anders, die kann sich vollkommen in Grau kleiden und sieht toll aus, aber ich brauch immer so kräftige Farben.“ Lieber zog sie dann noch den passenden Rock zur Jacke an. „Bohr, der steht dir auch super“, fand ich. Sie mochte auch das Oberteil, das ich gerade trug und ließ sich davon zur Anprobe eines ähnlichen Stücks aus der neuen Kollektion inspirieren. „Aber ich glaub’, mein Stil ist das nicht so, du bist da eher der Typ für“, zweifelte sie vorm Spiegel. „Naja, stimmt schon, das ist ein bisschen zu mädchenhaft für dich“, pflichtete ich ihr bei. „Ich bin die Jacke, oder?“ – „Du bist die Jacke, eindeutig. Die in schwarz. Und ich glaub’, die kaufst du auch.“ Da waren wir uns beide einig, und wir waren nun auch beide sehr zufrieden – sie wegen ihrer schönen neuen Jacke und ich, weil sie ihr so gut stand und ich sie so gut beraten hatte. Sie lud mich dann noch zu einer Neueröffnung ein und gab mir mit auf den Weg, ich sollte doch immer mal wieder reinschauen, sie bekäme auch immer wieder neue Schuhe. Klar, mach ich sowieso.

Montag, 1. September 2008

Doch nicht so mit Technik

In diesem Eintrag geht es nicht nur um Technik, noch nicht einmal nur um Nichttechnik. Es geht auch ziemlich viel um Faulheit, genauer: um Prokrastination, die Lust am Verschieben. Trotzdem finde ich die Technik als Titel ganz schön, so gibt’s für die Männer auch ein bisschen Vorfreude.
Technisches Gerät empfinde ich wie zu erledigenden Papierkram: Alles, was nicht reibungslos funktioniert oder sich nicht quasi von selbst erledigt, versursacht mir körperliches Unbehagen und führt dazu, dass ich versuche, es aus meinem Alltag zu verbannen. Gleichzeitig fühle ich mich aber durchaus nicht hilflos gegenüber zu lösenden technischen Aufgaben und möchte auch gar nicht zu viel Hilfe in diesem Bereich in Anspruch nehmen, da dies meiner Unabhängigkeit und Emanzipation widerspräche. Und prinzipiell ist mein Glaube daran, im Grunde alles zu können, nicht so leicht zu erschüttern. Auf der anderen Seite ist da diese unglaubliche Unlust Dingen gegenüber, die keinen Spaß machen. Beispiel Steuererklärung: Ich verstehe, was man tun muss, um nach einem Jahr der Arbeit Geld zu bekommen, das man zwar verdient hat, das einem aber aus komplizierten Gründen nicht ausgezahlt wurde. Ich kann auch, rein praktisch gesehen, sehr gut Formulare ausfüllen, Additionen – per Taschenrechner – durchführen und vorher gesammelte Unterlagen und Belege zusammenheften. Aber der Wille, Herrgott, der Wille! Der sträubt sich wie ein wildes Pferd. Der findet Formularkram das Unnötigste und Ödeste, womit ein Mensch sich beschäftigen kann. Und da sich ein wildes Pferd nicht einfach von jetzt auf gleich zureiten lässt, lasse ich den Gaul erst mal in Ruhe grasen, vulgo: verschiebe die Steuererklärung. Um einige Wochen, einige Monate, gern ein Jahr, bis sich eben irgendein Finanzamt meldet. Bin in letzter Zeit eh so oft umgezogen, die wissen gar nicht mehr, wo ich bin.
Ähnlich verhält sich mein Wille bei der Aussicht auf, sagen wir, das Installieren eines Druckers oder das Verlegen eines neuen Telefon- und Internetanschlusses. Letzteres wurde bei uns nun nötig. Und meine Mitbwohnerin Maggy und ich ähneln uns sehr in den Wildheiten unseres Willens. Es ist für uns beide die größte vorstellbare Qual, die angehäuften Dokumente auf unseren Schreibtischen zu ordnen, zu sortieren und – GAU – zu bearbeiten. Deshalb tun wir es in der Regel nicht, bis etwas mehr oder weniger Schlimmes uns dazu zwingt (wie etwa eine Mahnung, die den zu zahlenden Betrag um mehr als zwanzig Prozent erhöht). Und wir können beide ganz gut Fahrräder reparieren (Maggy noch besser als ich), aber ich lasse die Handbremse jetzt erst mal baumeln, solange sie nicht verloren geht. Auch wenn es schon stört, dass ich sie samt Gangschaltung beim Fahren die ganze Zeit festhalten muss.
Und nun hatten wir also eine neue Telefon- und Internetflatrate bekommen, die allerdings nur funktioniert, wenn man die dazugehörige Box mit Rooter und Kabeln und Owehlan installiert.
An dem Tag, als die Box kommen sollte, bin ich noch ein bisschen länger in der Stadt geblieben, um nicht allzu früh nach Hause zu kommen. Beim Betreten des Hauses erfüllten sich jedoch meine schlimmsten Befürchtungen: Der Flur war ein Wald aus Kabeln, Rootern, Hämmern, Zangen und Nägeln. Und im Nebenzimmer saß eine rauchende Maggy, die starr und reglos auf ihren Comupter blickte und mich nur mit einem Brummen begrüßte. Das tut sie nur, wenn sie sehr angespannt ist. Ich erfasste sofort den Ernst der Lage und stellte mich auf einen unliebsamen Abend ein, denn ich wusste ja, was zu tun war und tat es auch besser gleich: Ich bot ihr meine Hilfe an. Zu meiner heimlichen Erleichterung ging sie gar nicht richtig darauf ein, sondern murmelte nur irgendwas und starrte weiter verbissen auf den Bildschirm. Denn Maggy hat wie ich den Ehrgeiz, die unangenehmen Dinge, wenn sie schon sein müssen, dann doch wenigstens alleine zu schaffen.
Ich kam denn auch ganz gut weg an jenem Abend; meine Aufgabe beschränkte sich auf das Vorlesen einer sehr kleinen Nummer auf der Rooterrückseite. Das war okay. Nicht so ganz okay ist bis jetzt unsere heimische Telekommunikation. Man kann telefonieren, unter bestimmten Voraussetzungen (zum Beispiel ist es nicht so gut, sich anrufen zu lassen, da kommt die Verbindung oft nicht zustande. Aber man kann zurückrufen). Man kann auch ins Internet, aber nicht mehr über Wehlahn, der is über de Wupper. Die ersten Tage dachte ich, ich sollte mir das auch mal in Ruhe angucken mit der Installation, eigentlich kapier ich sowas immer ganz gut, aber erst mal warte ich, ob’s nicht doch irgendwann von selbst geht. Es ging nicht von selbst, aber wir haben jetzt zwei Kabel statt Owehlan. Ein ganz kurzes, das reicht genau von der Anlage bis zu Maggys Computer und ist eine straff gespannte Stolperfalle in Oberschenkelhöhe. Und ein ganz langes, das ziehe ich, wenn ich ins Internet will, über die Treppe hoch in den ersten Stock, wobei meistens erst mal die Telefonanlage runterfällt. Und hinterher rolle ich es wieder auf und bringe es runter und stecke es hinters Fax (wobei meistens das Fax runterfällt), damit nicht nachts auf dem Weg zum Klo jemand drüber stolpert. Oder sich daran würgt, es hängt nämlich bei Benutzung quer durch den Flur in der Luft. Es soll auch demnächst jemand kommen, der sich mit sowas auskennt. Diese Aussicht finde ich gut und bin solange einfach heilfroh, dass ich nichts machen muss außer ein bisschen aufpassen mit dem Kabel. Früher hat man nämlich auch sehr gut ohne WLAN gelebt. Da wusste man ja gar nicht, was das heißt. Ich dachte erst, das wäre ein türkischer Freundeskreis.
Und noch früher, als der ganze Computerkram gerade anfing, da wusste man noch viel weniger. Man wusste nicht, wie so ein Computer bedient wird. Bei Maggy lief der erste Versuch so: Sie hatte gehört, das sei alles sehr einfach mit so einem PC, man müsse nur ein paar Befehle eingeben und er mache alles, was man wolle. Sie bekam ein älteres Exemplar geschenkt, es war MS-DOS-Zeit. Das war das mit der grünen Schrift vor schwarzem Hintergrund. Maggy war allein, sie fand den Anschaltknopf und sah die grüne Schrift, hatte aber keine Maus gefunden und wusste, dass man die braucht. Also schrieb sie einfach auf der Tastatur: WO IST DIE MAUS? ENTER Als der Computer nicht antwortete und auch sonst nichts tat, versuchte sie es auf Englisch: WHERE IS THE MOUSE? ENTER Wieder keine Reaktion; sie beschloss, die Befehle zu verkürzen: MAUS? ENTER, nichts. Dann also: MOUSE? ENTER
Inzwischen sind wir da alle fixer und schlauer geworden. Ich sage nur noch manchmal zum Blackberry (das heißt, zum Blackberry anderer Leute, ich selbst bin noch nicht so weit) versehentlich Blueberry. Klingt auch irgendwie netter, leckerer. Und am Ende sind mir Sprache und Essen doch wichtiger und angenehmer als Technik.

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