Donnerstag, 26. Februar 2009

Der eitle Christophorus

Schließlich habe ich dann doch begriffen, warum mir das alles geschehen war. Der Heilige gab mir einen Wink und ließ mich mein Fehlen erkennen. Und er war dabei ganz schön spöttisch. Okay, Christoph, du hast gewonnen. Ich werde dir künftig zu gegebener Zeit huldigen, darfst dir auch immer eine Opfergabe aussuchen. Nur Menschenopfer sind nicht drin, das wirst du wohl verstehen.
Es fing an mit Kaffee und Zigaretten. Nein, angefangen hatte es noch früher, mit der durchwachten Nacht davor. Ich musste am Morgen ungewöhnlich früh raus, weil ich dummerweise meinen Flug nach Wien von Köln aus gebucht hatte (alte Gewohnheit), und da muss man auch erst mal hinkommen von Hamburg aus, und vor lauter Angst zu verschlafen schlief ich dann überhaupt nicht. Nicht ein Viertelstündchen. So geschlaucht quälte ich mich über die Zugstrecke und wollte, endlich am Köln-Bonner Flughafen angekommen, erst mal eine Zigarette. Mein Luxusartikel in stimmungsgeladenen Situationen (der schönen wie der unschönen Art). Hatte aber keine. Einen Automaten gab es trotz strengen Nichtrauchergebots, aber Kleingeld hatte ich auch keins. Naja, dann hol ich mir halt noch einen Kaffee und wechlse dabei den Schein, dachte ich mir. Und verstieß widerwillig gegen eins meiner ethischen Prinzipien, indem ich mich beim völlig überteuerten Ami-Milchschäumer Starbucks anstellte. Der Milchschäummann war einer vom Typ des jungen, dunkelgelockten Schönlings mit Latinowurzeln; hübsch anzusehen, aber wenig nützlich (wie es oft ist mit schönen Dingen). Die Bedienung meiner Schlangenvorsteher dauerte derart lange, dass ich schon überlegte, wieder zu gehen. Mit der Dame vor mir gab es peinliche Verwirrung, weil er ihr einen "Vanilla Latte" partout nicht als "Milchkaffee Vanille" verkaufen wollte. Ich war auf ihrer Seite, bin ich doch gegen die sinnentleerende Inflation des feinen, kleinen italienischen Wortes latte.
Schließlich kam ich an die Reihe und machte den Fehler, gleich drei Dinge auf einmal zu wollen: Einen Milchkaffee, einen Schokocookie (konnte nicht widerstehen) zum Mitnehmen und, da es damit zu teuer geworden war, um von fünf Euro noch Zigarettengeld rauszubekommen, meine sechs Euro Restgeld vom Zehner in Münzen. Ich musste vier Euro zehn zahlen und gab ihm zehn Euro zehn. Das war zu viel für den Milchschäumer. Er starrte mein Geld verständnislos an und verweigerte mir den Wechsel mit den Worten: "Nein, also das kann ich Ihnen jetzt nicht alles wechseln, weil ich das einfach brauche." Ungläubig versuchte ich ihm zu erklären, dass es sich doch lediglich um sechs Euro in Münzen handelte und bemühte mich dabei um Fassung sowie darum, ihm nicht ins Gesicht zu schmieren: "Hör mal, Milchkaffeeschaumgesicht, ich hab mich extra in deiner blöden Schlange angestellt und bezahle extra viel zu viel für deine blöde Schoki und deinen blöden Milchschaum, weil ich mir Zigaretten kaufen und jetzt sofort da draußen eine rauchen will, und da lasse ich mir von dir nicht erzählen, dass du keine sechs Euro Wechselgeld entbehren kannst!" Irgendwie hatte er das mit den sechs Euro wohl nicht so recht verstanden und gab sie mir schließlich, vergaß aber darüber, was ich bestellt hatte und servierte mir den Cookie auf einem Teller statt zum Mitnehmen. Unwillig, das nun auch noch zu beanstanden, aß ich schnell das Gebäck auf dem Amisofa und stürmte dann gleich zum Zigarettenautomaten, wo ich aus lauter Überreizung die falsche Marke kaufte, nur weil beide Schachteln rot waren. Dergleichen passierte früher nur meiner Oma.
Endlich in Wien angekommen, wollte ich dann gern entspannen und dachte, jetzt kann's losgehen, vier Tage lang nur schöne Dinge tun! Das tat ich dann zweifellos auch, nur wurde meine Freude daran, schöne Dinge zu tun, durch die Tatsache geschmälert, dass ich dabei nicht schön sein konnte. Meine Kontaktlinsen hatte ich nämlich in Hamburg vergessen. Jede Kontaktlinsenträgerin (vielleicht sogar jeder Kontaktlinsenträger) wird mein Leid nachvollziehen können. So sehr ich zu meiner Brille stehe, gehört sie doch nicht zum Freizeit- und Ausgehoutfit.
Den richtigen Verdacht, dieser Kurzurlaub stehe unter einem Fluch, schöpfte ich aber erst, als noch zwei weitere Missgeschicke passierten: Am vorletzten Abend steckte mein Finger nach abendlicher Taxiheimfahrt in der Taxitür. Zum Glück lag genug Schnee zum sofortigen Kühlen. Am nächsten Tag, ich kaufte noch mal ordentlich Bücher ein, um das Reisegepäck auch schön zu beschweren, war ich pleite. Meine Karte konnte die Bücher nicht mehr zahlen. "Limit erreicht?", meinte die Verkäuferin mit mildem Lächeln, "Kann eigentlich nicht", erwiderte ich scheinbar unberührt (das sage ich immer, wenn meine Karte kein Geld mehr hergibt und ein Verkäufer das Dispolimit vermutet, wer will sich schon die Blöße geben; ich dachte nur, sowas passiert mir nicht mehr, so lange nach Ende des Studentenlebens) und ließ dankend meinen lieben Freund Bene bezahlen.
Von Wien ging es dann gleich weiter zum Kölner Karneval, um ein Hoch auf die alte Heimat zu singen - ohne Kontaktlinsen und ohne Geld. Beste Voraussetzungen. Aber es kam ja noch besser: In der Vorbereitung der Nachttoilette bei Freundin Alice in Köln stellte ich fest, dass ich meinen Kulturbeutel in Wien vergessen hatte. Das mag den männlichen Lesern nun nicht weiter dramatisch erscheinen, viele männliche Leser besitzen vermutlich gar keinen Kulturbeutel, aber die meisten Frauen werden mit mir fühlen: Nur ein Tag ohne die Produkte der Reinigungs- und Kosmetikindustrie, vor allem ohne Zahnbürste, kann die Hölle sein! Man fühlt sich dem Schmutz des Lebens hilflos ausgeliefert, ohne Aussicht auf die reinliche Wohligkeit in der heilen Zelle der abendlichen Toilette. Glücklicherweise aber haben Mädchen ja in der Regel alles, was andere Mädchen auch haben. Das schätze ich so an Frauenhaushalten: Immer alles da. Auch Extrazahnbürsten. (Bei der Gelegenheit fällt mir auf, dass das auch mal ein schönes Thema für einen Post wäre: Wann hören wir auf, Mädchen/Jungen zu sein und werden zu Frauen/Männern? Ich lade alle Leser herzlich zu Kommentaren ein.)
In den folgenden zwei Tagen lernte ich dann, wie gut es ist, wenn es Leute gibt, die einem vertrauen und einem das vorübergehende Leben auf Pump erlauben. So lieh ich mich durchs jecke Rheinland, kaufte mir vom geliehenen Geld ein Nivea-Reiseset für Frauen und sah in den Abendstunden in der Regel wenig, weil ich zu eitel für meine Brille war. Übrigens - überrascht's noch wen? - vergaß ich meine Lieblingsjacke und meine Lieblingsringe bei Alice in Köln.
Die Erkenntnis dämmerte mir dann im heimischen Moers, wo ich zwischendurch eine alte Freundin besuchte. Als ich in ihr Auto stieg, fiel mir die kleine runde Plakette mit dem heiligen Christophorus, dem Schutzpatron der Reisenden auf, die dort an der Armatur klebte. Die hatte ich vorher schon einmal im Auto eines Bekannten gesehen und sie dort schon unzeitgemäß gefunden. Nun fragte ich leicht spöttelnd meine Freundin, warum denn gerade sie so eine Plakette habe, sie sei doch sonst nicht so gläubig. Sie gab an, ihr verstorbener Mann habe ihr die Plakette zusammen mit dem Auto geschenkt, und der sei sowohl aber- als auch gläub-ig und -isch gewesen und könne es ja nur gut gemeint haben. Ich fand das Schutzheiligengehabe trotzdem überholt, ging aber nicht weiter darauf ein. Doch tief in mir regte sich etwas, eine Ahnung und ein Schuldgefühl.
Da ich aber offenbar immer noch nicht ganz verstanden hatte, setzte der eitle Sankt Christophorus noch einen drauf und ließ den Bahnautomaten auf der Rückfahrt in den Norden meine Kreditkarte nicht akzeptieren und stattdessen meine letzten, aber auch wirklich allerletzten geliehenen 30 Euro in bar fressen. Somit kehrte ich denn ohne einen Pfennig, ohne Kontaktlinsen, ohne Kulturbeutel und ohne Lieblingsjacke nach Hamburg zurück. Und seit heute hat der Herr Schutzpatron noch eine dicke Erkältung mit schmerzenden Mandeln und Ohren hinterhergeschickt, die mich nun voll Demut diesen Eintrag vom Krankenbett aus schreiben lässt. In Ordnung, Herr Heiliger. Ich will nie wieder über dich spotten. Gleich morgen gehe ich zum Schutzpatronplakettenladen und klebe mir dein Konterfei mitten auf die Stirn. Reicht dir das?!

Sonntag, 8. Februar 2009

Herr Vogel begegnet der Krise

Ha, da mag wohl der eine oder andere Leser gedacht haben, bei Septentryo wär Schicht im Schacht. Aber nein, verehrtes Publikum, weit gefehlt. Wir entschuldigen uns für die lange Abwesenheit, ohne jedoch alle in Frage kommenden Entschuldigungen aufführen zu wollen, dafür ist hier nicht der rechte Platz. In alter Frische melden wir uns also vielmehr zurück und erzählen von unseren Erfahrungen mit einer Begleiterin, die seit einiger Zeit in unser aller Munde ist: der Krise. Streng genommen erzählen wir von den Erfahrungen, die ein anderer Bekannter mit ihr gemacht hat, uns selbst ist sie nämlich noch nicht begegnet. Dafür traf sie Jürgen Vogel. Und er, der Lebenskünstler, fand einen Weg aus ihr heraus und statuierte gleichzeitig ein Exempel für viele findige Mitmenschen, die sich wie er nicht ihrem Schicksal ergeben wollen, sondern gewillt sind, das Beste daraus zu machen.
Zuerst fiel mir die schwachsinnige Privatfernsehwerbung auf. Gesucht wurde die lustigste Straße der Welt, und als Beispiele wurden etwa die Tusneldaallee und irgendeine Straße, deren Name Exkremente konnotierte, genannt, die aber beide gar nicht für den Titel in Frage kamen, denn der gebührte einzig, so suggerierte das Plakat, der Schillerstraße. Dort haust nämlich, nächste Suggestion im Untertitel, die lustigste WG der Welt. Und die ist jetzt mit Jürgen Vogel, hieß es schließlich ganz klein. Oh Gott, was macht der Jürgen Vogel da, durchfuhr es mich, der ist doch ganz nett. Na, wenigstens schien es ihm so peinlich zu sein, dass er sich nur ganz klein hatte drucken lassen. Trotzdem war ich sauer auf Herrn Vogel, dass er sich für sowas hergab.
Gemäß dem Naturgesetz, dass einem vorher unbekannte Dinge mit einem mal ständig und überall begegnen, fiel mein Blick am nächsten Tag auf die neue Ausgabe von "Einkauf aktuell". Das ist dieses gelbrot umrandete Postblättchen, das man immer ungewollt in den Briefkasten bekommt und dann sofort wegschmeißen will, was aber nicht geht, weil man ja Müll trennt und die Post gerissenerweise das bedruckte Umweltpapier in Folie einschweißt, so dass man beim erzwungenen Aufreißen zwecks Trennung unwillkürlich einen Blick auf den Titel wirft. Und da war er, der Jürgen in seiner neuen WG, grinsend und von komischen Menschen umgeben, von denen einer eine Bohrmaschine in der Hand hielt. Sieht ein bisschen aus wie Dschungelcamp ohne Natur, dachte ich. Und erfuhr beim Nachlesen, dass die Bewohner dieser unsäglichen WG, deren Hauptmieter nunmehr Jürgen Vogel ist, während der Sendung spontane und sehr lustige Regieanweisungen bekommen, die für die Mitbewohner nicht zu hören sind und die sie dann zu deren Erstaunen umsetzen müssen. Es handelt sich um so schreiend komische Anweisungen wie "Sprich wie ein Büttenredner" oder "Dir ist gerade ein Geist erschienen". Schon beim Lesen kamen mir schier die Tränen vor Lachen. Wie das erst in der Umsetzung des darstellenden Spiels abgehen musste, wie tausend Zäpfchen! "Mann Jürgen, warum machst so'n bescheuerten Mist mit?!", herrschte ich das grinsende Foto von Herrn Vogel an.
Ich wusste ja nicht, dass es eins dieser sprechenden Bilder war, die man sonst nur aus Harry Potter kennt. Denn plötzlich löste sich das erstarrte Grinsen und der Jürgen beugte sich mir aus dem Bild ein Stück entgegen. "Naja, das musst du schon ein bisschen differenzierter betrachten, Fraunoelle. Auch ich bin nicht von allen guten Geistern verlassen und habe durchaus meine Gründe." "Ach ja?", schnaubte ich, "lass mich raten: Dass du dich nun fürs Trash-TV prostituierst, hat nicht zufällig, wie ja überhaupt kaum eine Form der Prostitution, etwas mit Geld zu tun?" "Ja, das schon", sagte Jürgen nun etwas kleinlaut, "aber ob du's glaubst oder nicht: Jemand hat mir zu diesem Schritt geraten, der es wirklich wissen muss: die Krise höchstpersönlich." Nunmehr neugierig geworden, ließ ich ihn erzählen:
"Es war an einem Mittwoch- oder Donnerstagabend, ich war einigermaßen angetrunken auf dem Heimweg von einer Party mit Schauspielerkollegen und wollte mich abkühlen, deshalb ging ich zu Fuß. Da stellte sich mir auf der menschenleeren Straße plötzlich eine Gestalt entgegen, kaum als Mann oder Frau zu unterscheiden. Sie sah mich direkt an, und das Gesicht sah verhärmt und sorgenvoll aus. Sie hatte traurige, wässrige Augen von unbestimmbarer Farbe und war sehr schlank, dabei sehnig und asketisch. Und sie schien mich zu kennen, ja auf mich gewartet zu haben. Denn sie sagte ohne Umschweife: "Jürgen, ich muss dich ermahnen. Du lebst zu sehr in Saus und Braus. Auch du solltest dich mit dem Gedanken anfreunden, dass die fetten Jahre nun vorbei sind. Denn ich habe nun Einzug ins Land gehalten, und das heißt für Euch alle: Gürtel enger schnallen!" Da wurde mir ganz schön mulmig, denn ich merkte, dass ich es hier mit der Krise persönlich zu tun hatte, und schüchtern fragte ich: "Deine Worte können nur wahr sein. Aber was rätst du mir zu tun, um nicht bald den Boden der Existenz unter den Füßen zu verlieren?" Und die Krise sprach, als hätte sie auf diese Frage gewartet: "Mach es wie der biblische Josef, der in den sieben fetten Jahren genug Vorräte ansammelte, um sein Volk durch die sieben mageren Jahre zu bringen. Und mach es wie beim Karneval: Kontere den tierischen Ernst mit möglichst vielen fulminanten Lachnummern, die gar nicht immer lustig sein müssen! Gehe nun zum Privatfernsehen und spare das viele Geld, das du dort verdienen wirst!" Ja, und mit diesen Worten war sie auch schon weg, hatte sich in Luft aufgelöst. Und ich dachte mir, Mensch Jürgen, du bist doch privilegiert, eine solche Erscheinung zu haben, mach was draus! Und wie einen Wink des Schicksals erfuhr ich dann, dass Cordula Stratmann ausgezogen war aus der Schillerstraße. Ich also sofort hin und hab denen meine Visage geboten für eine Summe, die mich über die mageren Jahre bringen wird. Musste denen nur versprechen, bis Drehbeginn ordentlich Comedy zu pauken. Ich seh das so als ne Art Fortbildung. Muss man auch machen in Krisenzeiten."
Sprach's und gliederte sich wieder in sein Bild ein. Und ich dachte, vielleicht hat er gar nicht so Unrecht, und überlegte, was ich als kleine, brave, minderbemittelte Bürgerin tun kann, um meinen Beitrag in Zeiten der Krise zu leisten. Und entschied mich, Herrn Vogels Erlebnis hier aufzuschreiben und seine Botschaft zusammengefasst und und auf den Punkt gebracht in die Welt zu tragen: Wenn Sie in der Krise nicht zu den Verlierern zählen wollen,
1. Machen Sie's wie Josef. Schrecken Sie dabei auch vor scheinbar unwürdigen Beschaffungsmaßnahmen nicht zurück.
2. Seien Sie aus Prinzip wider den tierischen Ernst.
3. Seien Sie bereit, auch mal was Neues zu lernen.
4. Wenn Ihnen das alles ein bisschen zu viel auf einmal ist, schauen Sie ab und zu "Schillerstraße" und warten erst mal ab, ob Herr Vogel mit seiner Strategie Erfolg hat. Vielleicht ist bis dahin ja die Krise längst weitergezogen.

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