Sonntag, 8. Februar 2009

Herr Vogel begegnet der Krise

Ha, da mag wohl der eine oder andere Leser gedacht haben, bei Septentryo wär Schicht im Schacht. Aber nein, verehrtes Publikum, weit gefehlt. Wir entschuldigen uns für die lange Abwesenheit, ohne jedoch alle in Frage kommenden Entschuldigungen aufführen zu wollen, dafür ist hier nicht der rechte Platz. In alter Frische melden wir uns also vielmehr zurück und erzählen von unseren Erfahrungen mit einer Begleiterin, die seit einiger Zeit in unser aller Munde ist: der Krise. Streng genommen erzählen wir von den Erfahrungen, die ein anderer Bekannter mit ihr gemacht hat, uns selbst ist sie nämlich noch nicht begegnet. Dafür traf sie Jürgen Vogel. Und er, der Lebenskünstler, fand einen Weg aus ihr heraus und statuierte gleichzeitig ein Exempel für viele findige Mitmenschen, die sich wie er nicht ihrem Schicksal ergeben wollen, sondern gewillt sind, das Beste daraus zu machen.
Zuerst fiel mir die schwachsinnige Privatfernsehwerbung auf. Gesucht wurde die lustigste Straße der Welt, und als Beispiele wurden etwa die Tusneldaallee und irgendeine Straße, deren Name Exkremente konnotierte, genannt, die aber beide gar nicht für den Titel in Frage kamen, denn der gebührte einzig, so suggerierte das Plakat, der Schillerstraße. Dort haust nämlich, nächste Suggestion im Untertitel, die lustigste WG der Welt. Und die ist jetzt mit Jürgen Vogel, hieß es schließlich ganz klein. Oh Gott, was macht der Jürgen Vogel da, durchfuhr es mich, der ist doch ganz nett. Na, wenigstens schien es ihm so peinlich zu sein, dass er sich nur ganz klein hatte drucken lassen. Trotzdem war ich sauer auf Herrn Vogel, dass er sich für sowas hergab.
Gemäß dem Naturgesetz, dass einem vorher unbekannte Dinge mit einem mal ständig und überall begegnen, fiel mein Blick am nächsten Tag auf die neue Ausgabe von "Einkauf aktuell". Das ist dieses gelbrot umrandete Postblättchen, das man immer ungewollt in den Briefkasten bekommt und dann sofort wegschmeißen will, was aber nicht geht, weil man ja Müll trennt und die Post gerissenerweise das bedruckte Umweltpapier in Folie einschweißt, so dass man beim erzwungenen Aufreißen zwecks Trennung unwillkürlich einen Blick auf den Titel wirft. Und da war er, der Jürgen in seiner neuen WG, grinsend und von komischen Menschen umgeben, von denen einer eine Bohrmaschine in der Hand hielt. Sieht ein bisschen aus wie Dschungelcamp ohne Natur, dachte ich. Und erfuhr beim Nachlesen, dass die Bewohner dieser unsäglichen WG, deren Hauptmieter nunmehr Jürgen Vogel ist, während der Sendung spontane und sehr lustige Regieanweisungen bekommen, die für die Mitbewohner nicht zu hören sind und die sie dann zu deren Erstaunen umsetzen müssen. Es handelt sich um so schreiend komische Anweisungen wie "Sprich wie ein Büttenredner" oder "Dir ist gerade ein Geist erschienen". Schon beim Lesen kamen mir schier die Tränen vor Lachen. Wie das erst in der Umsetzung des darstellenden Spiels abgehen musste, wie tausend Zäpfchen! "Mann Jürgen, warum machst so'n bescheuerten Mist mit?!", herrschte ich das grinsende Foto von Herrn Vogel an.
Ich wusste ja nicht, dass es eins dieser sprechenden Bilder war, die man sonst nur aus Harry Potter kennt. Denn plötzlich löste sich das erstarrte Grinsen und der Jürgen beugte sich mir aus dem Bild ein Stück entgegen. "Naja, das musst du schon ein bisschen differenzierter betrachten, Fraunoelle. Auch ich bin nicht von allen guten Geistern verlassen und habe durchaus meine Gründe." "Ach ja?", schnaubte ich, "lass mich raten: Dass du dich nun fürs Trash-TV prostituierst, hat nicht zufällig, wie ja überhaupt kaum eine Form der Prostitution, etwas mit Geld zu tun?" "Ja, das schon", sagte Jürgen nun etwas kleinlaut, "aber ob du's glaubst oder nicht: Jemand hat mir zu diesem Schritt geraten, der es wirklich wissen muss: die Krise höchstpersönlich." Nunmehr neugierig geworden, ließ ich ihn erzählen:
"Es war an einem Mittwoch- oder Donnerstagabend, ich war einigermaßen angetrunken auf dem Heimweg von einer Party mit Schauspielerkollegen und wollte mich abkühlen, deshalb ging ich zu Fuß. Da stellte sich mir auf der menschenleeren Straße plötzlich eine Gestalt entgegen, kaum als Mann oder Frau zu unterscheiden. Sie sah mich direkt an, und das Gesicht sah verhärmt und sorgenvoll aus. Sie hatte traurige, wässrige Augen von unbestimmbarer Farbe und war sehr schlank, dabei sehnig und asketisch. Und sie schien mich zu kennen, ja auf mich gewartet zu haben. Denn sie sagte ohne Umschweife: "Jürgen, ich muss dich ermahnen. Du lebst zu sehr in Saus und Braus. Auch du solltest dich mit dem Gedanken anfreunden, dass die fetten Jahre nun vorbei sind. Denn ich habe nun Einzug ins Land gehalten, und das heißt für Euch alle: Gürtel enger schnallen!" Da wurde mir ganz schön mulmig, denn ich merkte, dass ich es hier mit der Krise persönlich zu tun hatte, und schüchtern fragte ich: "Deine Worte können nur wahr sein. Aber was rätst du mir zu tun, um nicht bald den Boden der Existenz unter den Füßen zu verlieren?" Und die Krise sprach, als hätte sie auf diese Frage gewartet: "Mach es wie der biblische Josef, der in den sieben fetten Jahren genug Vorräte ansammelte, um sein Volk durch die sieben mageren Jahre zu bringen. Und mach es wie beim Karneval: Kontere den tierischen Ernst mit möglichst vielen fulminanten Lachnummern, die gar nicht immer lustig sein müssen! Gehe nun zum Privatfernsehen und spare das viele Geld, das du dort verdienen wirst!" Ja, und mit diesen Worten war sie auch schon weg, hatte sich in Luft aufgelöst. Und ich dachte mir, Mensch Jürgen, du bist doch privilegiert, eine solche Erscheinung zu haben, mach was draus! Und wie einen Wink des Schicksals erfuhr ich dann, dass Cordula Stratmann ausgezogen war aus der Schillerstraße. Ich also sofort hin und hab denen meine Visage geboten für eine Summe, die mich über die mageren Jahre bringen wird. Musste denen nur versprechen, bis Drehbeginn ordentlich Comedy zu pauken. Ich seh das so als ne Art Fortbildung. Muss man auch machen in Krisenzeiten."
Sprach's und gliederte sich wieder in sein Bild ein. Und ich dachte, vielleicht hat er gar nicht so Unrecht, und überlegte, was ich als kleine, brave, minderbemittelte Bürgerin tun kann, um meinen Beitrag in Zeiten der Krise zu leisten. Und entschied mich, Herrn Vogels Erlebnis hier aufzuschreiben und seine Botschaft zusammengefasst und und auf den Punkt gebracht in die Welt zu tragen: Wenn Sie in der Krise nicht zu den Verlierern zählen wollen,
1. Machen Sie's wie Josef. Schrecken Sie dabei auch vor scheinbar unwürdigen Beschaffungsmaßnahmen nicht zurück.
2. Seien Sie aus Prinzip wider den tierischen Ernst.
3. Seien Sie bereit, auch mal was Neues zu lernen.
4. Wenn Ihnen das alles ein bisschen zu viel auf einmal ist, schauen Sie ab und zu "Schillerstraße" und warten erst mal ab, ob Herr Vogel mit seiner Strategie Erfolg hat. Vielleicht ist bis dahin ja die Krise längst weitergezogen.

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