Sonntag, 24. Mai 2009

Fortsetzung Kuba II, nun also: Das Gesetz

Leider stehen hier die neueren Einträge immer über den älteren, was den Anschluss nun etwas unschön macht. Aber was soll's, ich zähle auf die Flexibilität meines geschätzten Publikums: Lesen Sie sich doch noch einmal den ersten Absatz des letzten Eintrags durch, oder vielleicht haben Sie ihn ja auch noch im Kopf. Es geht darin um meine Erfahrungen mit Polizisten (vor der Kubareise). Davon erzählte ich auch Almut, meiner charmanten Begleiterin. Wir waren inzwischen mit unserem treuen kleinen Mietwagen, der uns brav über viele Geröllpisten trug, auf der Rückreise nach Havanna.
In einem spöttischen Schnippchen des Schicksals hielt uns, kaum hatte ich diese Besonderheit meiner Kfz-Karriere der am Steuer sitzenden Almut zum besten gegeben, ein Polizist an. Er gab vor, unsere Papiere sehen zu wollen, war aber offensichtlich nur neugierig, denn dass die Fahrerin gar keine Papiere dabei hatte, störte ihn nicht im geringsten, und als ich anfing, nach meinen zu kramen, winkte er dankend ab. "Schon gut, schönen Tag noch!"
Das war nun wirklich die merkwürdigste Polizeikontrolle gewesen, die ich je erlebt hatte, aber es war ja auch meine allererste. Später erzählte uns allerdings einer der vielen Anhalter, die wir während der langen Fahrten immer wieder mitnahmen, dass reguläre Kontrollen von Touristen der kubanischen Polizei gar nicht erlaubt sind. Ja, das hatte ich schon öfter gehört, erinnerte ich mich und merkte es mir gut fürs nächste Mal. Das ließ nicht lange auf sich warten: Diesmal saß ich am Steuer, und kurz hinter einem Bahnübergang trillerpfiff es, und energisch wurden wir an den Rand gewunken. Ich hielt dann doch an, obwohl ich mir anderes vorgenommen hatte, war aber fest entschlossen, mich in keiner Weise von einem dahergelaufenen Uniformträger verschaukeln zu lassen. So schaute ich dann möglichst reserviert, als der junge Polizist nach Führerschein und Fahrzeugpapieren fragte, und hielt ihm recht unfreundlich vor: "Ich dachte, Sie kontrollieren keine Touristen." Erstaunt und vielleicht etwas verschüchtert blickte er mich an - eine solche Aufmüpfigkeit war ihm wohl noch nicht begegnet in seiner noch jungen Karriere. Pflichtbewusst und mechanisch wiederholte er: "Ich brauche Ihren Führerschein und die Fahrzeugpapiere." Ich händigte sie ihm aus. In diesem Moment kam noch ein älterer Polizist dazu, offenbar ein Vorgesetzter, der noch an seinem Mittagessen kaute und ziemlich aufgebracht wirkte. Noch so ein Vogel, sagte ich halblaut zu Almut, als mir langsam dämmerte, dass ich wohl tatsächlich gegen eine Verkehrsregel verstoßen hatte. Der ältere Polizist nämlich mischte sich nun ärgerlich ein: "So, Sie sprechen also unsere Sprache?! Da vorne am Bahnübergang steht ein riesengroßes "Halt"- Schild, und Sie fahren einfach drüber, ohne mit der Wimper zu zucken? Wollen Sie, dass der Zug Sie überfährt?!" Oha. Da hagelte es aber plötzlich Erkenntnisse: Besagter Zug war nämlich zu einer Art Running Gag zwischen Almut und mir geworden, weil wir ständig seine Trassen überfuhren und überschritten, ihn aber nie - auch bis zum Ende der Reise nicht - zu Gesicht bekamen. Bahnschranken gibt es nicht auf Kuba, wäre auch bei den Ewigkeitsintervallen zwischen zwei Zugdurchfahrten am selben Ort pure Verschwendung. Aber: Jedes Fahrzeug muss an jedem Bahnübergang anhalten, der Fahrer sich vergewissern, dass links und rechts kein Zug anrollt, und erst dann darf er weiterfahren. So bescheuert das in der teilweise menschenleeren kubanischen Prärie auch aussieht. Und: Ich hatte gegen diese Regel verstoßen (wenn auch nicht mit Absicht, ich hatte es schlicht nicht bemerkt)! Und mich kein bisschen einsichtig gezeigt, nein, stattdessen konnte man mir auch noch Beamtenbeleidigung vorwerfen! Nun wurde mir doch ein bisschen mulmig. Nie hatte ich Ärger mit Polizisten gehabt, und nun manövrierte ich uns beide gerade in den deftigsten Ärger hinein. Sofort schaltete ich auf Einsicht um: "Oh, äh, ja, das tut mir leid, hab ich gar nicht gemerkt, oh Gott, tut mir leid!" - "Mach das noch einmal, und du zahlst die dreifache Strafe!", belehrte mich der ältere Polizist streng, nun doch ein wenig seine Amtsautorität auskostend, und - ließ uns ziehen. Puh. Erleichtert hielt ich von da an mehr als vorschriftsmäßig an jedem Bahnübergang, schaute nach rechts und links und fuhr dann gaaanz langsam über die Schienen - offenbar aber nicht langsam genug, denn etwa zwanzig Minuten nach zuletzt geschildertem Vorfall wurden wir wieder angehalten, diesmal von einem Mittelalten mit Schnauzbart, der ziemlich grimmig dreinguckte. Er fragte sofort nach meinem Pass - verdächtig, aber ich war verunsichert. "Habe ich irgendwas falsch gemacht?", fragte ich zögerlich, während er in meinen Personalien rumschnüffelte. "Falsch?", sprach es mit versteinerter Miene, "allerdings." Keine Erklärung. Meine Ahnung sagte mir, dass ich mir diesmal nichts hatte zuschulden kommen lassen, aber nach der letzten Episode hatte mich der Mut vorerst verlassen. Er ließ mich zappeln, sprach mich beim Vornamen an, den er schlauerweise in meinem Pass gelesen hatte, genoss sichtlich meine Unsicherheit, die sich allerdings bald mit Ärger mischte, und sagte auf meine Nachfrage, nichts sei in Ordnung. Und dann, plötzlich, gab er mir meinen Pass zurück, schüttelte uns beiden nacheinander die Hand und sagte mit süffisantem Lächeln: "Alles Gute zum Muttertag, die Damen, und weiterhin gute Fahrt!" Also bitte, Schicksal, dachte ich bei mir. Ist das nicht ein etwas theatralischer Wink, um mich daran zu erinnern, dass ich meine Mutter noch nicht angerufen habe heute? Telefonieren ist teuer auf Kuba!
Und das war ja noch nicht unser letztes Erlebnis mit den Uniformierten dort in der tropischen Hitze. Es kam ja noch die Sache mit dem Rucksack, aber bevor ich die erzähle, muss ich leider einen weiteren Schnitt und damit aus dem Zwei- einen Dreiteiler machen. Sie wissen doch: Vorfreude ist die schönste ihrer Art!

Geschichten aus Kuba. Zweiter Teil: Begegnungen mit Gesetz und Verbrechen

Ich gehöre nicht zu den Menschen, die ein grundsätzliches Problem menschlicher Art mit Polizisten haben. Sie sind für mich, ebenso wie, sagen wir, Lehrer, einfach Teil unserer Gesellschaft und ich habe rein gar nichts gegen sie, was ich nicht auch gegen jeden anderen Menschen eines beliebigen Berufsstandes haben könnte. Vielleicht komme ich auch deshalb nie in Polizeikontrollen. Ich fahre nun seit zwölf Jahren Auto, nicht immer absolut StVO-konform, aber ich bin noch nie von der Polizei angehalten worden. Soviel zu meiner Unvoreingenommenheit bezüglich des jetzt folgenden Themas.
Bevor ich aber unsere kubanischen Erlebnisse mit den dortigen Gesetzeshütern referiere, muss ich Ihre Geduld ein klein wenig strapazieren und das Thema vom anderen Ende der Gesellschaft her aufrollen: Zuerst nämlich trafen wir auf Kuba die Gesetzesbrecher.
In einer langen und beschwerlichen Wanderung hatten wir von Santiago de Cuba aus eine ehemalige Befestigungsanlage aufgesucht, el Morro. Der Weg war sehr viel weiter gewesen als angenommen und die Temperaturen konnten zentraleuropäischen Organismen ganz schön zu Kopf steigen, kurz: die Umstände luden nicht gerade dazu ein, auch den Rückweg zu Fuß zu bestreiten. Nun waren wir, endlich an einem kleinen Strand mit dem verheißungsvollen Namen La Estrella angekommen, dort von einer ganzen Horde kubanischer Halbstarker, von denen einige wirklich nicht vollkommen koscher wirkten, derart bedrängt worden, dass uns die Lust am Strandaufenthalt vorerst vergangen war; zudem war es bereits früher Abend, der Weg nach Santiago weit und die Art unseres Zurückkommens noch vollkommen ungeklärt. Der Bus, auf den zu warten wir uns hoffnungsvoll am Straßenrand postiert hatten, hatte seine nächste Durchfahrt offenbar für den St. Nimmerleinstag vorgesehen. Doch, wie es so ist auf Kuba: Ein Transportangebot für die beiden netten Touristinnen mit dem vermeintlich prall klingenden Geldbeutel ließ nicht lange auf sich warten. Aus einer nicht sonderlich einladenden Gaststätte am Strandesrand, deren Verköstigung wir zuvor dankend abgelehnt hatten, kam ein offensichtlich stark angetrunkener junger Herr auf uns zu und fragte, ob er uns nicht in die Stadt fahren solle mit seinem Wagen, der dort stand, er verlange lediglich zehn Dollar. "Prinzipiell gern, für die Hälfte des Preises und wenn du nicht der Fahrer bist", entgegnete ich mit träge erwachender Handelslust und einigem Argwohn. Letzterer war durchaus berechtigt, denn, so wurde uns bald klar, wir hatten es hier erstmals mit einem echten kubanischen jinetero, einem Unterhändler oder Schlepper, zu tun. Er grinste verächtlich und zog ab, um das Angebot seinem Patron zu unterbreiten. Zurück kam er mit einer Gegenofferte von acht Dollar. Aber so leicht gaben wir nicht nach; "sechs Dollar", gab ich eiskalt zurück, "und wir machen uns jetzt schon mal zu Fuß auf den Weg." Diesmal kam der Läufer, nicht ohne sich vorher kraft alkoholbedingter Gehschwierigkeiten fast ein Bein in einem Erdloch gebrochen zu haben, eilig zurück und brachte - Sakrament! - seinen Patron, seinen Herrn und Verwalter mit. Und augenblicklich fühlte ich mich ganz wie in einem Verbrecherfilm: Der Kerl war der Prototyp des Zuhälters, der andere für sich arbeiten lässt, auf diese Weise sein Geld vermehrt und dabei selbst nichts anderes tut als von Tag zu Tag fetter zu werden und seinen Lackaffenbart zu trimmen. An jedem Finger steckte ein goldener Ring, auch der Stiernacken war goldbehangen, die aus den Shorts ragenden Beine konnten den beleibten Körper kaum tragen, aus dem feisten Gesicht starrten zwei listige, emotionslose Augen. Dunnerlittchen, dachte ich, dir und deinen Schergen möchte ich nicht des Nachts allein und wehrlos begegnen. Aber ich nahm mich zusammen und dachte, ruhig, nur Herr der Lage bleiben, nur nicht einschüchtern lassen. Der Zuhälter musterte uns, nickte herablassend von meiner Begleiterin Almut und mir zum Auto und sagte nur: "Tennbagh." Ob seiner Unverfrorenheit bei fehlender Bildung und der Geringschätzigkeit, mit der er uns aus seinen Schlitzaugen anstierte, gefror nun mein Gesicht zum Pokerface und ich dachte, du mieser Zuhälterfettwanst, dir werd ich's zeigen. Lern du erst mal anständig ten bucks sagen, bevor du zwei Frauen, die eindeutig schlauer sind als du, unverschämte zehn CUC für die Strecke nach Santiago abknöpfen willst, und glaub ja nicht, dass ich Angst vor deinem gemeinen Babyface habe. All diese Gedanken legte ich in den Blick, mit dem ich ihm unverwandt in die Augen sah, während ich in meinem feinsten Iberospanisch sagte: "Wir waren bei sechs. Sechs und keinen Centavo mehr, sonst gehen wir halt zu Fuß." Der Fettwanst starrte zurück, wollte mich mit seinem Blick durchbohren, seine Augen sagten: "Du bist für mich nicht mehr als zwei Titten", und fragte: "Spanierinnen, was?" - "So was Ähnliches", entgegnete ich, ohne den Blick zu senken. Nach einigen Sekunden des Schweigens, das nur vom leicht durch den heißen Staub säuselnden Wind untermalt wurde, hatten wir gewonnen. Ohne den Blick von mir zu wenden - ich war wirklich noch nie mit so viel Gemeinheit und Missbilligung angeschaut worden - bedeutete der Patron seinem Jinetero und einem weiteren Angestellten, der sich als Fahrer entpuppte, mit einer Kopfbewegung, uns für sechs CUC nach Santiago zu fahren. Meine Knie zitterten ein wenig nach dem Blickgefecht, auch vor Wut, dass wir uns auf solch zwielichtige Gestalten einlassen mussten. Und ganz gebannt schien die Gefahr noch nicht. Ohne es auszusprechen, wussten Almut und ich beide, dass wir den gleichen Gedanken hatten: Hoffentlich fahren die uns jetzt nicht sonstwo hin, vergewaltigen uns und rauben uns aus. Also: Pokerface bewahren, auf alles gefasst sein!
Es ging gut. Außer ohrenbetäubend lauter Musik und dem unverhohlenen Angebot seitens des Betrunkenen, doch gleich noch ein kleines Nümmerchen zu schieben ("Dein Körper ist nämlich ganz gut"), wurde uns kein Leid zugefügt. Der Fahrer war sogar nüchtern. Endlich wieder im sicheren Gewimmel von Santiagos Plaza Dolores, atmeten wir beide tief auf und machten unserer Empörung über die Arten von Männern und Behandlung, denen wir soeben entkommen waren, lauthals Luft. Es sollte gottlob unsere einzige Erfahrung mit derart zwielichtigem Volk während der Reise bleiben. Es gibt jedoch auf Kuba, und das bestätigt einem jeder Kubaner, eine Spezies, die fast ebenso unangenehm sein kann wie die trüben Gestalten am Rand des Gesetzes: Die sogenannten Hüter des Gesetzes. Weil der Eintrag droht, Überlänge zu bekommen, beschneide ich ihn hier und mache einen hübschen Zweiteiler daraus. Gleich geht's weiter!

Freitag, 15. Mai 2009

Geschichten aus Kuba. Erster Teil: Das Prinzip Mi Amor oder wie man sich (k)einen Kubaner angelt

Ja, verehrte Leser, damas y caballeros, ich will Ihnen nicht vorenthalten, wie das abzusehende Ende des letzten Eintrags aussah: Natürlich bin ich eingeschlafen, und erwachte bei strahlendem Sonnenschein genau zu dem Zeitpunkt, als ich mit meiner charmanten Reisebegleitung am Checkin-Schalter von Airfrance verabredet war. Und mit einem Kopf, dessen Inhalt nichts Gutes verhieß. Ich habe es dann geschafft, irgendwie, es war verdammt knapp, und ich will nie mehr Alkohol vor einem längeren Flug trinken.
Nun also Kuba, ay! Cuba. Wie sollte ich je all die Zeit aufbringen, um alle Geschichten zu erzählen, die es zu erzählen gäbe von dieser wunderbaren, wundersamen und grausamen Insel. Ich fange einfach in der Mitte an, womit dann vielleicht auch schon das Ende erreicht ist, aber der Alltag tritt sich schon die Füße an der Schwelle ab, und es bleibt wenig Zeit, bis er wieder im Hause ist und alles in seinen Bann zieht. Vorher also noch geschwind:


Das Prinzip Mi Amor

Ich kann jeder heiratswilligen Frau, die dem Speeddating sowie einer gewissen Beschränkung auf das Oberflächliche in Sachen intersexueller Annäherung im Grundsatz nicht abgeneigt und nicht gerade völlig insolvent ist, nur Folgendes raten: Fahren Sie nach Kuba. Ziehen Sie sich etwas Nettes an, ein Kleid ist ideal, muss aber nicht sein. Sie müssen weder blendend aussehen noch besonders gut Spanisch sprechen, das ist nicht so wichtig. Gehen Sie einfach auf die Straße und laufen Sie dort wiegenden Schrittes, nicht zu schnell, auf und ab. Sollte Ihnen die sich nach wenigen Minuten bietende Auswahl pfeifender, schnalzender und kontaktwilliger Männer dort nicht gefallen, probieren Sie es einfach ein paar Straßen weiter oder auch einmal in der nächsten Stadt. Sagt Ihnen ein Exemplar zu, können Sie schon nach etwa einer halben Stunde zur Planung der Überführungsformalitäten nach Europa übergehen. Sie müssen lediglich das Geld für sein Flugticket zuschießen. Wenn Sie aber mal eine Pause von den Strapazen des karibischen Heiratsmarktes brauchen, versuchen Sie, möglichst schnell und unbemerkt Ihre Unterkunft zu erreichen und bleiben Sie dort, bis Sie sich erholt haben - setzen Sie sich auf keinen Fall in ein Café, eine Bar oder gar auf eine Parkbank!
Das Gute an all dem ist: Man muss auf Kuba niemals allein sein. Man findet immer Gesellschaft, und es geht dabei nicht immer nur um das Eine. Und die allermeisten Kubaner sind in fast jeder Situation zu einem Schwatz aufgelegt. Dabei zeigen sie ihrem Gesprächspartner (m/w) gern, wie lieb und teuer er/sie ihnen ist, indem sie ihn/sie mit Kosenamen bedenken, die sich sämtlich etwa mit "mein Schatz, mein Liebling" übersetzen ließen. Dabei spielt die Vertrautheit oder die Dauer der Bekanntschaft der Kommunizierenden keine Rolle. Man muss einander auf Kuba nicht kennen, um des anderen Schatz zu sein. Man muss dem anderen auch nichts Nettes sagen wollen, um ihn dabei Schatz zu nennen.
Ich kam irgendwann an den Punkt, an dem ich beschloss, es einfach genauso zu machen. Eigentlich bin ich ein Gegner partnerschaftlicher Kosenamen, aber schließlich ging es für mich hier ja gar nicht um Partnerschaften und außerdem passe ich mich gern meinem Umfeld an. Als wir also eines schönen Abends im idyllischen Remedios auf der Terrasse einer Bar saßen, dauerte es nicht lange, bis wir von einer kleinen Gruppe ins Gespräch gezogen wurden. Diesmal waren sogar auch Frauen dabei, zwei Paare, um genau zu sein. Der Mann des einen Paares machte gemeinsam mit einem weiteren Singlemann (dessen Alkoholpegel etwa dem von 15 Dosen Bier entsprach) alle möglichen absurden Vorschläge, wie man den nächsten Tag gemeinsam mit allen Anwesenden gestalten könnte. Das wollten wir, meine Begleitung Almut und ich, aber gar nicht. Wir wollten den nächsten Tag absolut nur zu zweit gestalten. Da unsere aufdringlichen Gesprächspartner aber nicht locker ließen, beschloss ich irgendwann, es nun einmal auf die vermeintlich kubanischere Art zu versuchen und sagte in etwas barscherem Ton zu dem Paarmann: "Nein, mi amor, ihr werdet morgen nirgendwo mit uns hinfahren. Wir fahren allein." Huch, da hatte ich aber was falsch gemacht! In plötzlich aufgeregtem Gezeter fuhr man mich an - nicht etwa ob des Inhalts meiner Worte, nein, es ging um den einen Ausdruck: "He, das darfst du nicht sagen, er ist nicht dein Schatz, er ist ihr Schatz!" Mit Verweis auf die blondgefärbte Begleiterin des Paarmannes. Ich murmelte irgendeine Entschuldigung, dachte aber, meine Güte, ich werde hier ständig verbal gekost, was aus meiner Sicht absolut keine Bedeutung haben kann, darf aber nicht mi amor zu einem sagen, dessen echte amor dabei sitzt. Okay, versuche ich zu verstehen.
Ich lernte die Lektion dann noch bei anderer Gelegenheit zu Ende bzw. erfasste ihren vollen Inhalt: Schon einige Male war mir aufgefallen, dass Kubaner Sätze, die sich an einen - gern unbekannten - Gesprächspartner richten, am liebsten mit "mi vida" beenden, "mein Leben". Etwa: "Ja richtig, ein Kilo kostet 5 Pesos, mi vida." Ich hatte das als besagtes, für meine zentraleuropäischen Begriffe übertriebenes verbales Gekose abgetan. Die wahre Bedeutung dieses Anhängsels erschloss sich mir aber erst auf einer nächtlichen Gewaltfahrt, deren Geschichte ein andermal erzählt werden soll, während der unser kubanischer Begleiter (ein Freund) sich aus dem Fenster lehnte und eine ihm durchaus nicht bekannte Passantin fragte: "Ist das die Straße zur Polizeistation, mi vida?" Pling! machte es da in meinem Kopf: Nicht Liebe, sondern Leben ist also die übliche Koseform für jedermann auf Kuba, und mehr als das, es ist die übliche Anrede. Wo wir Deutschen uns mit einem verkorkst-gehaltlosen Tschuldigung zu behelfen versuchen und der Franzose immerhin noch ein elegantes Monsieur/Madame zur Hand hat, fahren die Kubaner gleich alles auf: Ich kenne dich nicht, aber du bist mein Leben, und wenn ich dich schon nicht gleich lieben kann, so bedeutest du mir doch so viel wie der Pulsschlag meines Herzens, auch wenn ich dich nur nach dem Weg frage.
Um also noch einmal auf die Strategien der Partnersuche auf Kuba zurückzukommen: Wenn Ihnen einer besonders gut gefällt und keine zu ihm gehörige Frau in Sicht ist, nennen Sie ihn meine Liebe. Wenn einer Ihnen nicht so gut gefällt und Sie ihn freundlich oder auch nicht so freundlich zurückweisen wollen, nennen Sie ihn mein Leben. Und halten Sie sich nicht mit eventuellen ethischen Fragen an Ihr Empfinden auf, was Ihnen denn nun wichtiger ist: Leben oder Liebe.

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