Ja, verehrte Leser, damas y caballeros, ich will Ihnen nicht vorenthalten, wie das abzusehende Ende des letzten Eintrags aussah: Natürlich bin ich eingeschlafen, und erwachte bei strahlendem Sonnenschein genau zu dem Zeitpunkt, als ich mit meiner charmanten Reisebegleitung am Checkin-Schalter von Airfrance verabredet war. Und mit einem Kopf, dessen Inhalt nichts Gutes verhieß. Ich habe es dann geschafft, irgendwie, es war verdammt knapp, und ich will nie mehr Alkohol vor einem längeren Flug trinken.
Nun also Kuba, ay! Cuba. Wie sollte ich je all die Zeit aufbringen, um alle Geschichten zu erzählen, die es zu erzählen gäbe von dieser wunderbaren, wundersamen und grausamen Insel. Ich fange einfach in der Mitte an, womit dann vielleicht auch schon das Ende erreicht ist, aber der Alltag tritt sich schon die Füße an der Schwelle ab, und es bleibt wenig Zeit, bis er wieder im Hause ist und alles in seinen Bann zieht. Vorher also noch geschwind:
Das Prinzip Mi Amor
Ich kann jeder heiratswilligen Frau, die dem Speeddating sowie einer gewissen Beschränkung auf das Oberflächliche in Sachen intersexueller Annäherung im Grundsatz nicht abgeneigt und nicht gerade völlig insolvent ist, nur Folgendes raten: Fahren Sie nach Kuba. Ziehen Sie sich etwas Nettes an, ein Kleid ist ideal, muss aber nicht sein. Sie müssen weder blendend aussehen noch besonders gut Spanisch sprechen, das ist nicht so wichtig. Gehen Sie einfach auf die Straße und laufen Sie dort wiegenden Schrittes, nicht zu schnell, auf und ab. Sollte Ihnen die sich nach wenigen Minuten bietende Auswahl pfeifender, schnalzender und kontaktwilliger Männer dort nicht gefallen, probieren Sie es einfach ein paar Straßen weiter oder auch einmal in der nächsten Stadt. Sagt Ihnen ein Exemplar zu, können Sie schon nach etwa einer halben Stunde zur Planung der Überführungsformalitäten nach Europa übergehen. Sie müssen lediglich das Geld für sein Flugticket zuschießen. Wenn Sie aber mal eine Pause von den Strapazen des karibischen Heiratsmarktes brauchen, versuchen Sie, möglichst schnell und unbemerkt Ihre Unterkunft zu erreichen und bleiben Sie dort, bis Sie sich erholt haben - setzen Sie sich auf keinen Fall in ein Café, eine Bar oder gar auf eine Parkbank!
Das Gute an all dem ist: Man muss auf Kuba niemals allein sein. Man findet immer Gesellschaft, und es geht dabei nicht immer nur um das Eine. Und die allermeisten Kubaner sind in fast jeder Situation zu einem Schwatz aufgelegt. Dabei zeigen sie ihrem Gesprächspartner (m/w) gern, wie lieb und teuer er/sie ihnen ist, indem sie ihn/sie mit Kosenamen bedenken, die sich sämtlich etwa mit "mein Schatz, mein Liebling" übersetzen ließen. Dabei spielt die Vertrautheit oder die Dauer der Bekanntschaft der Kommunizierenden keine Rolle. Man muss einander auf Kuba nicht kennen, um des anderen Schatz zu sein. Man muss dem anderen auch nichts Nettes sagen wollen, um ihn dabei Schatz zu nennen.
Ich kam irgendwann an den Punkt, an dem ich beschloss, es einfach genauso zu machen. Eigentlich bin ich ein Gegner partnerschaftlicher Kosenamen, aber schließlich ging es für mich hier ja gar nicht um Partnerschaften und außerdem passe ich mich gern meinem Umfeld an. Als wir also eines schönen Abends im idyllischen Remedios auf der Terrasse einer Bar saßen, dauerte es nicht lange, bis wir von einer kleinen Gruppe ins Gespräch gezogen wurden. Diesmal waren sogar auch Frauen dabei, zwei Paare, um genau zu sein. Der Mann des einen Paares machte gemeinsam mit einem weiteren Singlemann (dessen Alkoholpegel etwa dem von 15 Dosen Bier entsprach) alle möglichen absurden Vorschläge, wie man den nächsten Tag gemeinsam mit allen Anwesenden gestalten könnte. Das wollten wir, meine Begleitung Almut und ich, aber gar nicht. Wir wollten den nächsten Tag absolut nur zu zweit gestalten. Da unsere aufdringlichen Gesprächspartner aber nicht locker ließen, beschloss ich irgendwann, es nun einmal auf die vermeintlich kubanischere Art zu versuchen und sagte in etwas barscherem Ton zu dem Paarmann: "Nein, mi amor, ihr werdet morgen nirgendwo mit uns hinfahren. Wir fahren allein." Huch, da hatte ich aber was falsch gemacht! In plötzlich aufgeregtem Gezeter fuhr man mich an - nicht etwa ob des Inhalts meiner Worte, nein, es ging um den einen Ausdruck: "He, das darfst du nicht sagen, er ist nicht dein Schatz, er ist ihr Schatz!" Mit Verweis auf die blondgefärbte Begleiterin des Paarmannes. Ich murmelte irgendeine Entschuldigung, dachte aber, meine Güte, ich werde hier ständig verbal gekost, was aus meiner Sicht absolut keine Bedeutung haben kann, darf aber nicht mi amor zu einem sagen, dessen echte amor dabei sitzt. Okay, versuche ich zu verstehen.
Ich lernte die Lektion dann noch bei anderer Gelegenheit zu Ende bzw. erfasste ihren vollen Inhalt: Schon einige Male war mir aufgefallen, dass Kubaner Sätze, die sich an einen - gern unbekannten - Gesprächspartner richten, am liebsten mit "mi vida" beenden, "mein Leben". Etwa: "Ja richtig, ein Kilo kostet 5 Pesos, mi vida." Ich hatte das als besagtes, für meine zentraleuropäischen Begriffe übertriebenes verbales Gekose abgetan. Die wahre Bedeutung dieses Anhängsels erschloss sich mir aber erst auf einer nächtlichen Gewaltfahrt, deren Geschichte ein andermal erzählt werden soll, während der unser kubanischer Begleiter (ein Freund) sich aus dem Fenster lehnte und eine ihm durchaus nicht bekannte Passantin fragte: "Ist das die Straße zur Polizeistation, mi vida?" Pling! machte es da in meinem Kopf: Nicht Liebe, sondern Leben ist also die übliche Koseform für jedermann auf Kuba, und mehr als das, es ist die übliche Anrede. Wo wir Deutschen uns mit einem verkorkst-gehaltlosen Tschuldigung zu behelfen versuchen und der Franzose immerhin noch ein elegantes Monsieur/Madame zur Hand hat, fahren die Kubaner gleich alles auf: Ich kenne dich nicht, aber du bist mein Leben, und wenn ich dich schon nicht gleich lieben kann, so bedeutest du mir doch so viel wie der Pulsschlag meines Herzens, auch wenn ich dich nur nach dem Weg frage.
Um also noch einmal auf die Strategien der Partnersuche auf Kuba zurückzukommen: Wenn Ihnen einer besonders gut gefällt und keine zu ihm gehörige Frau in Sicht ist, nennen Sie ihn meine Liebe. Wenn einer Ihnen nicht so gut gefällt und Sie ihn freundlich oder auch nicht so freundlich zurückweisen wollen, nennen Sie ihn mein Leben. Und halten Sie sich nicht mit eventuellen ethischen Fragen an Ihr Empfinden auf, was Ihnen denn nun wichtiger ist: Leben oder Liebe.
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