Manch einer mag sich schon gefragt haben, ob er denn noch irgendwann erscheint, der dritte Teil der Kuba-Trilogie. Oder ob Fraunoelle sich da nur einen werbewirksamen Scherz ausgedacht hatte, als sie immer wieder etwas von einem ominösen Rucksack einfließen ließ in ihre Kubaerzählungen, von dem sie aber nie wirklich zu erzählen gedachte. Aber nein, hochverehrtes Publikum: Hier ist sie, die Geschichte vom verschwundenen Rucksack und dem nicht vorhandenen Grips der Polizisten auf Kuba. Sí Comandante, wenn Sie das lesen, möchte ich hiermit voll und ganz zu dieser meiner Meinung stehen: Ihre Polizisten sind zu 95% völlig gripslos. Und den Ihrer Insel nicht kundigen deutschen Lesern sei nun erzählt, wie ich zu dieser Überlegung gelangte.
Es lag wohl daran, dass meine charmante Begleitung Almut und ich einfach schon zu viele Kilometer gefahren waren bei tropischen Temperaturen, zu wenig geschlafen hatten und noch zu viele Kilometer hinter uns bringen mussten. Es war der letzte Urlaubstag, Havanna wollte erreicht werden, um am nächsten Tag dann ganz von uns verlassen zu werden. An einem schäbigen Rastplatz, Kilometer 172 vor Havanna, hielten wir an, um unsere Blasen zu leeren und sie von oben neu zu füllen. Und irgendwie blieb er dort stehen, Almuts kleiner Rucksack, ihr Handgepäck, unter dem Tisch. Keine von uns dachte in jenem Moment an ihn, wir stiegen wieder ins Auto, Almut schlief sofort ein und wir beide erwachten erst wieder so recht, als unser Hinterreifen platzte, mitten im schon erreichten Stadtverkehr der Hauptstadt, in der letzten abendlichen Hitze. Und als wir uns dann endlich all den Schweiß des Reifenwechsels und der Fahrt und den Staub der Straße abwaschen wollten, bemerkten wir sein Fehlen, das des Rucksacks. Und nun kommt der entscheidende Satz, den müssen Sie sich merken: Der Pass war nicht drin gewesen im Rucksack. Dafür aber andere schöne Dinge, wie Adressen, Musik, Telefon und so weiter, und vor allem: der Vertrag für unseren Mietwagen, bei dessen Verlust wir 100 Euro hätten bezahlen müssen.
Und wir beide wussten plötzlich, wo er geblieben war, nämlich an dem Rastplatz unter dem Tisch, und wahrscheinlich wussten wir auch beide, dass er schon längst nicht mehr dort stehen, sondern in einen dankbaren kubanischen Haushalt oder Schwarzmarktzweig übergegangen sein würde. Dennoch sagte Almut, und ich pflichtete ihr sofort bei: "Ich muss dahin zurück."
Und so fuhren wir denn, dreckig, hungrig, erschöpft, besorgt, in die Dämmerung hinein, 172 Kilometer auf schlechter Autopista nacional zurück. Netterweise bei uns war Vladímir, unser Herbergsvater aus Havanna. Natürlich war der Rucksack nicht mehr da, und wir fanden ihn auch nicht bei ausgiebiger Suche im Dunkeln in dunklen Ecken, Mülleimern und Kloschüsseln. Aber eine Art Wachmann riet uns, im nahen Polizeirevier den Diebstahl zur Anzeige gegen Unbekannt zu bringen, damit wir darüber eine Bescheinigung bekämen und nicht die Strafe für den Verlust des Mietwagenvertrags zahlen müssten. Netter Rat, den wir sogleich befolgten. Aber nein, sogleich, so gleich, ging das überhaupt nicht. Die Befolgung jenes nett gemeinten Rates dauerte zweieinhalb Stunden. Und zurück in Havanna waren wir dann um zwei Uhr morgens. Das war unser letzter Abend, ohne Essen.
Als wir nach einigem Durchfragen endlich das Polizeirevier in dem gottverlassenen nächtlichen Provinzkaff gefunden hatten, das dem Rastplatz am nächsten lag, versammelte sich, nachdem zunächst gar niemand da zu sein schien, erst einmal die gesamte Mannschaft, um uns etwa drei Minuten lang zu begaffen. Mein sogleich unternommener Versuch, dem Oberwachtmeister unser Problem zu schildern, wurde von dessen Seite komplett ignoriert. Er sah mich zwar an, während ich redete, wandte sich dann aber an den uns begleitenden Mann und fragte, was geschehen sei. Vladímir antwortete netterweise, dass alles so sei, wie ich es gerade erklärt hätte, und dass wir deshalb hier seien, um eine Anzeige gegen Unbekannt zu erstatten, dass er selbst aber mehr ein zufälliger Begleiter sei und mit der Geschichte eigentlich gar nichts zu tun habe. Und eigentlich bräuchten wir auch nur das Formular über die Anzeige zur Vorlage beim Autovermieter.
Die Angehörigen der Polizeistationsbelegung, immer noch vollzählig anwesend, wechselten daraufhin vielsagende Blicke und nichtssagende Worte, bedeuteten uns, Platz zu nehmen, verließen den Raum und ließen uns erst einmal etwa 20 Minuten warten. Schließlich durften wir uns nacheinander zur Befragung in einen schäbigen Raum mit einem Polizisten im Unterhemd und einer rostigen Schreibmaschine begeben: Ich, die ich nicht die Bestohlene war, Almut, für die ich alle Fragen noch einmal dolmetschte, und Vladímir, der mit der ganzen Sache gar nichts zu tun hatte, sondern nur aus Nettigkeit mitgekommen war. Und der Polizist im Unterhemd mit der rostigen Schreibmaschine stellte jedem von uns exakt die gleichen Fragen, in exakt dem gleichen Tonfall, und er bekam immer exakt die gleichen Antworten darauf. Unter seinen Fragen waren: "Sie stellten also den Rucksack unter den Tisch?", "Was war in dem Rucksack?" und "War in dem Rucksack Ihr Pass?" Letzteres hatte ich übrigens schon einmal vor der offiziellen Befragung verneint, ich wiederhole auch für den an unserem Schicksal interessierten Leser gern noch einmal: Es befand sich kein Pass in jenem Rucksack, nein. Zwischendurch musste die Befragung unterbrochen werden und alle mussten draußen warten, bis der Schlüssel zum einzigen Raum mit Klimaanlage gefunden war. Spätestens als ich die dritte Frage für Almut übersetzte und bemerkte, dass bis hierhin die Befragung identisch mit meiner verlief, hielt ich das Ganze für eine Art Komödie. Der hemdlose Polizist setzte auch bei jeder sich wiederholenden Frage genau die gleiche Mimik auf, vielleicht hatte er keine andere. Es sollte aber gar nicht lustig sein, und der Schweißgeruch unter meinen Achseln und das Loch in meinem Magen waren auch langsam nicht mehr lustig.
Nach Ende der Befragung mussten wir noch einmal etwa 30 Minuten warten, bis wir dann endlich ein auf der rostigen Schreibmaschine mit vielen Tippfehlern verfasstes Zeugnis unserer Mühen in Händen hielten. Immerhin: Es sollte uns am nächsten Tag tatsächlich 100 Euro ersparen. Vladímirs Mutter, die mit ihm die Pension in Havanna führte, hatte schon etwa sechsmal besorgt angerufen (vielleicht befürchtete sie ein klein wenig, wir hätten ihren Sohn für immer entführt und würden ihn nun als tropischen Lustknaben missbrauchen) und war inzwischen wohl vorm Fernseher eingeschlafen. Zum allgemeinen Frustausgleich besorgten wir uns noch ein paar Wegbier, und davon zischte ich mir dann auch zum ersten Mal in meiner Fahrerlaufbahn gleich zwei hinter dem Steuer, und als wir am Kontrollposten vorbeifuhren, klemmte ich die Bierdose einfach zwischen die Knie, war eh dunkel. Und sehen konnte ich auch nicht viel, meine viel zu lange getragenen Kontaktlinsen hatten begonnen, den Saft aus meinen Augen zu saugen, Gott – was machte es schon. Wir füllten den lieben Vladímir ordentlich mit Bier ab, vergewaltigten ihn nicht, sondern gaben ihn wohlbehalten wieder seiner in Sorge eingeschlummerten Mutter zurück und waren einfach sehr froh, dass wir nach all der Urlaubsjause und -sause ganz ohne Sport so viele Kalorien verbrannt und auch einiges von dem materiellen Ballast, den der westliche Urlauber zuhauf mit sich herumschleppt, für immer losgeworden waren. Aber der Pass war nicht drin gewesen im Rucksack, und deshalb konnten wir beide auch am folgenden Tag wieder nach Hause zurückfliegen, und dort bin ich jetzt auch schon wieder seit geraumer Zeit. So lange kann es manchmal dauern, bis gewisse Geschichten erzählt sind. Nun können wir uns endlich wieder dem Hiesigen widmen.
Montag, 8. Juni 2009
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