Donnerstag, 15. Dezember 2011

Von der Christkalbung Mariens

 Treffen sich zwei Philologen (geschlechtsneutraler Plural). Der eine ist spanischer Germanist (SG), die andere deutsche Hispanistin (DH). Spontan einigen sie sich auf eine germanistische Semantikstunde.
SG: "Du, ich möchte lammen."
DH: "Oh, tut mir Leid, aber das wirst du nicht können."
SG: "Wieso, ich hab heute fast nichts gegessen."
DH: "Da verstehe ich die Verbindung nicht."
SG: "Na, ich lese gerade eine Geschichte über Werwölfe, und da heißt es, 'aus Angst vor dem Werwolf wollten die Schafe nicht mehr lammen'. Da habe ich gedacht, was für ein schönes Verb dafür, dass Schafe fressen, und gemerkt, dass ich auch Hunger habe."
DH: "Ah, aber nein, 'lammen' ist das Verb für das Gebären bei weiblichen Schafen. Wenn Schafe Junge kriegen, dann lammen sie. Sie bekommen Lämmer."
SG: "Ach! Und die Kuh?"
DH: "Kalbt."
SG: "Kalbt ein Kalb. Und das Pferd pfohlt?"
DH: "Nein, die Stute fohlt."
SG: "Wieso, ich dachte Pferd mit pf?"
DH: "Ja, Pferd, aber nicht Pfohlen."
SG: "Okay. Und der Esel?"
DH: "Die Eselin fohlt auch, die ist mit den Pferden verwandt."
SG: "Und die Sau?"
DH: "Ferkelt, ganz normal."
SG: "Und der Bulle?"
DH: "Der kriegt nichts. Der hat Hoden. Es scheint so zu sein, wenn ich es mir recht überlege, dass es im Deutschen jeweils ein spezifisches Verb für das Gebären bei Huftieren gibt. Denn Katzen und Hunde zum Beispiel werfen einfach, die haben kein spezifisches Verb."
SG: "Ach! Und was macht das Kamel?"
DH: "Nun, da das Kamel außerhalb der geographischen Notwendigkeitszone für ein deutsches Verb seines Gebärvorgangs heimisch ist, vermute ich, dass es auch einfach wirft oder Junge bekommt. Ich bin mir auch nicht sicher, ob das Kamel ein Huftier ist..."
SG: "Okay, was macht dann die Wildsau, die hat Hufe, und wie heißen noch mal die Jungen?"
DH: "Richtig, die müsste frischlingen. Macht sie aber nicht. Die wird wohl auch Junge kriegen. Der semantische Kreis scheint doch enger zu sein, nur domestizierte Huftiere aus dem engeren deutschen Sprachraum."
SG:  "Also prototypensemantisch gesprochen, plus Hufe, plus Nutztier, plus lebend in Deutschland, Österreich oder der deutschsprachigen Schweiz, minus wild lebend?"
DH: "So scheint es auf den ersten Blick. Allerdings muss man wohl anerkennen, dass auch die Wildeselstute fohlen kann und vielleicht die Hirschkuh oder, Gott bewahre, am Ende sogar die Seekuh kalben könnten."
SG: "Womit wir mit der protosemantischen Eingrenzung wieder bei Adam und Eva wären."
DH: "In der Tat. Frustrierend. Da glaubt man, einmal das Universum in die Nussschale gepackt zu haben und bamm, ein neuer Urknall."
SG: "A propos Schöpfung. Gott müsste doch wohl menschen?"
DH: "Pfff... Also, beim Geschlecht und der daraus resultierenden Gebärfähigkeit Gottes würde ich ja ein Auge zudrücken, aber aus lexikologischer Sicht erlaube ich mir die Korrektur, dass Gott kinden müsste."
SG: "Ohne Zweifel, aber ich glaube, wir finden sogar einen größeren gemeinsamen Nenner: Maria christet!"
DH: "Formidabel! Brillant! Lass uns diese frohe Botschaft verbreiten!"
SG: "Darauf einen Dujardin."

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