Mittwoch, 23. November 2011

Hispania III: In Öl oder in Aspik?

Das Thema geht ja gut im literarischen Genre der Schwänke aus binationalen Beziehungen: Schwiegereltern und Essen. Das sind ja zwei Themen, werden Sie sofort spitzfindig ausrufen. Gehören aber in diesem Fall zusammen wie Eiweiß und Eigelb. Denn merke: Nichts (außer vielleicht dem Humor) unterscheidet uns mehr von unseren europäischen Brüdern und Schwestern als unsere Essensgewohnheiten. Sie erinnern sich vielleicht an "Maria, ihm schmeckt's nicht" von Jan Weiler. Eben. Da muss der arme deutsche Schwiegersohn mit dem komischen italienischen Essen fertig werden. Oder nehmen Sie "Meine kaukasische Schwiegermutter" von Herrn Kaminer. Der erzählt dort unter anderem, wie schwierig es ist, im Kaukasus fachgerecht Melonen zu essen und dass man dabei unbedingt das Geschlecht der Melone beachten muss. Dabei ist der Herr Kaminer selbst ein Russe, eigentlich.
Nun ist es ja gottlob so, dass sich bei Partnern aus verschiedenen Kulturen der nicht in seinem Heimatland Lebende in der Regel an sein Gastland zumindest teilweise anpasst. Ich persönliche lobe mir diese Regel, denn anderenfalls käme ich als Fetischist des gemeinsamen üppigen Sonntagsfrühstücks daheim mit Sergio wohl kaum auf meine Kosten. Der gemeine Spanier frühstückt ja gern nur ein Glas Wasser, bestenfalls noch eine kleine tostada mit Öl, wirklich gegessen wird erst später was. Kaum ein Europäer hingegen, zumindest nicht südlich des Ärmelkanals, frühstückt so viel und so lang wie der Deutsche. Hand aufs Herz, haben Sie sich nicht auch im vergangegen Jahr mindestens fünfmal zum Frühstücken oder Brunchen verabredet? Wobei Brunchen ja nur der Ausredebegriff für Spätaufsteher ist, die gereichten Speisen und deren Mengen unterscheiden sich kaum. Leckere Brötchen aus verschiedenen Mehlsorten, zwei bis drei pro Person, dazu Marmeladen- und Honiggläschen, Käse, Wurst, Schinken, Eier, rohes Gemüse in Scheiben, fertig angemachtes Müsli mit Joghurt und Früchten, dazu Kaffee oder Tee, Saft und eventuell Sekt sollten schon bereit stehen, sonst gilt der Tisch als eher kärglich gedeckt. Das Essen all dieser Speisen darf sich dann gern über mehrere Stunden erstrecken, und wenn gerade nicht Sonntag ist, darf der Tag dennoch für die meisten hierzulande nicht ohne eine Scheibe Brot mit was drauf beginnen; manch einer soll sogar den Luxus eines Familienmitglieds haben, das jeden Morgen frische Brötchen vom Bäcker holt.
Mir war nun schon öfter aufgefallen, dass wir in puncto Frühstück höchstens mit den Briten, wenn die uns das Dazustellen eines Marmeladengläschens bei gleichzeitigem Wegnehmen eines Würstchens pro Kopf gestatten, die europäische Einigung vollziehen können. Während meines Italienaufenthaltes sorgte ich unter den übrigen Wohnheimbewohnerinnen für einiges Tuscheln und hin und wieder neugierig-fassungslose Fragen ob meines in seiner Üppigkeit schon stark reduzierten Brotfrühstücks mit Käse. Die lieben Italienerinnen tauchten in schöner Herdeneinigkeit stoisch morgens ihren Keks in den Kaffee und nahmen weiter nichts zu sich. Der Deutsche müsste also schon von seinem Frühstück recht mollig sein, wird sich der Südeuropäer denken. Und wenn er kein Frühstück bekommt, neigt er zur schlechten Laune. Da ist was dran. Aber ha, es gibt ja noch ein paar andere Mahlzeiten am Tag! Und da sind wir nun wirklich unkompliziert, essen wir doch die Speisen aller Herren Ländern fast häufiger als unsere eigenen (oder erinnern Sie sich an Ihren letzten Sauerbraten? Nein? Aber ans Falafel, oder?) und sind meist auch in der Uhrzeit recht flexibel.
Das ist beim gemeinen Mittelmeerbewohner schon anders. Ich hatte da während des Auslandsstudiums schon so einige Erfahrungen mit Italienern gemacht, die alle naselang von Frankreich heim nach Italien fuhren (immerhin fünf Stunden die einfache Zugfahrt), um – jawohl! Olivenöl, Pasta und Kaffee zu holen. Wenn es schon in Frankreich kein anständiges Essen gab, musste man wenigstens zusehen, dass man zum Kochen was Anständiges von zu Hause herbrachte. Man wäre sonst vom Fleische gefallen, wie hätte man sich von dem Fraß aus französischen Supermarktregalen ernähren sollen. Und jeder Italiener hatte natürlich seine eigene caffettiera mit, die kleine Alukanne. Ehrensache. Heiligtum.
Heilig sind dem Spanier, um wieder zur Nation im Zentrum meines Interesses zurückzukehren,  auch und vor allem seine Essenszeiten. Fahren Sie mal nach Spanien und versuchen Sie, zwischen 17 und 19 Uhr was zu essen zu bekommen. Fehlanzeige. Se come a las tres, se cena a las diez. Mittag um 15 Uhr, Abend um 22 Uhr. Mag uns komisch und vor allem reichlich spät vorkommen, ist aber so. Deshalb sollte man auch tunlichst zusehen, dass man während des Spanienurlaubs je eine Viertelstunde vor drei und vor zehn seinen Tisch eingenommen hat, denn dann wird es schlagartig so voll und die Kellner so vielbeschäftigt, dass man sich schon durchsetzen können muss, um anständig bedient zu werden. Und wer zu spät kommt, den bestraft dann eben der Hunger.
Eine weitere interkulturelle gastronomische Differenz ergibt sich nicht selten aus den jeweiligen Vorlieben für gewisse Zutaten des Essens, deren Menge und Aggregatzustand. Beispiel: Sergio und seine Mutter sind, wie die meisten Spanier, davon überzeugt, etwas in der Pfanne zu Bratendes – was auch immer das sei – müsse in Öl schwimmen. Nicht liegen. Schwämme es nicht, würde es anbrennen, so die Überzeugung, gegen die ich mich anfangs zu stemmen versuchte mit dem Hinweis, ich könne nicht immer so fettige Speisen essen, mein zarter deutscher Magen vertrage das nicht (und ich bin im Grunde nicht das, was man hier im Norden krüsch nennt). Und hinterher ist ja auch immer die Frage: Wohin mit dem ganzen Öl, das in der Pfanne zurückbleibt? In gut ausgestatteten mediterranen Haushalten (auch der Italiener wäre ja ohne Olivenöl nur ein halber Mensch, wie wir wissen) gibt es dafür einen extra Kanister, der dann vermutlich an irgendeiner geheimen Altölentsorgestelle entsorgt wird. Vielleicht kommt auch jemand vorbei wie mein iranischer Automechaniker, der ein Jahr lang sein Auto mit altem Bratöl betankte ("Schön billig, aber hinten stinkt wie Pommes!").
Ja, und worauf betten wir Nordischen gern unsere Speisen, wenn nicht gerade auf Butaris Butterschmalz? Nun, eine sehr traditionelle und zünftige Art der Speisenbettung war sehr beliebt in meiner niederrheinischen Heimat, und ich verkaufte sie gern und oft in meiner Zeit als Fleischerei-Aushilfe: Sülze, oder allgemeiner: Aufschnitt in Aspik. Dazu befüllt man einfach eine Plastikhülle in runder oder eckiger Form mit flüssiger Gelatine, schmeißt ein paar Gewürze, ein bisschen Gemüse und ordentliche Fleischbrocken rein und lässt das Ganze erkalten, fertig ist die Aspikwurst. So eine Schweinskopfsülze gehört schon auf eine ordentliche niederrheinische Schlachtplatte. Ja, und nun seien wir doch mal ehrlich: Öl mag unterm Strich dicker machen als Gelatine, aber welches andere schlagkräftige Argument will man als Mensch der modernen Gesellschaft, stamme man nun von nördlich oder süd(west)lich der Alpen, für in Aspik erstarrte, kalte Fleischklumpen, die kein bisschen erwärmt aufs Brot geschnitten werden, anführen? Und wenn dann in dem Glibber auch noch ein tatsächlicher Schweinskopf kleingeschnibbelt enthalten ist, kauft einem das Zeug hierzulande keiner unter 50 ab. Und der gute Spanier würde wohl den Schweinskopf essen, lecker Bäckchen, lecker Öhrchen, aber sowas gehört dann kross gebraten (jawoll, in Öl) und nicht in farblosem Glibber sterilisiert. Ich könnte noch anführen, dass ich es als Kind toll fand, dass man von außen quasi durch die Substanz der Wurst auf die Fleischbrocken gucken konnte, die da in ihrer erstarrten klaren Brühe schwebten. Ich fand auch diese durchsichtigen Telefone gut, bei denen das ganze technische Innenleben entzaubert vor einem lag. Aber habe ich die Sülze deshalb gemocht? Nun ja. Ich habe sie ein paarmal gegessen, quasi als ethnologische Studie. Als Aushängeschild der deutschen Gastronomiekultur empfehlen würde ich sie nicht.
Da wäre ja aber noch, wird nun die eifrige deutsche Hausfrau anführen, die gute Bratensoße, angerührt mit meinem Mondamin Fix-Soßenbinder. Die gehört ja wohl aufs Fleisch und erst recht auf die Kartoffeln, damit man sie darin zerdrücken kann. Und wenn's keinen Braten gibt, dann gibt es trotzdem auf jeden Fall eine Soße. Egal was drunter ist. Diese Tradition ist aus keiner deutschen Kantine wegzudenken. Auch die meisten italienischen Restaurants in Deutschland haben sich daran angepasst, weil dem deutschen Gast im Grunde nichts ohne Soße schmackhaft zu machen ist. Und wenn man absolut nicht weiß, wie  so eine Soße geht, dann gibt es die ja auch noch in hundert Varianten in der Flasche, Curry, Zigeuner, Steak oder Cocktail. Die spinnen, die Deutschen, hörte ich da schon manchen Südeuropäer sagen. Und bei uns zu Haus kommt so schnell keine Soße auf ein Stück Fleisch, auch die Kartoffeln werden vehement dagegen abgeschirmt. Ertränk doch Dein eigenes Essen, heißt es da panisch. Ha. Da haben wir ihn doch endlich am Wickel, den eigentlichen kulturellen Unterschied. Der echte Südländer ertränkt sein Essen während des Bratens und rettet es dann, der grausame Deutsche wartet, bis es tot und gar ist und ersäuft es dann noch mal extra.

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