Montag, 12. Mai 2008

Guten Tag, Herr Kakerlak

Ich liebe Südamerika. Nicht nur wegen der schönen Landschaft und der tollen Stimmung, sondern auch wegen der mutigen Männer dort. So ein Latin Macho ist doch noch ein richtiger Kerl. Zumindest, was den Umgang mit sechs- bis achtbeinigen Krabbeltieren angeht. Egal, ob Kakerlaken, Spinnen oder andere, sich unserem europäischen Benennungshorizont entziehende Spezies sich ins Zimmer eingeschlichen haben (bzw. sie prinzipiell dort wohnen, wo unsereins sich einschleicht): Ich sage einem männlichen Wesen in greifbarer Umgebung Bescheid, und er macht’s weg, ohne mit der Wimper zu zucken. Da brauche ich mich in meinen Ekel gar nicht groß hineinzusteigern. Einmal hatte ich in Brasilien eine Zecke in der Achselhöhle, und weil ich mich so geekelt habe, bin ich ins örtliche Krankenhaus gegangen (war mehr so eine Bretterkneipe mit Ambulanz, sehr kleiner Ort) und habe, zur Erheiterung der Anwesenden, mein Problem geschildert, mit erhobenem Arm. Und ein älterer Herr, der einfach nur so da rumsaß in dem Vorzimmer, wahrscheinlich weil’s kühler war als draußen, ist einfach aufgestanden und hat das Tier rausgezogen. Zack. Und geschmunzelt. Und ich dachte: Was für ein Mann!
Hierzulande ist frau mit solchen Problemen auf sich gestellt. Ich zumindest kenne hauptsächlich Männer, die sich mindestens genauso viel vor gewissen Tierchen ekeln wie ich selbst. Und in meinem Hamburger Zuhause wohnt ja gar kein Mann. Dafür ein Kakerlak, unten im Bad. Er ist da natürlich nicht allein, es ist ein altes, sicher nicht überall ganz dichtes Haus und das Bad liegt im Keller. Nachbarn des Kakerlaken sind etliche Spinnen und immer mal wieder ein paar Silberfischchen. Aber die Spinnen sind in der Regel so klein, dass ich sie unter ungefährlich abhaken kann, und die Silberfische kommen nur manchmal kurz aus ihrem Versteck, um die Lage zu peilen und verabschieden sich dann meist schnell wieder. Aber dieser Kakerlak, das ist ein ganz schlimmer. Führt sich auf wie der König des Kellers und weigert sich zu sterben.
Bei unserer ersten Begegnung habe ich ihn erst gar nicht erkannt, ich saß nämlich ohne Sehhilfe auf dem Klo und er saß auf dem Badewannenvorleger in zwei Metern Entfernung; ich hielt ihn für Dreck oder einen großen Flusen. Gut, dass ich meine Brille aufsetzte, bevor ich weitere Schritte unternahm, denn unterm Glas nahm der Flusen plötzlich Gestalt an und wurde zu diesem schwarzen Vieh! Blitzschnell kalkulierte ich meine Verteidigungs- und Rettungschancen und kam zu dem Schluss: Okay, du bist allein, niemand kann dir jetzt helfen, das hier ist ganz allein dein Ding. Und mit einem lauten „You are not welcome!“ nahm ich den Schrubber und fegte ihn erst mal an den Badewannenrand, trieb ihn in die Enge. Und dann, ich gestehe es, schlug ich ein paarmal mit dem Schrubber auf das Objekt meines Ekels ein, aber mit der Borstenseite. Als ich vorsichtig nachsah, lag der schwarze Krieger reglos am Boden. Ich wagte es nicht, die Leiche aufzuheben und zu entsorgen, daher fegte ich sie erst mal ein Stück weit hinter den Schrank, so dass sie wenigstens aus meinem Blickfeld verschwand. Endlich konnte ich in Ruhe meine Nachttoilette beenden.
Der findige Leser wird aber schnell – und richtig – vermuten, dass die Geschichte hier nicht zu Ende ist: Am Tag darauf war die Leiche auf seltsame Weise verschwunden. Mir schwante Schlimmes, ich versuchte aber, nicht zu viel drüber nachzudenken. Bis noch einen Tag später wer quietschfidel den Badewannenrand entlangspaziert? Richtig, der liebe Herr Kakerlak.
Zuerst überlegte ich, ihn einfach zu ingnorieren, mich ganz Herrin der Lage zu geben. Aber der kleine Schweinehund legte es offensichtlich auf Konfrontation an, er bog von seinem Weg ab und kam direkt auf mich zu. „Na gut, du willst es nicht anders“, warnte ich ihn und holte den Besen. Diesmal versuchte ich nicht, ihn zu erschlagen, sondern fegte ihn so geschickt in die Ecke zwischen Schrank und Badewanne, dass er nicht nur aus meinem Wirkungsbereich verschwand, sondern auch hilflos auf dem Rücken liegen blieb. Grausam, aber da ließ ich ihn zappeln. Verletzung fremden Herrschaftsgebiets muss bestraft werden, das wissen wir seit der jüngsten Andenkrise. Wieder führte ich dann meine Toilette zu Ende und versuchte, nicht an das strampelnde Etwas am anderen Ende des Raumes zu denken. Als ich mich aber zum Gehen wandte, kreuzte zu meinem Entsetzen ein schwarzer, unverwüstlicher Ninjakämpfer auf sechs Beinen meinen Weg. Dass er mich nicht frech angrinste, war alles. In der Hoffnung, dass er mir nicht auch dorthin folgen würde, verließ ich fluchtartig das Bad und rettete mich in mein Zimmer. Dort überlegte ich: Ich habe einen Territorialkonflikt mit einem Kakerlaken. Ist ein Territorialkonflikt nicht im Grunde auch ein Beziehungsproblem? Gerade wenn die Beteiligten nicht des anderen Sprache sprechen, reduzieren sich persönliche Probleme schnell auf die reinen Besitzverhältnisse. Vielleicht müsste ich also einfach ganz offen mit ihm über das reden, was mich an ihm stört. Aug in Aug fällt mir sowas immer schwer, deshalb entschied ich mich für die Briefvariante, da kann man die Worte sorgfältig abwägen und der andere unterbricht einen nicht dauernd. Und so schrieb ich auf feinem Büttenpapier einen Brief an den Feind in meinem Bad, auf einem ganz kleinen Blatt in klitzekleinen Buchstaben, damit er hinterher nicht behaupten könnte, er habe Schwierigkeiten beim Lesen gehabt. und diesen Brief werde ich ihm unten in seine Ecke stellen, dorthin, wo ich ihn schon zweimal tot oder todgeweiht zurückgelassen geglaubt hatte. Ich gebe den Wortlaut hier wieder:

Werter Herr Kakerlak,
ich weiß mir nicht mehr anders zu helfen als mit diesem Brief an Sie. Ich kann verstehen, wenn Sie nicht gut auf mich zu sprechen sind, Sie haben in der Tat allen Grund dazu. Auch Hass Ihrerseits könnte ich nachvollziehen. Aber lassen Sie mich, bevor Sie diese Zeilen blind vor Wut in Stücke reißen, meinen Standpunkt erklären:
Es tut mir Leid – zumindest vom moralischen Standpunkt her gesehen – dass ich versucht habe, Sie umzubringen. Zweimal wollte ich Sie töten, und das mit einiger Brutalität, und zweimal sind Sie wie ein frecher Phönix aus der Pottasche flugs wieder auferstanden. Vielleicht hinken Sie nun ein bisschen, aber bestimmt haben Sie noch genug Manneskraft übrig, um viele kleine Kakerlakenkinder zu zeugen. Erfreuen Sie sich daran!
Denn ich versichere Ihnen, Herr Kakerlak: Meine Absicht, Sie zu töten, entsprang durchaus keinem Tötungswunsch aus einer perversen Lust an der Sache, sondern vielmehr einer sehr persönlichen, zutiefst menschlichen, vielleicht speziell weiblichen Schwäche: Sie sind mir zuwider. Dabei anerkenne ich Ihr Recht auf Existenz, letztlich auch das auf Grund und Boden, denn wir sind Teil einer Schöpfung und bewohnen denselben Planeten. Doch ich bitte Sie mit allem nötigen Respekt, diese meine eine Forderung zu akzeptieren: Ich will Sie nicht mehr sehen. Ich will Ihr Dasein nicht mehr sinnlich erfahren. Leben Sie meinethalben weiter Ihr Leben dort unten in dem Kellerraum, der mir als Bad dient, aber verschonen Sie mich in Zukunft mit Ihrem Anblick. Verstecken Sie sich einfach, wenn ich da bin, vielmehr ziehen Sie sich zurück, machen Sie von mir aus ein Nickerchen oder essen Sie still einen Silberfisch, was auch immer, aber sorgen Sie bitte dafür, dass meine Augen nicht mehr in Ihr mir zutiefst widerwärtiges Antlitz blicken müssen. Dann, Herr Kakerlak, können wir uns auf unserem gemeinsamen Territorium (zu dieser Konzession bin ich immerhin bereit) vielleicht zu unser beider Zufriedenheit arrangieren. Anderenfalls seien Sie gewarnt, dass ich auch zu drastischeren Schritten bereit sein werde. Bewaffnete Vertreter meiner Spezies – wir nennen sie Kammerjäger – werden nicht ruhen, bevor von Ihnen nur noch ein Häufchen Staub übrig ist, das sich kinderleicht unter den nächsten Teppich kehren lässt.

In Erwartung Ihrer Reaktion verbleibe ich mit freundlichen Grüßen,

Ihre Frau Nölle

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