Mittwoch, 18. August 2010

Fraunoelle wird fast berühmt, aber es geht sich nicht aus

Vielleicht käme ich auch gar nicht zurecht dort unten. Dieses Land ist nicht nur voller gefährlicher Berge, sondern auch voller sprachlicher Tücken. Ständig stampft man in Fettnäpfchen, wenn man seine vermeintliche Muttersprache spricht. Und die Einheimischen denken auch noch, man mache das extra und wolle sich auf snobistische Weise über sie lustig machen. Deshalb ist es vielleicht gut, dass ich dann doch nicht als Kulturbeitrag aus Deutschland eingeladen wurde in dieses Wiener Atelier.
Es ist nämlich so, dass ich in der Stadt am Steffl öfter zu Gast bin, freundschaftsbedingt. Der Freund ist einer der vielen Tausend deutschen Arbeitsmigranten in Österreich. Ich mag das Land auch ganz gern, meine österreichische Kinderfrau pflegte seinerzeit immer vorzüglich für mich zu kochen, da ging die Liebe für dieses unbekannte Land in den Bergen schon früh durch meinen Magen. Damals fand ich zwar schon die Sprache der guten Frau komisch, war aber noch zu jung, um die Gelegenheit zur regiolektalen Weiterbildung zu ergreifen. Und so fiel ich dann im Erwachsenenalter trotz frühkindlichen Sprachkontakts einige Male schmerzhaft auf die Touristennase. Am schlimmsten mit der Kolatsche.
Was Topfen ist, hat sicherlich ein höherer Prozentsatz der Deutschen durch irgendein kulinarisches Zusammentreffen einmal gelernt. Es ist ungefähr das, was wir Quark nennen. In Österreich serviert man ihn gern in Verbindung mit süßem Gebäck. So weit, so bekannt. Aber was, bitte, ist eine Kolatsche? Betonung liegt auf dem a, dieses wird lang ausgesprochen. Das Wort erinnert ein wenig an eine Mischung aus Datscha und Kot am Schuh. Ich sah es erstmals geschrieben an einer Backwarenauslage im Wiener Westbahnhof. Beim flüchtigen Lesen dachte ich wohl, der Name verheißt gar nichts Gutes, aber es sieht halt gut aus, und bestellte deshalb trotzdem, sogar ein wenig gespannt auf den Geschmack: "Also, ich hätte dann gern so eine Topfen-Klotasche". Solche Fehler findet gewiss nicht jeder Österreicher lustig, hätte ich denn überhaupt mit meinem absichtlichen Humor bei einem Auftritt jemanden dort zum Lachen bringen können?
Mehr als im nominalen Bereich habe ich inzwischen bei den österreichischen Phrasen gelernt. Aus der einen oder anderen würde ich glatt ein Bedürfnislehnwort machen. Meine Lieblingsphrase ist die, mit der man auch wunderbar den Grund für meine geplatzte Lesung im Wiener Atelier, sowie alle anderen Unpässlichkeiten der Welt erklären kann: Es ging sich nicht aus. Meine erste praktische Erfahrung mit etwas, das erst so aussah, als ginge es sich aus, sich aber dann doch nicht ausging, war im Winter. Wiener Winter, schöner Winter, wir wollten rodeln gehen, das konnte man zu jenem Zeitpunkt sogar auf Wiens verschneiten Straßen. Und eine Freundin meines Freundes bot sich an, Leihschlitten zu besorgen. Diese Vereinbarung abends getroffen, bekamen wir am nächsten Tag am Vormittag eine sms: "Geht sich alles aus mit rodeln, sag euch dann wo." Fein, dachten wir, mein deutscher Arbeitsmigrantenfreund und ich, es geht also alles klar mit den Leihschlitten. Dann können wir ja in Ruhe frühstücken.
Zeit verging, nach einer Weile wagten wir eine Nachfrage per sms, ob das denn nun noch hinhaue mit den Mietschlitten. Mein schon teilassimilierter Migrantenfreund schrieb hochangepasst: "Geht sich das denn noch aus?" Die Antwort kam schnell und präzis: "Eh." Dies ist nun, sei dem Nordgermanen erklärt, das viel österreichischere Wörtchen für unser deutschtümelndes "klar", "sicher" oder "natürlich". Wir trauten uns also nicht, forscher zu fragen und warteten ab. Schon dümpelte die frühe Januardunkelheit, als endlich der ersehnte Anruf kam: "Also tut mir leid, mitn Markus is' sich heut alles net ausgangen, ich glaub des geht sich jetzt auch nimmer aus mit Rodeln, also ich tät euch morgen anrufen, passt des eh?" "Klar, kein Problem", hätte ich wenn auch zähneknirschend geantwortet, "Ja, eh", sagte mein braver Migrantenfreund. Es hatte also, kurz ins umständlichere Deutsch übersetzt, Probleme oder Streit gegeben mit ihrem Freund, die dazu geführt hatten, dass sich die Schlitten-mietangelegenheit derart verzögerte, dass am Ende keine Zeit mehr dafür blieb. Und wenn irgendetwas sich nicht ganz ausgeht und man fühlt sich irgendwie schuldig daran, dann ist es höflich zu fragen, ob das passt. Und wenn man sich relativ sicher ist, dass es schon passen wird, dann fragt man gleich, ob des eh passt. Meistens wird man ein entwarnendes "eh" zur Antwort bekommen.
Besagter Migrantenfreund hatte nun, um endlich den erzählerischen Bogen zu schließen, die Idee, mich in seinem mit Kollegen gemieteten Wiener Atelier lesen zu lassen. Was wäre das eine Ehre gewesen, verehrter Leser, Fraunoelle live im Ausland! Aber, sie ahnen es schon: Zwischen den Atelierbewohnern hat es Zwist gegeben, wie Sie es noch vor dem Lesen dieses Eintrags formuliert hätten, jetzt aber vielmehr: Es ging sich nicht mehr aus zwischen denen. Nun steht mein Migrantenfreund ateliermäßig auf der Straße und ich nicht auf der Bühne. Denn wenn es sich zwischen denen nicht mehr ausging, konnte es sich natürlich auch mit meiner Lesung nicht ausgehen. Aber passt eh.

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