Sonntag, 19. September 2010

Hispania II: Mentalitätsnahes Beschmutzen und Putzen

Gibt es in Ihrem Haushalt Domestos? Nein? Clorix? Auch nicht? Dachte ich mir. Sie reinigen vermutlich mit Frosch-Reiniger oder einem ähnlichen Produkt, auf dem etwas von biologischer Abbaubarkeit steht. Und ich möchte fast wetten, dass Sie, wenn es die Wahl zwischen Papier- und Plastiktüten gibt, beherzt zum Papier greifen oder vielleicht sogar, das wäre schon sehr vorbildlich, einen Korb oder eine Stofftasche zum Einkaufen mitnehmen; vielleicht füllen Sie auch alle Einkäufe in Ihren Rucksack oder Ihre Fahrradtasche. Willkommen im modernen, umweltbewussten Deutschland der schöneren Schichten, die in den Achtzigern verängstigt ans Waldsterben geglaubt haben und wenn möglich gern die Wale retten wollen. Und für die eine sorgfältige Mülltrennung sehr viel sicherer ist als das Amen in der Kirche. Willkommen im zivilisierten Westeuropa.
Nun liegt Spanien ja eindeutig weiter im Westen als Deutschland, aber in puncto Umweltschutz denke ich manchmal, die Moderne ist dort noch nicht angekommen. Ist übertrieben, ich weiß. Aber umgekehrt leben wir aus spanischer Sichtweise einfach nur im Dreck. Und sind insofern zutiefst rückständig, als wir einfach den Komfort der Keimfreiheit nicht begriffen haben. Ich denke, das hat vor allem historische Gründe: Als Deutschland sich Gedanken um sauren Regen und das Waldsterben machte, hatte Spanien gerade ein paar francofreie Jahre und gleich den ersten Staatsstreich hinter sich; wer konnte, floh vom armen, dreckigen Land in die erwachenden Städte, ließ das Bauerndasein und die dunkle Vergangenheit zurück und leistete sich als erstes ein sauberes Wasserklosett, am besten mit Bidet. Sagt der Abort des Menschen doch alles über seine sonstige Lebensweise.
Zur gleichen Zeit erfuhr der recht fortschrittlich lebende Deutsche, dass die Atomenergie vielleicht sein Gemüse verseucht und dass eine Plastiktüte im Wald 300 Jahre braucht, um zu verrotten. Und es war ihm nicht egal. Zaghaft erst, dann zunehmend mit System, begann er, Plastik zu sparen, nahm fürs gemischte Obst vielleicht nur eine Tüte und packte die Bananen gleich gar nicht mehr ein, kehrte am Ende, aber das dauerte noch ein bisschen, sogar zur Papiertüte zurück. Meisterlich wurde der ökologisch besorgte Deutsche in der Mülltrennung, er wurde ein wahrer Meistermülltrenner (oder Mülltrennmeister): Das Altpapier bekam ein Körbchen, das Glas drei verschiedene Beutelchen je nach Farbe, der Biomüll kam in die schwarze oder grüne Tonne, wenn nicht gleich auf den hauseigenen Kompost. Und dann war da noch, jahaaa, der Grüne Punkt mit seinem gelben Sack. In vielen Ortschaften der Lieblings-Streitpunkt unzufriedener Bürger, die sich von ihren Kommunaloberen sinnlos geknechtet fühlten, wussten doch einige aus guter Quelle, dass all die gelben Säcke mit ihrem Plastikmüll hinterher sowieso wieder zusammen mit dem ganz normalen Müll (von dem manch einer gar nicht mehr wusste, was man ihn eigentlich noch werfen durfte) in der Verbrennungsanlage landeten.
Und so trennt er, trotz zeitweiliger Erbostheit, bis heute, der brave Biodeutsche. Es ergaben sich auch neue Sozialnischen aus dieser Mülltrennung, wie die der Glas- und Dosensammler. Das Plastik ist von den Kassen der Supermärkte hierzulande weitgehend verschwunden, oder es kostet extra. Und Reinigungsmittel sind heute alle biologisch abbaubar, oder sie bleiben im Regal stehen. Wenn der Abfluss mal verstopft ist, na was ist denn schon dabei, da nimmt man nicht einfach Abflussfrei, denn das ist ätzend, sondern man nimmt erst mal den Plömmel und pumpt ordentlich. Oder versucht's mit Omas gutem Kaffeesatz. Nicht so bei unseren südländischen Freunden.
Gehen Sie mal in einen spanischen Supermarkt, kaufen Sie ordentlich ein. Sagen wir für 30 Euro. Da kommen Sie aber unter 6 Tüten nicht raus. Plastik, versteht sich. Die Papiertüte existiert nicht südlich der Pyrenäen. Und Sie werden verdammt komisch angeguckt, wenn Sie mit einem Rucksack ankommen und an der Kasse anfangen, alles da reinzustopfen, das sage ich Ihnen. Man hält Sie dann gleich für einen Rucksacktouristen (der Sie ja vielleicht auch sind) oder Streuner. Und in ähnliche Kategorien fallen Sie, wenn Sie erzählen, dass Sie zu Hause nur mit Bio-Reinigern putzen, möglichst ohne Chemie, gar noch begleitet von der Aussage, Sterilität sei nicht Ihr oberstes Haushaltsziel. Um Himmels Willen, virgen santa, da werden die Sie umgebenden Hände aber entsetzt über dem Kopf zusammen geschlagen.
Das Zauberwort iberischer Heimhygiene nämlich ist lejía. Bei uns bekannt und von Privatleuten kaum noch gekauft als Domestos oder Clorix. Eine garantiert nicht biologisch abbaubare Chemiebombe, die auch zum Bleichen von Kleidung verwendet wird. Ökohaushaltsvorstehern und -vorsteherinnen gestern wie heute ein Dorn im Auge. Im spansichen Heim dagegen wird lejía gern für die Reinigung und Entkeimung von allem verwendet: Böden, Toilette, Spüle, Wäsche, Abflüsse, Badewannen, Türklinken, Futternäpfe. Dank lejía ist der spanische Durchschnittshaushalt zu 99% keimfrei. Man könnte im Grunde überall vom Boden essen, wenn man nicht diese lästige Chlorvergiftung davon bekäme. Eine Bekannte erzählte einmal, seit sie einen Hund habe, verdünne sie die lejía gar nicht mehr mit Wasser, sondern reinige den Boden einfach mit lejía pura. Auf die etwas entsetzte Frage, ob sie denn nicht Angst habe, der Hund könne Reste des Reinigungsmittels beim Knochenknabbern versehentlich vom Boden aufschlecken, erwiderte sie leicht pikiert, Hundeknochen seien ja wohl zum Verzehr außer Haus gedacht.
Es hat ja alles auch sein Gutes. Die Millionen Touristen, die jährlich in spanischen Betten übernachten, hinterlassen ja doch eine Menge Keime. Da hilft lejía letztlich vielleicht auch, die Volksgesundheit zu erhalten. Und der typische deutsche Öko-Tourist in Spanien hat für seine Schmutzwäsche und seine dreckigen Wanderschuhe immer eine Plastiktüte zu wenig, weil die daheim ja kaum noch zu kriegen sind. Er braucht nur in einen beliebigen Supermarkt zu gehen und eine Packung Vollkornkekse zu kaufen, schon hat er zwei frische, neue Tüten. Die kann er dann wieder für die nächsten drei Jahre verwenden.
Dies alles sei Ihnen nur auf den Weg gegeben, falls Sie daran denken, Ihr Domizil dauerhaft oder zeitweise auf die iberische Halbinsel zu verlegen: Kaufen Sie zu Hause ordentlich Bio-Putzmittel ein und nehmen Sie sich, falls dies für Sie in Frage kommt, besser eine deutsche Putzfrau. Es sei denn, Sie möchten es einmal hygienisch rein haben.

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