Ich war ja nie ein besonderer Freund (und auch keine Freundin) der typischen Mädchensportarten. Meine ganze Kindheit und Jugend hindurch war ich für alles Tänzerische und Turnerische zu plump, und später wollte ich lieber meine männliche Seite betonen und entschied mich für Kampfsport, wo ich mich bekanntermaßen noch immer gern balge. Nun kamen aber zwei Ereignisse zusammen, die mich meine Einstellung überdenken ließen: Erstens las ich kürzlich einen Text von Elizabeth Gilbert, der Dame, die die Literaturvorlage zum jetzt erschienenen Film "Eat. pray. love" lieferte. In diesem Text erzählte Frau Gilbert von ihrem Yoga-Erweckungserlebnis. Das trug sich dergestalt zu, dass Frau Gilbert gar nicht wusste, was das ist, Yoga. Aber sie hatte immer Rückenschmerzen und deshalb schickte eine Freundin sie zur Yogastunde. Und als sie so schwitzend dalag und in einer Übung ihre Wirbelsäule dehnte, schrie die Wirbelsäule plötzlich "Jaaaa, das will ich, das habe ich immer gewollt!" oder so ähnlich. Und von da an hörte Frau Gilbert nie mehr auf, Yoga zu machen, und ihre Wirbelsäule sprach weiter freundlich zu ihr und tat nicht mehr weh.
Tags darauf (das gehört immer noch zu erstens, ich wollte nur mal einen Absatz machen) erzählte mir dann eine Freundin von ihren gerade gemachten ersten Yogaerfahrungen (ohne dass wir zuvor über Frau Gilbert gesprochen hätten), und sie kam schließlich zu dem Satz: "Ich weiß nicht, irgendwie sagt mein Körper immer so 'ja!' bei allen Yogaübungen." Da durchfuhr es mich dann doch wie ein Potzblitz. Zwei Frauen, zwei Leben, die sich nie gekreuzt haben, zwei Geister, die nichts voneinander wissen, und beider Körper sagen das Gleiche zum Yoga! Und da haben wir noch gar nicht diskutiert, dass Körper überhaupt plötzlich zu ihren Besitzern sprechen!
Zweitens, und das ist nun das späte Zweitens, habe ich seit geraumer Zeit mit einer Ellbogenentzündung zu kämpfen, mit der man sich beim besten Willen nicht schmerzfrei kampfsportmäßig balgen kann. Da die Leibesertüchtigung nun aber nicht ganz wegfallen soll und ich ja gerade so viel Positives darüber gehört hatte, probierte ich es also aus: Yoga. Eine hierzulande doch eher von Mädchen betriebene Sportart, wie mir die meisten beipflichten werden. Aber sei's drum, mir tat der Arm weh und ich wollte mich trotzdem bewegen, und vielleicht hätte ich ja auch so ein Ja-Erlebnis.
Das erste Erlebnis der besonderen, auch besonders schönen Art, zugleich wohl der Grund, warum nur ein einziger Mann außer ihm in der Halle zu finden war, war der Yogi. Vielleicht darf man ihn auch gar nicht Yogi nennen und er war einfach nur der Trainer. Jedenfalls hatte er den Körper Gottes in seinen besten Jahren, dazu mokkacremefarbene Haut und hüftlange Dreadlocks. Ich vermute, dass er ein echter jamaikanischer Rastafari ist. Er spricht jedenfalls wie ein Inder, der lange in Holland gelebt und etwas zu spät, mit Anfang 20, angefangen hat, Deutsch zu lernen. Das Ureigenste seiner Sprache, vielleicht auch ein Einfluss des Yoga, ist, dass Singular und Plural in Harmonie miteinander verschmelzen. Das hat den schönen Effekt, dass man nie genau weiß, wer angesprochen ist und wie viele, dass sich also alle ganz schnell als ein einziges Wesen fühlen. Was sollte man auch anderes tun bei zart gesäuselten Aufforderungen wie "Wenn du kannst, streckt Sie (oder sie) die Hand zu eure Fuß". Oder "wenn sie (oder Sie) kann, dreh dich mit die andere Seite in die obere Richtung". Zeit, Zahl, Raum und Wesen werden eins, die Abgrenzung des Individuums von seiner Umwelt verschwimmt zu einer undeutlichen Erinnerung an früher. Am schönsten und, wie ich später lernte, für den ganzen Wohlfühlsportkontext wichtigsten ist aber die mantrahaft wiederholte Mahnung "Nimm deine Schulter weg von die Ohre!" Ich interpretierte scharf und richtig, dass damit das Absenken beider Schultern ohne Zuhilfenahme der Hände gemeint ist, stelle mir aber seitdem immer wieder gern vor, wie die rechte Hand die am linken Ohr (und umgekehrt) versehentlich festgeklebte Schulter abzupft und wieder an ihrer gegebenen Stelle einklinkt.
Nun, ich hatte alles in allem eine unterhaltsame erste Yogastunde, in dieser jedoch kein Ja-Findungserlebnis und hinterher stärkere Armschmerzen. Die Armschmerzen sollten mich so schnell nicht wieder verlassen, weshalb ich in den folgenden Wochen eine kleine Rundreise durch das Angebot vermeintlich armschonender Mädchensportarten meines Vereins antrat. Karate Kid wird ja auch älter und darf es mal etwas ruhiger angehen lassen, dachte ich etwas wehmütig. Und probierte aus:
Nach Yoga kam Pilates. Darunter hatte ich mir nun etwas vollkommen anderes vorgestellt als das, was ich, auf schweißtreibenden Body-Workout und dergleichen eingestellt, geboten bekam: Hauptsächlich verbrachte ich die Stunde mit dem Versuch zu verstehen, wann ich ein- und wann ausatmen sollte, ob bei Kopf/Bein runter oder hoch. Und ich versuchte meine drei zwischen den Beinen befindlichen Körperöffnungen fest zu verschließen, wie mir befohlen, wenn auch mit dem leisen Hinterkopfgedanken, dass ich diese Öffnungen ohnehin die meiste Zeit geschlossen zu tragen pflege. Außerdem schwitzte ich nicht einen Tropfen, und das war mir besonders unheimlich, pflege ich doch bei körperlicher Betätigung wie eine Art wildes Tier zu transpirieren (und sagen Sie jetzt bitte nciht, wilde Tiere transpirieren nicht).
Das Ja fand ich aber ganz unerwartet beim gar nicht spirituellen Kurs "Fitness Light". Das Ja liegt dort geradezu auf der Straße, will sagen auf dem Hallenboden. Und es wird ständig hinausgejauchzt von der Trainerin, die einfach mit einem Mordsspaß bei der Rumgehüpfe-Sache ist und dies ihren zahlreichen Schäfchen gern durch in verschiedenen Tonlagen tirilierte "Jas" vermittelt. Beim ersten Mal dachte ich, oh Gott, das halte ich nicht aus. Genau hier war ich umgeben von all diesen Mädchen, deren Sportarten ich doch nie machen wollte! Ich, Karate Kids kleiner Kumpel!
Aber was soll ich sagen, in der Not pickt auch das Kid die Brotkrumen vom Hallenboden auf. Immerhin war ich eine von zwei Teilnehmerinnen am Pilates-Kurs am 27.12. (scheren Sie sich nicht um das oben stehende Datum, lieber Leser, Neujahr ist schon vorbei, das ist die traurige Wahrheit), ich bin da also schon mit dieser gewissen Härte bei der Sache, die sonst fast nur echte Kampfsportler zeigen. Und ich habe standhaft abgelehnt, als man mich an jenem Tag freundlich zu "Fit über 50" einlud, nur weil ich wartend vor der anderen Halle stand. Und was Koordination und Gelenkigkeit angeht, kann ich den Hüpfi-Schickies schon zeigen, wo der Hammer hängt. Übrigens ist in jedem Kurs immer ein Quotenmann dabei, scheint eine goldene Regel zu sein. Und ich bin seit meiner Armkrankheit immer die Eifrige, die partout barfuß hüpft, weil sie keine schicken Turnschuhe hat und Kampfsportler nunmal barfuß trainieren, und die außerdem in ziemlich unvorteilhaften alten Schlabbersachen sportelt, weil sie ja schlecht im Karateanzug hingehen kann und nicht bereit ist, sich für ein temporär angelegtes Mädchengehüpfe extra schicke schwarz-rosa Hüpfsachen zu kaufen. Mit Yoga, habe ich beschlossen, warte ich lieber noch ein paar Jahre. Bis ich bereit bin für die Ja-Findung.
Montag, 27. September 2010
Dienstag, 21. September 2010
Aus aktuellem Anlass: Vivat Russia!
Liebe Freunde, – wie soll ich es sagen – ich bin gleichzeitig unendlich gerührt und unendlich erstaunt über meine bisherige Blindheit. Ich schwöre, ich habe es bis gestern nicht gewusst: Ich bin ein Weltstar. Und ein Großteil meiner Fangemeinde wohnt in einem Land, das ich bisher weitgehend zu ignorieren versucht habe, über das ich aber ab sofort mehr zu lernen gedenke: Russland.
Dazu sollte ich erklären, dass ich in meiner grenzenlosen Weltfremdheit erst gestern bemerkte, dass es für die Art von Blogs, wie ich sie betreibe, ein Feld mit "Statistiken" gibt. Gesehen hatte ich das wohl schon mal mit einem Auge, aber in meiner Abscheu für alles Zahlenbezogene tunlichst den Klick gemieden. Dann kam mir plötzlich der Gedanke, dass diese sogenannten Statistiken ja etwas mit meinem Blog, genauer mit seinen Lesern zu tun haben könnten. Und siehe da: Eine neue Welt tat sich mir auf. Nicht nur, dass mehrere hundert Leser Septentryo auch in der großen Zeit der Dürre, als Fraunoelle monatelang nicht einen Eintrag veröffentlichte (heute schämt sie sich dafür, wirklich!), treu verfolgten. Was mein Kosmopolitenherz noch viel heftiger in Wallung versetzte (oder war das das Blut?), ist die Internationalität meiner Leserschaft. Septentryo erfreut sich der Beliebtheit von Luxemburgern, Briten, US-Amerikanern, ja sogar in Hongkong gibt es offenbar höchst fleißige Deutschlerner oder aber emsige Exilierte. Die Chinesen lassen Septentryo, scheint's, durch die strenge Zensur schlüpfen, denn auch dort werden wir gelesen.
Weniger erfreute mich, dass der Lieblingspost der letzten Monate "Besoffene Vögel mit Hauben" ist, weit abgeschlagener Spitzenreiter vor den Geschichten aus Kuba. Die Tatsache, dass es in besagtem Text um eine Haubitze, also ein Kriegsgerät geht, lässt mich folgern, dass sich in meiner Leserschaft nicht wenige Militaria-Fetischisten befinden. Keine Ahnung, über welchen Backlink die hier gelandet sind, aber lasst euch gesagt sein, ihr Möchtegern-Kriegstreiber und Haudraufs: Ihr seid hier falsch. Septentryo ist ein zwar manchmal ordinäres, aber durch und durch pazifistisches Blog. Wenn ihr bereit seid, eure Waffensammlungen an Brot für die Welt zu spenden, seid ihr herzlich willkommen, ansonsten: Tummelt euch woanders!
Nun aber zum schon angedeuteten, für mich bewegendsten Teil meiner gestrigen Entdeckung: meinen unbekannten russischen Freunden. Für den Monat September lag die Häufigkeit der Seitenaufrufe in Russland gleich hinter der in Deutschland, und zwar mit sechs Aufrufen. Ich kann ja nun nicht gut rechnen und habe auch gerade nicht nachgeschaut, wie viele Einwohner Russland hat, aber ich könnte mir durchaus vorstellen, dass diese sechs Russen etwa ein Millionstel der Einwohner dieses riesigen Landes darstellen. Das ist doch schon was! Und über einen längeren Zeitraum verteilt waren es auch noch mehr, ich wollte jetzt nur nicht so angeben. Jedenfalls reichen die sechs Russen aus, um Russland auf der hübsch illustrierten statistischen Septentryo-Weltkarte hellgrün einzufärben. Deutschland ist auf dieser Karte dunkelgrün gefärbt (das heißt also, für alle mitleidigen Schmunzler, dass es in unserem Lande ein paar mehr sind als sechs, sogar mehr als sechzig, ätsch); außer Russland schaffen es noch China und die Vereinigten Staaten für den Monat September ins helle Grün. Man stelle sich vor und greife sich bewegt an die Brust: die einstigen Klassenfeinde und heutigen Wirtschaftsrivalen friedvoll vereint in einem einzigen frischen Mintton! Und dazwischen, in sattem Moosgrün, das liebe Deutschland als Mittler und Zusammenführer! Schlagen da nicht Diplomatenherzen höher (da fällt mir ein, vielleicht sind meine ausländischen Leser ja sogar Diplomaten. Huhuu, Kuckuck, hab euch erkannt!)?
Vor allem drängt es mich aber zu erfahren: Wer seid ihr, fremde Russen? Russlanddeutsche? Ich dachte immer, die können eigentlich kein Deutsch und wollen trotzdem in Deutschland wohnen, weil's hier schöner ist. Ehemalige KGB-Agenten, Nostalgiker der DDR? Aber ich bin doch Wessi, findet ihr bei mir, was ihr sucht? Oder habt ihr von der Stasi erfahren, dass die Familie meines Vaters damals vor den Sowjets aus Sachsen floh und hattet mich eh in den Akten? Oder seid ihr am Ende einfach nur unspektakuläre Studenten der Germanistik oder, noch schlimmer, deutsche Studenten der Slawistik, die ein bisschen virtuelle Heimatluft schnuppern wollen? Geht ja doch immer mal wieder um Heimat bei Septentryo, das habt ihr richtig erkannt.
Liebe sechs Russen, wer auch immer ihr seid, ich kann eure Sprache nicht. Deshalb bin ich froh und dankbar, dass ihr meine könnt. Ich würde euch ja auch gern mal besuchen, aber irgendwie ist mir eure Regierung nicht ganz koscher und auch nicht eure goldbehängten Milliardärsgattinen, und ich kann immer nur eine ganz kleine Pfütze Wodka trinken, dann schüttelts mich schon. Ich bin also nicht sehr geeignet für ein Leben bei euch. Aber ich danke euch für euer Interesse an Septentryo, und ihr seid ganz herzlich eingeladen zur nächsten Lesung. Die findet im Freien statt im Oktober, dürfte für euch also ein angenehmes Ambiente sein, in dem ihr euch mit viel Wodka warmtrinken könnt. Ich glaube, für euch sechs hätten wir hier zur Not sogar ein Schlafplätzchen.
Dazu sollte ich erklären, dass ich in meiner grenzenlosen Weltfremdheit erst gestern bemerkte, dass es für die Art von Blogs, wie ich sie betreibe, ein Feld mit "Statistiken" gibt. Gesehen hatte ich das wohl schon mal mit einem Auge, aber in meiner Abscheu für alles Zahlenbezogene tunlichst den Klick gemieden. Dann kam mir plötzlich der Gedanke, dass diese sogenannten Statistiken ja etwas mit meinem Blog, genauer mit seinen Lesern zu tun haben könnten. Und siehe da: Eine neue Welt tat sich mir auf. Nicht nur, dass mehrere hundert Leser Septentryo auch in der großen Zeit der Dürre, als Fraunoelle monatelang nicht einen Eintrag veröffentlichte (heute schämt sie sich dafür, wirklich!), treu verfolgten. Was mein Kosmopolitenherz noch viel heftiger in Wallung versetzte (oder war das das Blut?), ist die Internationalität meiner Leserschaft. Septentryo erfreut sich der Beliebtheit von Luxemburgern, Briten, US-Amerikanern, ja sogar in Hongkong gibt es offenbar höchst fleißige Deutschlerner oder aber emsige Exilierte. Die Chinesen lassen Septentryo, scheint's, durch die strenge Zensur schlüpfen, denn auch dort werden wir gelesen.
Weniger erfreute mich, dass der Lieblingspost der letzten Monate "Besoffene Vögel mit Hauben" ist, weit abgeschlagener Spitzenreiter vor den Geschichten aus Kuba. Die Tatsache, dass es in besagtem Text um eine Haubitze, also ein Kriegsgerät geht, lässt mich folgern, dass sich in meiner Leserschaft nicht wenige Militaria-Fetischisten befinden. Keine Ahnung, über welchen Backlink die hier gelandet sind, aber lasst euch gesagt sein, ihr Möchtegern-Kriegstreiber und Haudraufs: Ihr seid hier falsch. Septentryo ist ein zwar manchmal ordinäres, aber durch und durch pazifistisches Blog. Wenn ihr bereit seid, eure Waffensammlungen an Brot für die Welt zu spenden, seid ihr herzlich willkommen, ansonsten: Tummelt euch woanders!
Nun aber zum schon angedeuteten, für mich bewegendsten Teil meiner gestrigen Entdeckung: meinen unbekannten russischen Freunden. Für den Monat September lag die Häufigkeit der Seitenaufrufe in Russland gleich hinter der in Deutschland, und zwar mit sechs Aufrufen. Ich kann ja nun nicht gut rechnen und habe auch gerade nicht nachgeschaut, wie viele Einwohner Russland hat, aber ich könnte mir durchaus vorstellen, dass diese sechs Russen etwa ein Millionstel der Einwohner dieses riesigen Landes darstellen. Das ist doch schon was! Und über einen längeren Zeitraum verteilt waren es auch noch mehr, ich wollte jetzt nur nicht so angeben. Jedenfalls reichen die sechs Russen aus, um Russland auf der hübsch illustrierten statistischen Septentryo-Weltkarte hellgrün einzufärben. Deutschland ist auf dieser Karte dunkelgrün gefärbt (das heißt also, für alle mitleidigen Schmunzler, dass es in unserem Lande ein paar mehr sind als sechs, sogar mehr als sechzig, ätsch); außer Russland schaffen es noch China und die Vereinigten Staaten für den Monat September ins helle Grün. Man stelle sich vor und greife sich bewegt an die Brust: die einstigen Klassenfeinde und heutigen Wirtschaftsrivalen friedvoll vereint in einem einzigen frischen Mintton! Und dazwischen, in sattem Moosgrün, das liebe Deutschland als Mittler und Zusammenführer! Schlagen da nicht Diplomatenherzen höher (da fällt mir ein, vielleicht sind meine ausländischen Leser ja sogar Diplomaten. Huhuu, Kuckuck, hab euch erkannt!)?
Vor allem drängt es mich aber zu erfahren: Wer seid ihr, fremde Russen? Russlanddeutsche? Ich dachte immer, die können eigentlich kein Deutsch und wollen trotzdem in Deutschland wohnen, weil's hier schöner ist. Ehemalige KGB-Agenten, Nostalgiker der DDR? Aber ich bin doch Wessi, findet ihr bei mir, was ihr sucht? Oder habt ihr von der Stasi erfahren, dass die Familie meines Vaters damals vor den Sowjets aus Sachsen floh und hattet mich eh in den Akten? Oder seid ihr am Ende einfach nur unspektakuläre Studenten der Germanistik oder, noch schlimmer, deutsche Studenten der Slawistik, die ein bisschen virtuelle Heimatluft schnuppern wollen? Geht ja doch immer mal wieder um Heimat bei Septentryo, das habt ihr richtig erkannt.
Liebe sechs Russen, wer auch immer ihr seid, ich kann eure Sprache nicht. Deshalb bin ich froh und dankbar, dass ihr meine könnt. Ich würde euch ja auch gern mal besuchen, aber irgendwie ist mir eure Regierung nicht ganz koscher und auch nicht eure goldbehängten Milliardärsgattinen, und ich kann immer nur eine ganz kleine Pfütze Wodka trinken, dann schüttelts mich schon. Ich bin also nicht sehr geeignet für ein Leben bei euch. Aber ich danke euch für euer Interesse an Septentryo, und ihr seid ganz herzlich eingeladen zur nächsten Lesung. Die findet im Freien statt im Oktober, dürfte für euch also ein angenehmes Ambiente sein, in dem ihr euch mit viel Wodka warmtrinken könnt. Ich glaube, für euch sechs hätten wir hier zur Not sogar ein Schlafplätzchen.
Sonntag, 19. September 2010
Hispania II: Mentalitätsnahes Beschmutzen und Putzen
Gibt es in Ihrem Haushalt Domestos? Nein? Clorix? Auch nicht? Dachte ich mir. Sie reinigen vermutlich mit Frosch-Reiniger oder einem ähnlichen Produkt, auf dem etwas von biologischer Abbaubarkeit steht. Und ich möchte fast wetten, dass Sie, wenn es die Wahl zwischen Papier- und Plastiktüten gibt, beherzt zum Papier greifen oder vielleicht sogar, das wäre schon sehr vorbildlich, einen Korb oder eine Stofftasche zum Einkaufen mitnehmen; vielleicht füllen Sie auch alle Einkäufe in Ihren Rucksack oder Ihre Fahrradtasche. Willkommen im modernen, umweltbewussten Deutschland der schöneren Schichten, die in den Achtzigern verängstigt ans Waldsterben geglaubt haben und wenn möglich gern die Wale retten wollen. Und für die eine sorgfältige Mülltrennung sehr viel sicherer ist als das Amen in der Kirche. Willkommen im zivilisierten Westeuropa.
Nun liegt Spanien ja eindeutig weiter im Westen als Deutschland, aber in puncto Umweltschutz denke ich manchmal, die Moderne ist dort noch nicht angekommen. Ist übertrieben, ich weiß. Aber umgekehrt leben wir aus spanischer Sichtweise einfach nur im Dreck. Und sind insofern zutiefst rückständig, als wir einfach den Komfort der Keimfreiheit nicht begriffen haben. Ich denke, das hat vor allem historische Gründe: Als Deutschland sich Gedanken um sauren Regen und das Waldsterben machte, hatte Spanien gerade ein paar francofreie Jahre und gleich den ersten Staatsstreich hinter sich; wer konnte, floh vom armen, dreckigen Land in die erwachenden Städte, ließ das Bauerndasein und die dunkle Vergangenheit zurück und leistete sich als erstes ein sauberes Wasserklosett, am besten mit Bidet. Sagt der Abort des Menschen doch alles über seine sonstige Lebensweise.
Zur gleichen Zeit erfuhr der recht fortschrittlich lebende Deutsche, dass die Atomenergie vielleicht sein Gemüse verseucht und dass eine Plastiktüte im Wald 300 Jahre braucht, um zu verrotten. Und es war ihm nicht egal. Zaghaft erst, dann zunehmend mit System, begann er, Plastik zu sparen, nahm fürs gemischte Obst vielleicht nur eine Tüte und packte die Bananen gleich gar nicht mehr ein, kehrte am Ende, aber das dauerte noch ein bisschen, sogar zur Papiertüte zurück. Meisterlich wurde der ökologisch besorgte Deutsche in der Mülltrennung, er wurde ein wahrer Meistermülltrenner (oder Mülltrennmeister): Das Altpapier bekam ein Körbchen, das Glas drei verschiedene Beutelchen je nach Farbe, der Biomüll kam in die schwarze oder grüne Tonne, wenn nicht gleich auf den hauseigenen Kompost. Und dann war da noch, jahaaa, der Grüne Punkt mit seinem gelben Sack. In vielen Ortschaften der Lieblings-Streitpunkt unzufriedener Bürger, die sich von ihren Kommunaloberen sinnlos geknechtet fühlten, wussten doch einige aus guter Quelle, dass all die gelben Säcke mit ihrem Plastikmüll hinterher sowieso wieder zusammen mit dem ganz normalen Müll (von dem manch einer gar nicht mehr wusste, was man ihn eigentlich noch werfen durfte) in der Verbrennungsanlage landeten.
Und so trennt er, trotz zeitweiliger Erbostheit, bis heute, der brave Biodeutsche. Es ergaben sich auch neue Sozialnischen aus dieser Mülltrennung, wie die der Glas- und Dosensammler. Das Plastik ist von den Kassen der Supermärkte hierzulande weitgehend verschwunden, oder es kostet extra. Und Reinigungsmittel sind heute alle biologisch abbaubar, oder sie bleiben im Regal stehen. Wenn der Abfluss mal verstopft ist, na was ist denn schon dabei, da nimmt man nicht einfach Abflussfrei, denn das ist ätzend, sondern man nimmt erst mal den Plömmel und pumpt ordentlich. Oder versucht's mit Omas gutem Kaffeesatz. Nicht so bei unseren südländischen Freunden.
Gehen Sie mal in einen spanischen Supermarkt, kaufen Sie ordentlich ein. Sagen wir für 30 Euro. Da kommen Sie aber unter 6 Tüten nicht raus. Plastik, versteht sich. Die Papiertüte existiert nicht südlich der Pyrenäen. Und Sie werden verdammt komisch angeguckt, wenn Sie mit einem Rucksack ankommen und an der Kasse anfangen, alles da reinzustopfen, das sage ich Ihnen. Man hält Sie dann gleich für einen Rucksacktouristen (der Sie ja vielleicht auch sind) oder Streuner. Und in ähnliche Kategorien fallen Sie, wenn Sie erzählen, dass Sie zu Hause nur mit Bio-Reinigern putzen, möglichst ohne Chemie, gar noch begleitet von der Aussage, Sterilität sei nicht Ihr oberstes Haushaltsziel. Um Himmels Willen, virgen santa, da werden die Sie umgebenden Hände aber entsetzt über dem Kopf zusammen geschlagen.
Das Zauberwort iberischer Heimhygiene nämlich ist lejía. Bei uns bekannt und von Privatleuten kaum noch gekauft als Domestos oder Clorix. Eine garantiert nicht biologisch abbaubare Chemiebombe, die auch zum Bleichen von Kleidung verwendet wird. Ökohaushaltsvorstehern und -vorsteherinnen gestern wie heute ein Dorn im Auge. Im spansichen Heim dagegen wird lejía gern für die Reinigung und Entkeimung von allem verwendet: Böden, Toilette, Spüle, Wäsche, Abflüsse, Badewannen, Türklinken, Futternäpfe. Dank lejía ist der spanische Durchschnittshaushalt zu 99% keimfrei. Man könnte im Grunde überall vom Boden essen, wenn man nicht diese lästige Chlorvergiftung davon bekäme. Eine Bekannte erzählte einmal, seit sie einen Hund habe, verdünne sie die lejía gar nicht mehr mit Wasser, sondern reinige den Boden einfach mit lejía pura. Auf die etwas entsetzte Frage, ob sie denn nicht Angst habe, der Hund könne Reste des Reinigungsmittels beim Knochenknabbern versehentlich vom Boden aufschlecken, erwiderte sie leicht pikiert, Hundeknochen seien ja wohl zum Verzehr außer Haus gedacht.
Es hat ja alles auch sein Gutes. Die Millionen Touristen, die jährlich in spanischen Betten übernachten, hinterlassen ja doch eine Menge Keime. Da hilft lejía letztlich vielleicht auch, die Volksgesundheit zu erhalten. Und der typische deutsche Öko-Tourist in Spanien hat für seine Schmutzwäsche und seine dreckigen Wanderschuhe immer eine Plastiktüte zu wenig, weil die daheim ja kaum noch zu kriegen sind. Er braucht nur in einen beliebigen Supermarkt zu gehen und eine Packung Vollkornkekse zu kaufen, schon hat er zwei frische, neue Tüten. Die kann er dann wieder für die nächsten drei Jahre verwenden.
Dies alles sei Ihnen nur auf den Weg gegeben, falls Sie daran denken, Ihr Domizil dauerhaft oder zeitweise auf die iberische Halbinsel zu verlegen: Kaufen Sie zu Hause ordentlich Bio-Putzmittel ein und nehmen Sie sich, falls dies für Sie in Frage kommt, besser eine deutsche Putzfrau. Es sei denn, Sie möchten es einmal hygienisch rein haben.
Nun liegt Spanien ja eindeutig weiter im Westen als Deutschland, aber in puncto Umweltschutz denke ich manchmal, die Moderne ist dort noch nicht angekommen. Ist übertrieben, ich weiß. Aber umgekehrt leben wir aus spanischer Sichtweise einfach nur im Dreck. Und sind insofern zutiefst rückständig, als wir einfach den Komfort der Keimfreiheit nicht begriffen haben. Ich denke, das hat vor allem historische Gründe: Als Deutschland sich Gedanken um sauren Regen und das Waldsterben machte, hatte Spanien gerade ein paar francofreie Jahre und gleich den ersten Staatsstreich hinter sich; wer konnte, floh vom armen, dreckigen Land in die erwachenden Städte, ließ das Bauerndasein und die dunkle Vergangenheit zurück und leistete sich als erstes ein sauberes Wasserklosett, am besten mit Bidet. Sagt der Abort des Menschen doch alles über seine sonstige Lebensweise.
Zur gleichen Zeit erfuhr der recht fortschrittlich lebende Deutsche, dass die Atomenergie vielleicht sein Gemüse verseucht und dass eine Plastiktüte im Wald 300 Jahre braucht, um zu verrotten. Und es war ihm nicht egal. Zaghaft erst, dann zunehmend mit System, begann er, Plastik zu sparen, nahm fürs gemischte Obst vielleicht nur eine Tüte und packte die Bananen gleich gar nicht mehr ein, kehrte am Ende, aber das dauerte noch ein bisschen, sogar zur Papiertüte zurück. Meisterlich wurde der ökologisch besorgte Deutsche in der Mülltrennung, er wurde ein wahrer Meistermülltrenner (oder Mülltrennmeister): Das Altpapier bekam ein Körbchen, das Glas drei verschiedene Beutelchen je nach Farbe, der Biomüll kam in die schwarze oder grüne Tonne, wenn nicht gleich auf den hauseigenen Kompost. Und dann war da noch, jahaaa, der Grüne Punkt mit seinem gelben Sack. In vielen Ortschaften der Lieblings-Streitpunkt unzufriedener Bürger, die sich von ihren Kommunaloberen sinnlos geknechtet fühlten, wussten doch einige aus guter Quelle, dass all die gelben Säcke mit ihrem Plastikmüll hinterher sowieso wieder zusammen mit dem ganz normalen Müll (von dem manch einer gar nicht mehr wusste, was man ihn eigentlich noch werfen durfte) in der Verbrennungsanlage landeten.
Und so trennt er, trotz zeitweiliger Erbostheit, bis heute, der brave Biodeutsche. Es ergaben sich auch neue Sozialnischen aus dieser Mülltrennung, wie die der Glas- und Dosensammler. Das Plastik ist von den Kassen der Supermärkte hierzulande weitgehend verschwunden, oder es kostet extra. Und Reinigungsmittel sind heute alle biologisch abbaubar, oder sie bleiben im Regal stehen. Wenn der Abfluss mal verstopft ist, na was ist denn schon dabei, da nimmt man nicht einfach Abflussfrei, denn das ist ätzend, sondern man nimmt erst mal den Plömmel und pumpt ordentlich. Oder versucht's mit Omas gutem Kaffeesatz. Nicht so bei unseren südländischen Freunden.
Gehen Sie mal in einen spanischen Supermarkt, kaufen Sie ordentlich ein. Sagen wir für 30 Euro. Da kommen Sie aber unter 6 Tüten nicht raus. Plastik, versteht sich. Die Papiertüte existiert nicht südlich der Pyrenäen. Und Sie werden verdammt komisch angeguckt, wenn Sie mit einem Rucksack ankommen und an der Kasse anfangen, alles da reinzustopfen, das sage ich Ihnen. Man hält Sie dann gleich für einen Rucksacktouristen (der Sie ja vielleicht auch sind) oder Streuner. Und in ähnliche Kategorien fallen Sie, wenn Sie erzählen, dass Sie zu Hause nur mit Bio-Reinigern putzen, möglichst ohne Chemie, gar noch begleitet von der Aussage, Sterilität sei nicht Ihr oberstes Haushaltsziel. Um Himmels Willen, virgen santa, da werden die Sie umgebenden Hände aber entsetzt über dem Kopf zusammen geschlagen.
Das Zauberwort iberischer Heimhygiene nämlich ist lejía. Bei uns bekannt und von Privatleuten kaum noch gekauft als Domestos oder Clorix. Eine garantiert nicht biologisch abbaubare Chemiebombe, die auch zum Bleichen von Kleidung verwendet wird. Ökohaushaltsvorstehern und -vorsteherinnen gestern wie heute ein Dorn im Auge. Im spansichen Heim dagegen wird lejía gern für die Reinigung und Entkeimung von allem verwendet: Böden, Toilette, Spüle, Wäsche, Abflüsse, Badewannen, Türklinken, Futternäpfe. Dank lejía ist der spanische Durchschnittshaushalt zu 99% keimfrei. Man könnte im Grunde überall vom Boden essen, wenn man nicht diese lästige Chlorvergiftung davon bekäme. Eine Bekannte erzählte einmal, seit sie einen Hund habe, verdünne sie die lejía gar nicht mehr mit Wasser, sondern reinige den Boden einfach mit lejía pura. Auf die etwas entsetzte Frage, ob sie denn nicht Angst habe, der Hund könne Reste des Reinigungsmittels beim Knochenknabbern versehentlich vom Boden aufschlecken, erwiderte sie leicht pikiert, Hundeknochen seien ja wohl zum Verzehr außer Haus gedacht.
Es hat ja alles auch sein Gutes. Die Millionen Touristen, die jährlich in spanischen Betten übernachten, hinterlassen ja doch eine Menge Keime. Da hilft lejía letztlich vielleicht auch, die Volksgesundheit zu erhalten. Und der typische deutsche Öko-Tourist in Spanien hat für seine Schmutzwäsche und seine dreckigen Wanderschuhe immer eine Plastiktüte zu wenig, weil die daheim ja kaum noch zu kriegen sind. Er braucht nur in einen beliebigen Supermarkt zu gehen und eine Packung Vollkornkekse zu kaufen, schon hat er zwei frische, neue Tüten. Die kann er dann wieder für die nächsten drei Jahre verwenden.
Dies alles sei Ihnen nur auf den Weg gegeben, falls Sie daran denken, Ihr Domizil dauerhaft oder zeitweise auf die iberische Halbinsel zu verlegen: Kaufen Sie zu Hause ordentlich Bio-Putzmittel ein und nehmen Sie sich, falls dies für Sie in Frage kommt, besser eine deutsche Putzfrau. Es sei denn, Sie möchten es einmal hygienisch rein haben.
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