Liebe Freunde, – wie soll ich es sagen – ich bin gleichzeitig unendlich gerührt und unendlich erstaunt über meine bisherige Blindheit. Ich schwöre, ich habe es bis gestern nicht gewusst: Ich bin ein Weltstar. Und ein Großteil meiner Fangemeinde wohnt in einem Land, das ich bisher weitgehend zu ignorieren versucht habe, über das ich aber ab sofort mehr zu lernen gedenke: Russland.
Dazu sollte ich erklären, dass ich in meiner grenzenlosen Weltfremdheit erst gestern bemerkte, dass es für die Art von Blogs, wie ich sie betreibe, ein Feld mit "Statistiken" gibt. Gesehen hatte ich das wohl schon mal mit einem Auge, aber in meiner Abscheu für alles Zahlenbezogene tunlichst den Klick gemieden. Dann kam mir plötzlich der Gedanke, dass diese sogenannten Statistiken ja etwas mit meinem Blog, genauer mit seinen Lesern zu tun haben könnten. Und siehe da: Eine neue Welt tat sich mir auf. Nicht nur, dass mehrere hundert Leser Septentryo auch in der großen Zeit der Dürre, als Fraunoelle monatelang nicht einen Eintrag veröffentlichte (heute schämt sie sich dafür, wirklich!), treu verfolgten. Was mein Kosmopolitenherz noch viel heftiger in Wallung versetzte (oder war das das Blut?), ist die Internationalität meiner Leserschaft. Septentryo erfreut sich der Beliebtheit von Luxemburgern, Briten, US-Amerikanern, ja sogar in Hongkong gibt es offenbar höchst fleißige Deutschlerner oder aber emsige Exilierte. Die Chinesen lassen Septentryo, scheint's, durch die strenge Zensur schlüpfen, denn auch dort werden wir gelesen.
Weniger erfreute mich, dass der Lieblingspost der letzten Monate "Besoffene Vögel mit Hauben" ist, weit abgeschlagener Spitzenreiter vor den Geschichten aus Kuba. Die Tatsache, dass es in besagtem Text um eine Haubitze, also ein Kriegsgerät geht, lässt mich folgern, dass sich in meiner Leserschaft nicht wenige Militaria-Fetischisten befinden. Keine Ahnung, über welchen Backlink die hier gelandet sind, aber lasst euch gesagt sein, ihr Möchtegern-Kriegstreiber und Haudraufs: Ihr seid hier falsch. Septentryo ist ein zwar manchmal ordinäres, aber durch und durch pazifistisches Blog. Wenn ihr bereit seid, eure Waffensammlungen an Brot für die Welt zu spenden, seid ihr herzlich willkommen, ansonsten: Tummelt euch woanders!
Nun aber zum schon angedeuteten, für mich bewegendsten Teil meiner gestrigen Entdeckung: meinen unbekannten russischen Freunden. Für den Monat September lag die Häufigkeit der Seitenaufrufe in Russland gleich hinter der in Deutschland, und zwar mit sechs Aufrufen. Ich kann ja nun nicht gut rechnen und habe auch gerade nicht nachgeschaut, wie viele Einwohner Russland hat, aber ich könnte mir durchaus vorstellen, dass diese sechs Russen etwa ein Millionstel der Einwohner dieses riesigen Landes darstellen. Das ist doch schon was! Und über einen längeren Zeitraum verteilt waren es auch noch mehr, ich wollte jetzt nur nicht so angeben. Jedenfalls reichen die sechs Russen aus, um Russland auf der hübsch illustrierten statistischen Septentryo-Weltkarte hellgrün einzufärben. Deutschland ist auf dieser Karte dunkelgrün gefärbt (das heißt also, für alle mitleidigen Schmunzler, dass es in unserem Lande ein paar mehr sind als sechs, sogar mehr als sechzig, ätsch); außer Russland schaffen es noch China und die Vereinigten Staaten für den Monat September ins helle Grün. Man stelle sich vor und greife sich bewegt an die Brust: die einstigen Klassenfeinde und heutigen Wirtschaftsrivalen friedvoll vereint in einem einzigen frischen Mintton! Und dazwischen, in sattem Moosgrün, das liebe Deutschland als Mittler und Zusammenführer! Schlagen da nicht Diplomatenherzen höher (da fällt mir ein, vielleicht sind meine ausländischen Leser ja sogar Diplomaten. Huhuu, Kuckuck, hab euch erkannt!)?
Vor allem drängt es mich aber zu erfahren: Wer seid ihr, fremde Russen? Russlanddeutsche? Ich dachte immer, die können eigentlich kein Deutsch und wollen trotzdem in Deutschland wohnen, weil's hier schöner ist. Ehemalige KGB-Agenten, Nostalgiker der DDR? Aber ich bin doch Wessi, findet ihr bei mir, was ihr sucht? Oder habt ihr von der Stasi erfahren, dass die Familie meines Vaters damals vor den Sowjets aus Sachsen floh und hattet mich eh in den Akten? Oder seid ihr am Ende einfach nur unspektakuläre Studenten der Germanistik oder, noch schlimmer, deutsche Studenten der Slawistik, die ein bisschen virtuelle Heimatluft schnuppern wollen? Geht ja doch immer mal wieder um Heimat bei Septentryo, das habt ihr richtig erkannt.
Liebe sechs Russen, wer auch immer ihr seid, ich kann eure Sprache nicht. Deshalb bin ich froh und dankbar, dass ihr meine könnt. Ich würde euch ja auch gern mal besuchen, aber irgendwie ist mir eure Regierung nicht ganz koscher und auch nicht eure goldbehängten Milliardärsgattinen, und ich kann immer nur eine ganz kleine Pfütze Wodka trinken, dann schüttelts mich schon. Ich bin also nicht sehr geeignet für ein Leben bei euch. Aber ich danke euch für euer Interesse an Septentryo, und ihr seid ganz herzlich eingeladen zur nächsten Lesung. Die findet im Freien statt im Oktober, dürfte für euch also ein angenehmes Ambiente sein, in dem ihr euch mit viel Wodka warmtrinken könnt. Ich glaube, für euch sechs hätten wir hier zur Not sogar ein Schlafplätzchen.
Dienstag, 21. September 2010
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1 Kommentar:
frau noelle, bin mehr als begeistert über ihre wieder gefundene schreibfreude, auch wenn ich jetzt erst die zeit finde, diese fülle an neuen einträgen lesend zu würdigen. bitte um mitteilung, wann sie in hh lesen werden im oktober, da ich gegen ende wohl da sein werde und sollte es passen, meinen aufebthalt gerne mit einer ihrer lesungen zu krönen gedenke... die frage mit der hostie ist bereits an eine spanische freundin weitergeleitet worden, mal sehen, was sie so denkt.
herzliche grüße aus dem dorf an der düssel, anja
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