Montag, 27. September 2010

Karate Kids Gnadenbrot

Ich war ja nie ein besonderer Freund (und auch keine Freundin) der typischen Mädchensportarten. Meine ganze Kindheit und Jugend hindurch war ich für alles Tänzerische und Turnerische zu plump, und später wollte ich lieber meine männliche Seite betonen und entschied mich für Kampfsport, wo ich mich bekanntermaßen noch immer gern balge. Nun kamen aber zwei Ereignisse zusammen, die mich meine Einstellung überdenken ließen: Erstens las ich kürzlich einen Text von Elizabeth Gilbert, der Dame, die die Literaturvorlage zum jetzt erschienenen Film "Eat. pray. love" lieferte. In diesem Text erzählte Frau Gilbert von ihrem Yoga-Erweckungserlebnis. Das trug sich dergestalt zu, dass Frau Gilbert gar nicht wusste, was das ist, Yoga. Aber sie hatte immer Rückenschmerzen und deshalb schickte eine Freundin sie zur Yogastunde. Und als sie so schwitzend dalag und in einer Übung ihre Wirbelsäule dehnte, schrie die Wirbelsäule plötzlich "Jaaaa, das will ich, das habe ich immer gewollt!" oder so ähnlich. Und von da an hörte Frau Gilbert nie mehr auf, Yoga zu machen, und ihre Wirbelsäule sprach weiter freundlich zu ihr und tat nicht mehr weh.
Tags darauf (das gehört immer noch zu erstens, ich wollte nur mal einen Absatz machen) erzählte mir dann eine Freundin von ihren gerade gemachten ersten Yogaerfahrungen (ohne dass wir zuvor über Frau Gilbert gesprochen hätten), und sie kam schließlich zu dem Satz: "Ich weiß nicht, irgendwie sagt mein Körper immer so 'ja!' bei allen Yogaübungen." Da durchfuhr es mich dann doch wie ein Potzblitz. Zwei Frauen, zwei Leben, die sich nie gekreuzt haben, zwei Geister, die nichts voneinander wissen, und beider Körper sagen das Gleiche zum Yoga! Und da haben wir noch gar nicht diskutiert, dass Körper überhaupt plötzlich zu ihren Besitzern sprechen!
Zweitens, und das ist nun das späte Zweitens, habe ich seit geraumer Zeit mit einer Ellbogenentzündung zu kämpfen, mit der man sich beim besten Willen nicht schmerzfrei kampfsportmäßig balgen kann. Da die Leibesertüchtigung nun aber nicht ganz wegfallen soll und ich ja gerade so viel Positives darüber gehört hatte, probierte ich es also aus: Yoga. Eine hierzulande doch eher von Mädchen betriebene Sportart, wie mir die meisten beipflichten werden. Aber sei's drum, mir tat der Arm weh und ich wollte mich trotzdem bewegen, und vielleicht hätte ich ja auch so ein Ja-Erlebnis.
Das erste Erlebnis der besonderen, auch besonders schönen Art, zugleich wohl der Grund, warum nur ein einziger Mann außer ihm in der Halle zu finden war, war der Yogi. Vielleicht darf man ihn auch gar nicht Yogi nennen und er war einfach nur der Trainer. Jedenfalls hatte er den Körper Gottes in seinen besten Jahren, dazu mokkacremefarbene Haut und hüftlange Dreadlocks. Ich vermute, dass er ein echter jamaikanischer Rastafari ist. Er spricht jedenfalls wie ein Inder, der lange in Holland gelebt und etwas zu spät, mit Anfang 20, angefangen hat, Deutsch zu lernen. Das Ureigenste seiner Sprache, vielleicht auch ein Einfluss des Yoga, ist, dass Singular und Plural in Harmonie miteinander verschmelzen. Das hat den schönen Effekt, dass man nie genau weiß, wer angesprochen ist und wie viele, dass sich also alle ganz schnell als ein einziges Wesen fühlen. Was sollte man auch anderes tun bei zart gesäuselten Aufforderungen wie "Wenn du kannst, streckt Sie (oder sie) die Hand zu eure Fuß". Oder "wenn sie (oder Sie) kann, dreh dich mit die andere Seite in die obere Richtung". Zeit, Zahl, Raum und Wesen werden eins, die Abgrenzung des Individuums von seiner Umwelt verschwimmt zu einer undeutlichen Erinnerung an früher. Am schönsten und, wie ich später lernte, für den ganzen Wohlfühlsportkontext wichtigsten ist aber die mantrahaft wiederholte Mahnung "Nimm deine Schulter weg von die Ohre!" Ich interpretierte scharf und richtig, dass damit das Absenken beider Schultern ohne Zuhilfenahme der Hände gemeint ist, stelle mir aber seitdem immer wieder gern vor, wie die rechte Hand die am linken Ohr (und umgekehrt) versehentlich festgeklebte Schulter abzupft und wieder an ihrer gegebenen Stelle einklinkt.
Nun, ich hatte alles in allem eine unterhaltsame erste Yogastunde, in dieser jedoch kein Ja-Findungserlebnis und hinterher stärkere Armschmerzen. Die Armschmerzen sollten mich so schnell nicht wieder verlassen, weshalb ich in den folgenden Wochen eine kleine Rundreise durch das Angebot vermeintlich armschonender Mädchensportarten meines Vereins antrat. Karate Kid wird ja auch älter und darf es mal etwas ruhiger angehen lassen, dachte ich etwas wehmütig. Und probierte aus:
Nach Yoga kam Pilates. Darunter hatte ich mir nun etwas vollkommen anderes vorgestellt als das, was ich, auf schweißtreibenden Body-Workout und dergleichen eingestellt, geboten bekam: Hauptsächlich verbrachte ich die Stunde mit dem Versuch zu verstehen, wann ich ein- und wann ausatmen sollte, ob bei Kopf/Bein runter oder hoch. Und ich versuchte meine drei zwischen den Beinen befindlichen Körperöffnungen fest zu verschließen, wie mir befohlen, wenn auch mit dem leisen Hinterkopfgedanken, dass ich diese Öffnungen ohnehin die meiste Zeit geschlossen zu tragen pflege. Außerdem schwitzte ich nicht einen Tropfen, und das war mir besonders unheimlich, pflege ich doch bei körperlicher Betätigung wie eine Art wildes Tier zu transpirieren (und sagen Sie jetzt bitte nciht, wilde Tiere transpirieren nicht).
Das Ja fand ich aber ganz unerwartet beim gar nicht spirituellen Kurs "Fitness Light". Das Ja liegt dort geradezu auf der Straße, will sagen auf dem Hallenboden. Und es wird ständig hinausgejauchzt von der Trainerin, die einfach mit einem Mordsspaß bei der Rumgehüpfe-Sache ist und dies ihren zahlreichen Schäfchen gern durch in verschiedenen Tonlagen tirilierte "Jas" vermittelt. Beim ersten Mal dachte ich, oh Gott, das halte ich nicht aus. Genau hier war ich umgeben von all diesen Mädchen, deren Sportarten ich doch nie machen wollte! Ich, Karate Kids kleiner Kumpel!
Aber was soll ich sagen, in der Not pickt auch das Kid die Brotkrumen vom Hallenboden auf. Immerhin war ich eine von zwei Teilnehmerinnen am Pilates-Kurs am 27.12. (scheren Sie sich nicht um das oben stehende Datum, lieber Leser, Neujahr ist schon vorbei, das ist die traurige Wahrheit), ich bin da also schon mit dieser gewissen Härte bei der Sache, die sonst fast nur echte Kampfsportler zeigen. Und ich habe standhaft abgelehnt, als man mich an jenem Tag freundlich zu "Fit über 50" einlud, nur weil ich wartend vor der anderen Halle stand. Und was Koordination und Gelenkigkeit angeht, kann ich den Hüpfi-Schickies schon zeigen, wo der Hammer hängt. Übrigens ist in jedem Kurs immer ein Quotenmann dabei, scheint eine goldene Regel zu sein. Und ich bin seit meiner Armkrankheit immer die Eifrige, die partout barfuß hüpft, weil sie keine schicken Turnschuhe hat und Kampfsportler nunmal barfuß trainieren, und die außerdem in ziemlich unvorteilhaften alten Schlabbersachen sportelt, weil sie ja schlecht im Karateanzug hingehen kann und nicht bereit ist, sich für ein temporär angelegtes Mädchengehüpfe extra schicke schwarz-rosa Hüpfsachen zu kaufen. Mit Yoga, habe ich beschlossen, warte ich lieber noch ein paar Jahre. Bis ich bereit bin für die Ja-Findung.

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