Sonntag, 27. Februar 2011

Wenn die Hunde Jacken tragen

Das Gute am Thema dieses Eintrags ist, dass ich es nicht vergessen kann. Es läuft mir nämlich jeden Tag über den Weg. Denn ja, ich muss gestehen, dass ich manchmal Einfälle für Blogtexte habe und sie dann wieder vergesse. Ich verdächtige als Vergessenszeitpunkt die frühen Morgenstunden, genauer den Schlaf, in dem ich mich während dieser meist befinde. Es ist nämlich so, dass mir die Einfälle in der Regel irgendwann über Tag kommen und ich sie dann nachts im Bett, vorm Einschlafen, bebrüte. Ich gehöre schaffensmäßig wohl eher den Eierlegenden als den Säugetieren an, meine Jungen schlüpfen erst nach einer gewissen Brutzeit. Diese beträgt eine oder mehrere Nächte, je nach Größe des Eis. Aber manchmal, wenn ich schlafe, muss wohl eine Elster oder ein Marder kommen und das Ei stehlen, denn manchmal sind die Einfallseier am nächsten Tag weg, und ich muss erst wieder darauf warten, dass der Storch mir ein neues vom Himmel schmeißt. Nicht so mit diesem Ei-nfall. Er grüßt mich täglich wie das Murmeltier, und jetzt, zur venezianischen Karnevalszeit, wird er sogar täglich rabiater in seinem Heischen um Aufmerksamkeit.
Die Venezianer haben allem Anschein nach, das habe ich hier gelernt, ein besonderes Verhältnis zu ihren Hunden. Das fängt schon damit an, dass hier, in einer Stadt aus Wasser und Stein, wo es nur in versteckten privaten Gärten mal ein Fleckchen Gras und ein paar verschüchterte Bäumchen gibt, erstaunlich viele Hunde gehalten werden. Den Hund an sich assoziiert der tierliebe Mensch ja am liebsten mit Hof, Wald und Feld, allgemein doch aber eher mit einem grünen, weitläufigen Umfeld. Beides ist in Venedig ausgeschlossen, die Hunde aber trotzdem zahlreich. Ihre Haufen, wie der kluge Leser gleich geschlussfolgert haben wird, verhalten sich ganz regelmäßig relativ zur Anzahl der Tiere. Venedig ist für den Fußgänger quasi ein Labyrinth im Labyrinth: Da man ständig auf den Steinboden schaut, um nicht in die nächste Hundehinterlassenschaft zu treten, verpasst man zwangsläufig die richtige Abzweigung und geht beständig im Kreis.
Und meistens sehen besagte Hunde, das erklärt vielleicht schon ihr Dasein, so kunstvoll aus wie die Architektur, durch die sie trippeln. Viele sind so klein, dass sie gar nicht laufen können oder sollen, sondern in eigens dafür angefertigten Körbchen oder Rucksäckchen getragen werden. Wahrscheinlich haben diese Hunde der Hygiene zuliebe eine Windel an, so genau konnte ich das nicht überprüfen. Und ich sah hier zum ersten Mal wieder einen Pudel, wie man ihn eigentlich nur aus Cartoons kennt: mit teilrasierten Beinen und plüschigen Pfoten, einem auffrisierten Brustmantel und – traurig, aber wahr – zu drei Zöpfen geflochtenem Kopffell. Offenbar war auch dieser Hund, wenngleich recht groß, nicht zum Laufen gedacht, denn ich war die volle Spazierzeit an einem Kanälchen entlang zugegen, da mein Weg mich in dieselbe Richtung trug, und nach geschätzten 300 Metern war's auch schon vorbei mit Gassi und das Pudelexemplar wurde von seinem Herrchen wieder heimgeführt.
Was aber 90 Prozent der venezianischen Hunde eint, ist ihre Kleidung. Ja, richtig, nicht Fell, Kleidung. Gut, es ist entgegen landläufiger Meinungen auch hier im Veneto noch nicht Sommer, man holt sich  schon mal leicht in der trügerischen Wintersonne einen Schnupfen weg. Doch glaubt der Venezianer an sich offenbar nicht an die Eingerichtetheit der Natur auf verschiedene Jahreszeiten, vielleicht hat er auch in seiner Kunst-Stadt schlicht noch nie davon gehört, dass Tieren für gewöhnlich ein Winterfell wächst und ihre Vorfahren, evolutionsgeschichtlich häufig steinalt, wohl darauf achten mussten, vom Menschen nicht das eigene Fell über die Ohren gezogen zu bekommen, aber doch eher nicht darauf angewiesen waren, von selbigem Kleider genäht zu bekommen. Der Venezianer jedoch hat, das ist bekannt, sich schon immer gern über die Natur erhoben und sie nach seinem eigenen Bilde geformt. So tut er es auch heute noch mit seinem Hund, indem er ihn nicht ohne Jacke aus dem Haus gehen lässt. Der venezianische Hund trägt – ganz anders als der andalusische – heute gern knallige Farben und sportliche Stoffe, gern mit farbigen Aufdrucken wie etwa dem eines Basketballteams (das ist dann wohl der Sportanzug), nicht selten aber auch das kleine wollene Schwarze, und zum Karneval darf's auch von (falschen?) Edelsteinen funkeln, dazu darf ein Häubchen auf dem Wuschelkopf nicht fehlen. Gern darf Schätzelein auch die gleiche schwarz-glänzende Daunenjacke tragen wie Frauchen, und natürlich hat sein Mäntelchen eine große aufgenähte Tasche, in der das liebe Tier seine wichitgen Unterlagen transportieren kann. Weiter gibt es alle Hüft- und Beinlängen, ob mini oder maxi, mit Rollkragen oder V-Ausschnitt. Ich schätze, der venezianische Hund hat seinen eigenen Kleiderschrank, vermutlich gleich neben seinem eigenen Bad. Vielleicht hat er auch das Sprechen erlernt; ich habe mich bisher nicht getraut, einen anzusprechen, ist ja unhöflich bei so feinem Volk.
Mir fällt nun gerade Ei-n, dass es im affektierten 18. Jahrhundert in Venedig, so zeigen es die Karikaturen meines Herrn Tiepolo, schon zum Tanzen abgerichtete Hunde gab, die ebenfalls Kleider trugen. Und ich glaube, ich werde als Geschäftsidee hier eine Hunde-Showtanzgruppe einrichten, mit der ich dann nächstes Jahr zu Karneval auftrete. Im Tutu oder gleich im stilechten Gewand des 18. Jahrhunderts. Das wird der letzte Schrei.

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