Donnerstag, 24. April 2008

Endlich ganz erwachsen!

Ja, da hat sich die Vollendung meiner Adoleszenz nun doch noch ein paar Tage hingezogen. Schuld waren mal wieder die Irrungen und Wirrungen des Zeitgeistes. Aber hier kommt er, der zweite und letzte Teil des ersten Fortsetzungsposts auf Septentryo:

Ich komme nach sagenhaften 2 Minuten dran. Die Frau ist sehr freundlich, druckt mir einen neuen Aufkleber für meinen Ausweis, und ich weiß, jetzt muss ich zur Maschine draußen und 11 Euro zahlen für eine Marke, mit der ich dann noch mal zu ihr zurück muss, war beim letzten Mal auch so. Aber ich tu erst mal so als wüsste ich von nix, lehne mich zurück und versinke in Wartehaltung. Nach etwa einer Minute hüstelt die Frau und sagt lächelnd, „Das war’s.“ Wie? Was? Fertig? Ich muss nicht warten, keine 11 Euro zahlen, es gibt keine feierliche Zeremonie? Immerhin bin ich gerade von einer Neben- zu einer Hauptbürgerin Hamburgs gemacht worden, zum ersten Mal in meinem Leben befindet sich mein Hauptwohnsitz außerhalb Nordrhein-Westfalens! Und es gibt gar keine Glückwünsche, kein warmes Willkommen, keinen Fanfarenklang? Das ist wohl, denke ich im Hinauseilen, auch ein Nebeneffekt des Erwachsenwerdens (das ja in meiner Generation meist erst um die 30 ernsthaft angegangen wird): Die Behördengänge werden zahlreicher und immer unspektakulärer, was uns vor zehn Jahren noch als kleine Revolution gegolten hätte, wird nun im Vorbeigehen erledigt und verschwindet im Trott der Alltäglichkeit.
Das Erwachsenwerden wird dann auch noch ganz schön anstrengend für Körper, Geist und Geldbeutel an diesem Nachmittag: Nachdem der Corolla und ich wieder beim TÜV Hanse angekommen sind (der Kleine freut sich schon, denkt wohl, wir wohnen jetzt hier, auf dem schönen großen Parkplatz), ich eine neue Nummer gezogen habe, die nur noch 20 entfernt ist von der gerade in Bearbeitung befindlichen und noch einmal 45 Minuten gewartet habe, ist es soweit: Kurz vor Erreichen seiner Volljährigkeit wird der Corolla Hamburger Bürger, so wie ich es am selben Tag geworden bin, um ihn dazu machen zu können. Für den neuen Bürgerstatus muss Muttern ordentlich in die Tasche greifen, zum Glück geht alles mit Karte, merkt man ja dann gar nicht. Als ich raus zur Schildermacherin will, regnet es in Strömen. Egal, denke ich, habe schon so lange gewartet, und stapfe raus, die Schildermacherin findet mich dafür „mutig“ und ich erkläre, dass ich einfach keine Lust mehr auf Warten habe. Dann gehe ich auch im strömenden Regen wieder raus und montiere die neuen Schilder. Das ist gar nicht so einfach, die sind mit Schrauben festgemacht, ich muss erst mal den passenden Schlüssel finden, die alten ab- und die neuen anschrauben, vorher aber noch mal das Stanzloch vergrößern, das alles wohlgemerkt im strömenden Regen. Binnen zwei Minuten bin ich völlig durchnässt. Der Schraubschlüssel fällt mir ein paarmal aus den glitschigen Händen. Und während ich da so im Regen hocke und schraube und frickle, merke ich vage unter meiner Kapuze, dass mich jemand beobachtet. genau genommen beobachtet er mein Auto. Das merke ich daran, dass nach ein paar Sekunden eine Stimme mit einem in Deutschland weit verbreiteten fremdländischen Akzent fragt: „Wollen Sie verkaufen?“ Nun muss man wissen, dass ich ständig von männlichen Vertretern der größten ethnischen Minderheit in Deutschland gefragt werde, ob ich mein Auto verkaufen wolle. Und etwa alle zehn Tage steckt ein Kärtchen an der Fahrertür, das mich auf die Supergelegenheit zum An- und Verkauf von Gebrauchtwagen aller Marken und jedes Zustands hinweist. Und auf die mündliche Anfrage folgt dann immer die Erklärung: „Isch kaufe solsche Auto für meine Land, da ist noch gut.“ Aha. Da ist also noch gut. Und für mich nicht mehr, oder was? Ich sehe also aus, als hätte ich die Taschen voller Geld für einen neuen Leasingwagen jedes Jahr und als führe ich dieses Auto nur spazieren, damit endlich mal ein Händler von östlich des Bosporus kommt und die Scheißkarre ins wilde Anatolien bringt, diesen Schandfleck meines bürgerlichen, arrivierten Lebens?! Meine Herren Händler, es sei hier ein für alle Mal deutlich gesagt: Ich fühle mich verdammt noch mal diskriminiert! Auch ich als Deutsche ohne Migrationshintergrund darf ein demnächst volljähriges Auto fahren! Ich habe eine enge Beziehung zu diesem Wagen! Und ich möchte ums Verrecken nicht mehr gefragt werden, ob ich ihn verkaufen wolle, sondern ihn bis zu seinem wohlverdienten Ruhestand fahren!
Der junge Mann auf dem Parkplatz vom TÜV Hanse bekommt dann auch ein recht unfreundliches „Nein. Werde ich ständig gefragt“ von mir durch den Regen hingeworfen. Pause. Er bleibt stehen und wartet. Worauf bloß? „Dann wollen Sie doch nicht verkaufen?“ – „NEIN!!“, schleudere ich ihm entgegen. ‚Doch nicht’! Ha! Superstrategie, immer schön suggestiv den potenziellen Handelspartner von dem überzeugen, was er nie gesagt hat. Er gibt auf, wünscht mir einen schönen Tag, lässt mir Gott sei Dank nicht seine Karte da und dampft ab.
Ich bin dann auch endlich fertig mit den Schildern und betrachte zufrieden das Ergebnis. HH-IE 898, so heißt der Corolla jetzt offiziell. IE, gleich zwei Vokale, und das in einer so konsonantenreichen Sprache wie dem Deutschen! Ich steige ein, streiche mit meinen nassen, verdreckten Händen zärtlich übers Lenkrad und sage mit Freude und Stolz in der Stimme: „Siehst du, Corolla, jetzt sind wir beide Hamburger. Wir sind jetzt keine Westdeutschen mehr, sondern Norddeutsche. Ich bin jetzt quasi offiziell deine Mama. Ich war heute dreimal auf zwei verschiedenen Ämtern, bin Mitglied in einem Verkehrsschutzverein geworden, habe Schilder gestanzt sowie an- und abgeschraubt, eine Menge Geld bezahlt und einen unliebsamen Händler abgewimmelt. Sowas machen nur Erwachsene.“ Der Corolla schweigt nachdenklich, er muss die ganze Aufregung dieses Tages wohl auch erst mal verdauen. In Gedanken versunken machen wir uns auf den Heimweg, einem sich nunmehr lichtenden abendlichen Horizont entgegen.

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