Freitag, 3. Oktober 2008

Von falschen Namen und Diäten für Palladio – kleines venezianisches Tagebuch in mehreren Teilen

Auf den Spuren von Giandomenico Tiepolo (über den ich ein schlaues Buch schreiben möchte und hoffentlich werde) bin ich drei Tage durch Venedig und seine Umgebung gelaufen. Das war ziemlich anstrengend, und einiges habe ich dabei erfahren. Davon will ich nun erzählen. Weil ich immer noch erschöpft bin von der Reise und außerdem beim Schreiben auch noch umziehen muss, werde ich mehrere Pausen einlegen; es wird also wieder ein schöner Fortsetzungseintrag.

Ich kannte Venedig schon von einer früheren Reise vor vier Jahren, aber sich in dieser seltsamen Stadt wirklich auszukennen ist eine Kunst für sich, und deshalb hatte ich das Angebot gern angenommen, mich von einem der Mitarbeiter meiner Pension am Bahnhof abholen zu lassen. Das Zimmer hatte ich per Telefon bei einer netten Frau vorbestellt; es würde zwar nicht für mich allein sein, dafür aber günstig und mit Frühstück. Wunderbar. Ich nannte der Frau meine Ankunftszeit und sie sagte, ihr Bruder würde mich am Bahnhof abholen. Ich gab ihr als Erkennungszeichen meine orange Jacke durch. „Und wie sieht dein Bruder aus?“, wollte ich wissen, schließlich gibt es dort eine Menge Menschen, die warten und eine weitere Menge, die die Wartenden abholt. Die Herbergsmutter wirkte etwas verwundert ob meiner Frage, sagte dann aber: „Naja, er heißt Giorgio und ist dunkelhaarig.“ Aha, dachte ich, da ist er wirklich die große Ausnahme unter allen Italienern. Wie verabredet am Fuß der großen Brücke über den Canal Grande angekommen, positionierte ich mich dort also möglichst auffällig mit meiner gottlob knallorangen Jacke und hoffte, Giorgio würde mir ein ähnliches Zeichen senden.
Dort wartete ich so eine ganze Weile und blickte jedem herannahenden dunkelhaarigen Italiener (meistens kann man die ja ganz gut von den Touristen unterscheiden, sind besser gekleidet) tief in die Augen, während ich gleichzeitig mit einem oder zwei Fingern unauffällig auf meine Jacke zu deuten versuchte. Aber keiner achtete auf meine Zeichen, und die Minuten verstrichen zu fünft, zu zehnt und mehr. Plötzlich baute sich wie aus dem Nichts ein kleiner, gehetzt wirkender Asiate vor mir und fragte in sehr schlechtem Englisch, ob ich Nina sei. „Äh, yes“, erwiderte ich zögernd, „aber – you are not Giorgio, are you?!“ – „Oh yes, itali: Jiojio.“ Ich verstand; einer der vielen Asiaten, die sich ihren europäischen Gastlandbewohnern zuliebe einen für diese aussprechbaren Namen geben. Trotzdem seltsam, dachte ich, seine angebliche Schwester hatte am Telefon sehr professionell Italienisch gesprochen. Und Pseudo-Giorgio sprach noch weniger Italienisch als Englisch, das merkte ich schnell. In meiner Verdutztheit fragte ich dann tatsächlich etwas wie „And is your sister really your sister?“, fühlte mich irgendwie veräppelt in meiner romantischen Hoffnung, im Haus einer italienischen Familie aufgenommen und erst mal ordentlich mit Pasta bekocht zu werden, und sei’s auch gegen Geld und mit anderen Touris zusammen. Giorgio verstand meine unverschämte Frage zum Glück falsch und antwortete irgendwas anderes. Er und seine Schwester sind aus Thailand und er jobbt gelegentlich in ihrem Hostel, so viel bekam ich aus ihm heraus, aber auch nur auf ausdrückliche Nachfrage. Eigentlich schwieg er die ganze Zeit – auf immerhin gut fünfzehn Minuten Weg – und fragte mich auch nichts, wohl auch aus sprachlichem Unvermögen. So wurde es eine recht eigenartige abendliche Wanderung: Wenn wir nicht gerade schwiegen oder er mir mit der Hand und einem „this“ den Weg wies, kam ich mir vor wie eine neugierige Polizistin, die den armen thailändischen Schwarzarbeiter verhört. Ich sollte Giorgio noch anders erleben, aber dazu später.
Nach der ersten Nacht im Dreibettzimmer, die ich mit zwei in der Dunkelheit nicht erkennbaren weiblichen Wesen verbracht hatte – sie verließen das Haus schon in aller Herrgottsfrühe – , machte ich mich also auf den Weg der Wissenschaft. Für den hatte ich mir einiges vorgenommen, musste also schauen, dass alles zügig voranging. Da es aber nahezu unmöglich ist, sich bei einer Dreivierteldurchquerung Venedigs nicht zu verlaufen, wenn man gerade vier Jahre lang nicht da war, dauerte das Ankommen an meinem ersten Ziel, Ca’ Rezzonico, dann doch etwas länger als geplant. Damit ich beim Verirren bei Laune blieb, lief mir in einer Sackgasse Sonja über den Weg. Die heißt aber gar nicht wirklich Sonja, sondern eigentlich Songün, lebt in Dresden und ist vor acht Jahren aus der Türkei dorthin gezogen. Sie meinte, ihren wirklichen Namen könnten ihre deutschen Freundinnen nicht aussprechen, deshalb habe sie sich an Sonja gewöhnt. Und sie war hoch erfreut, als sie mein Deutsch hörte, sie konnte sich nämlich weder auf Englisch noch auf Italienisch, sondern nur auf Türkisch oder Deutsch verständigen und war so ein bisschen verloren dort jenseits der Alpen; noch dazu hatte sie Stöckelschuhe mit etwa acht Zentimetern Absatzhöhe an, „Ich dachte, ich fahre heute nur Boot“. Wir nahmen dann auch gemeinsam den Vaporetto, nachdem wir endlich die Station gefunden hatten. Ich fuhr mehr zufällig schwarz, aber Sonjagün meinte lächelnd, „Ich bringe dir Glück, du brauchst keine Fahrkarte.“ So war es dann auch, die Sonne schien, Venedig zog rechts und links des Canal Grande an uns vorbei und hatte sein Sonntagsgesicht aufgesetzt, niemand kontrollierte die Fahrkarten, und der Vaporetto setzte uns direkt an der Ca’ Rezzonico ab. Wirklich kunstinteressiert war Sonja nicht, was ich an ihrer sprudelnden Beschreibung eines „alten“ Bildes merkte, „total verrückt, was die Leute darauf machen, total verrückt!“ Ich glaube, sie wusste ohnehin nicht ganz genau, warum sie nach Venedig gekommen war. Sie wollte gern Salsa tanzen und hatte gelesen, es gäbe dafür donnerstags ein Lokal in Venedig, aber wo das war und wie es hieß, wusste sie nicht. Wir trafen uns nach getrennten Wegen zum Essen wieder, wo ich erfuhr, dass sie schon zwei gescheiterte Ehen hinter sich hat – und das mit schätzungsweise Ende Dreißig. Offenbar suchte sie in Italien vor allem ein wenig Abenteuer und Abstand von allem. Zuletzt entschied sie aber, zwei Tage früher als geplant zurückzufliegen, zu ihrem Freund nach München, weil der sie ständig anrief und darum bat. „Aber ich weiß nicht, das ist alles noch nicht so ernst mit dem... Wenn der sähe, wie ich Salsa tanze, wäre er total eifersüchtig. Ist halt Türke.“
Dieses war der erste Teil. Fortsetzung folgt in der nächsten Ausgabe. Schalten Sie also wieder ein und seien Sie dabei.

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