Ich war ja nie ein besonderer Freund (und auch keine Freundin) der typischen Mädchensportarten. Meine ganze Kindheit und Jugend hindurch war ich für alles Tänzerische und Turnerische zu plump, und später wollte ich lieber meine männliche Seite betonen und entschied mich für Kampfsport, wo ich mich bekanntermaßen noch immer gern balge. Nun kamen aber zwei Ereignisse zusammen, die mich meine Einstellung überdenken ließen: Erstens las ich kürzlich einen Text von Elizabeth Gilbert, der Dame, die die Literaturvorlage zum jetzt erschienenen Film "Eat. pray. love" lieferte. In diesem Text erzählte Frau Gilbert von ihrem Yoga-Erweckungserlebnis. Das trug sich dergestalt zu, dass Frau Gilbert gar nicht wusste, was das ist, Yoga. Aber sie hatte immer Rückenschmerzen und deshalb schickte eine Freundin sie zur Yogastunde. Und als sie so schwitzend dalag und in einer Übung ihre Wirbelsäule dehnte, schrie die Wirbelsäule plötzlich "Jaaaa, das will ich, das habe ich immer gewollt!" oder so ähnlich. Und von da an hörte Frau Gilbert nie mehr auf, Yoga zu machen, und ihre Wirbelsäule sprach weiter freundlich zu ihr und tat nicht mehr weh.
Tags darauf (das gehört immer noch zu erstens, ich wollte nur mal einen Absatz machen) erzählte mir dann eine Freundin von ihren gerade gemachten ersten Yogaerfahrungen (ohne dass wir zuvor über Frau Gilbert gesprochen hätten), und sie kam schließlich zu dem Satz: "Ich weiß nicht, irgendwie sagt mein Körper immer so 'ja!' bei allen Yogaübungen." Da durchfuhr es mich dann doch wie ein Potzblitz. Zwei Frauen, zwei Leben, die sich nie gekreuzt haben, zwei Geister, die nichts voneinander wissen, und beider Körper sagen das Gleiche zum Yoga! Und da haben wir noch gar nicht diskutiert, dass Körper überhaupt plötzlich zu ihren Besitzern sprechen!
Zweitens, und das ist nun das späte Zweitens, habe ich seit geraumer Zeit mit einer Ellbogenentzündung zu kämpfen, mit der man sich beim besten Willen nicht schmerzfrei kampfsportmäßig balgen kann. Da die Leibesertüchtigung nun aber nicht ganz wegfallen soll und ich ja gerade so viel Positives darüber gehört hatte, probierte ich es also aus: Yoga. Eine hierzulande doch eher von Mädchen betriebene Sportart, wie mir die meisten beipflichten werden. Aber sei's drum, mir tat der Arm weh und ich wollte mich trotzdem bewegen, und vielleicht hätte ich ja auch so ein Ja-Erlebnis.
Das erste Erlebnis der besonderen, auch besonders schönen Art, zugleich wohl der Grund, warum nur ein einziger Mann außer ihm in der Halle zu finden war, war der Yogi. Vielleicht darf man ihn auch gar nicht Yogi nennen und er war einfach nur der Trainer. Jedenfalls hatte er den Körper Gottes in seinen besten Jahren, dazu mokkacremefarbene Haut und hüftlange Dreadlocks. Ich vermute, dass er ein echter jamaikanischer Rastafari ist. Er spricht jedenfalls wie ein Inder, der lange in Holland gelebt und etwas zu spät, mit Anfang 20, angefangen hat, Deutsch zu lernen. Das Ureigenste seiner Sprache, vielleicht auch ein Einfluss des Yoga, ist, dass Singular und Plural in Harmonie miteinander verschmelzen. Das hat den schönen Effekt, dass man nie genau weiß, wer angesprochen ist und wie viele, dass sich also alle ganz schnell als ein einziges Wesen fühlen. Was sollte man auch anderes tun bei zart gesäuselten Aufforderungen wie "Wenn du kannst, streckt Sie (oder sie) die Hand zu eure Fuß". Oder "wenn sie (oder Sie) kann, dreh dich mit die andere Seite in die obere Richtung". Zeit, Zahl, Raum und Wesen werden eins, die Abgrenzung des Individuums von seiner Umwelt verschwimmt zu einer undeutlichen Erinnerung an früher. Am schönsten und, wie ich später lernte, für den ganzen Wohlfühlsportkontext wichtigsten ist aber die mantrahaft wiederholte Mahnung "Nimm deine Schulter weg von die Ohre!" Ich interpretierte scharf und richtig, dass damit das Absenken beider Schultern ohne Zuhilfenahme der Hände gemeint ist, stelle mir aber seitdem immer wieder gern vor, wie die rechte Hand die am linken Ohr (und umgekehrt) versehentlich festgeklebte Schulter abzupft und wieder an ihrer gegebenen Stelle einklinkt.
Nun, ich hatte alles in allem eine unterhaltsame erste Yogastunde, in dieser jedoch kein Ja-Findungserlebnis und hinterher stärkere Armschmerzen. Die Armschmerzen sollten mich so schnell nicht wieder verlassen, weshalb ich in den folgenden Wochen eine kleine Rundreise durch das Angebot vermeintlich armschonender Mädchensportarten meines Vereins antrat. Karate Kid wird ja auch älter und darf es mal etwas ruhiger angehen lassen, dachte ich etwas wehmütig. Und probierte aus:
Nach Yoga kam Pilates. Darunter hatte ich mir nun etwas vollkommen anderes vorgestellt als das, was ich, auf schweißtreibenden Body-Workout und dergleichen eingestellt, geboten bekam: Hauptsächlich verbrachte ich die Stunde mit dem Versuch zu verstehen, wann ich ein- und wann ausatmen sollte, ob bei Kopf/Bein runter oder hoch. Und ich versuchte meine drei zwischen den Beinen befindlichen Körperöffnungen fest zu verschließen, wie mir befohlen, wenn auch mit dem leisen Hinterkopfgedanken, dass ich diese Öffnungen ohnehin die meiste Zeit geschlossen zu tragen pflege. Außerdem schwitzte ich nicht einen Tropfen, und das war mir besonders unheimlich, pflege ich doch bei körperlicher Betätigung wie eine Art wildes Tier zu transpirieren (und sagen Sie jetzt bitte nciht, wilde Tiere transpirieren nicht).
Das Ja fand ich aber ganz unerwartet beim gar nicht spirituellen Kurs "Fitness Light". Das Ja liegt dort geradezu auf der Straße, will sagen auf dem Hallenboden. Und es wird ständig hinausgejauchzt von der Trainerin, die einfach mit einem Mordsspaß bei der Rumgehüpfe-Sache ist und dies ihren zahlreichen Schäfchen gern durch in verschiedenen Tonlagen tirilierte "Jas" vermittelt. Beim ersten Mal dachte ich, oh Gott, das halte ich nicht aus. Genau hier war ich umgeben von all diesen Mädchen, deren Sportarten ich doch nie machen wollte! Ich, Karate Kids kleiner Kumpel!
Aber was soll ich sagen, in der Not pickt auch das Kid die Brotkrumen vom Hallenboden auf. Immerhin war ich eine von zwei Teilnehmerinnen am Pilates-Kurs am 27.12. (scheren Sie sich nicht um das oben stehende Datum, lieber Leser, Neujahr ist schon vorbei, das ist die traurige Wahrheit), ich bin da also schon mit dieser gewissen Härte bei der Sache, die sonst fast nur echte Kampfsportler zeigen. Und ich habe standhaft abgelehnt, als man mich an jenem Tag freundlich zu "Fit über 50" einlud, nur weil ich wartend vor der anderen Halle stand. Und was Koordination und Gelenkigkeit angeht, kann ich den Hüpfi-Schickies schon zeigen, wo der Hammer hängt. Übrigens ist in jedem Kurs immer ein Quotenmann dabei, scheint eine goldene Regel zu sein. Und ich bin seit meiner Armkrankheit immer die Eifrige, die partout barfuß hüpft, weil sie keine schicken Turnschuhe hat und Kampfsportler nunmal barfuß trainieren, und die außerdem in ziemlich unvorteilhaften alten Schlabbersachen sportelt, weil sie ja schlecht im Karateanzug hingehen kann und nicht bereit ist, sich für ein temporär angelegtes Mädchengehüpfe extra schicke schwarz-rosa Hüpfsachen zu kaufen. Mit Yoga, habe ich beschlossen, warte ich lieber noch ein paar Jahre. Bis ich bereit bin für die Ja-Findung.
Montag, 27. September 2010
Dienstag, 21. September 2010
Aus aktuellem Anlass: Vivat Russia!
Liebe Freunde, – wie soll ich es sagen – ich bin gleichzeitig unendlich gerührt und unendlich erstaunt über meine bisherige Blindheit. Ich schwöre, ich habe es bis gestern nicht gewusst: Ich bin ein Weltstar. Und ein Großteil meiner Fangemeinde wohnt in einem Land, das ich bisher weitgehend zu ignorieren versucht habe, über das ich aber ab sofort mehr zu lernen gedenke: Russland.
Dazu sollte ich erklären, dass ich in meiner grenzenlosen Weltfremdheit erst gestern bemerkte, dass es für die Art von Blogs, wie ich sie betreibe, ein Feld mit "Statistiken" gibt. Gesehen hatte ich das wohl schon mal mit einem Auge, aber in meiner Abscheu für alles Zahlenbezogene tunlichst den Klick gemieden. Dann kam mir plötzlich der Gedanke, dass diese sogenannten Statistiken ja etwas mit meinem Blog, genauer mit seinen Lesern zu tun haben könnten. Und siehe da: Eine neue Welt tat sich mir auf. Nicht nur, dass mehrere hundert Leser Septentryo auch in der großen Zeit der Dürre, als Fraunoelle monatelang nicht einen Eintrag veröffentlichte (heute schämt sie sich dafür, wirklich!), treu verfolgten. Was mein Kosmopolitenherz noch viel heftiger in Wallung versetzte (oder war das das Blut?), ist die Internationalität meiner Leserschaft. Septentryo erfreut sich der Beliebtheit von Luxemburgern, Briten, US-Amerikanern, ja sogar in Hongkong gibt es offenbar höchst fleißige Deutschlerner oder aber emsige Exilierte. Die Chinesen lassen Septentryo, scheint's, durch die strenge Zensur schlüpfen, denn auch dort werden wir gelesen.
Weniger erfreute mich, dass der Lieblingspost der letzten Monate "Besoffene Vögel mit Hauben" ist, weit abgeschlagener Spitzenreiter vor den Geschichten aus Kuba. Die Tatsache, dass es in besagtem Text um eine Haubitze, also ein Kriegsgerät geht, lässt mich folgern, dass sich in meiner Leserschaft nicht wenige Militaria-Fetischisten befinden. Keine Ahnung, über welchen Backlink die hier gelandet sind, aber lasst euch gesagt sein, ihr Möchtegern-Kriegstreiber und Haudraufs: Ihr seid hier falsch. Septentryo ist ein zwar manchmal ordinäres, aber durch und durch pazifistisches Blog. Wenn ihr bereit seid, eure Waffensammlungen an Brot für die Welt zu spenden, seid ihr herzlich willkommen, ansonsten: Tummelt euch woanders!
Nun aber zum schon angedeuteten, für mich bewegendsten Teil meiner gestrigen Entdeckung: meinen unbekannten russischen Freunden. Für den Monat September lag die Häufigkeit der Seitenaufrufe in Russland gleich hinter der in Deutschland, und zwar mit sechs Aufrufen. Ich kann ja nun nicht gut rechnen und habe auch gerade nicht nachgeschaut, wie viele Einwohner Russland hat, aber ich könnte mir durchaus vorstellen, dass diese sechs Russen etwa ein Millionstel der Einwohner dieses riesigen Landes darstellen. Das ist doch schon was! Und über einen längeren Zeitraum verteilt waren es auch noch mehr, ich wollte jetzt nur nicht so angeben. Jedenfalls reichen die sechs Russen aus, um Russland auf der hübsch illustrierten statistischen Septentryo-Weltkarte hellgrün einzufärben. Deutschland ist auf dieser Karte dunkelgrün gefärbt (das heißt also, für alle mitleidigen Schmunzler, dass es in unserem Lande ein paar mehr sind als sechs, sogar mehr als sechzig, ätsch); außer Russland schaffen es noch China und die Vereinigten Staaten für den Monat September ins helle Grün. Man stelle sich vor und greife sich bewegt an die Brust: die einstigen Klassenfeinde und heutigen Wirtschaftsrivalen friedvoll vereint in einem einzigen frischen Mintton! Und dazwischen, in sattem Moosgrün, das liebe Deutschland als Mittler und Zusammenführer! Schlagen da nicht Diplomatenherzen höher (da fällt mir ein, vielleicht sind meine ausländischen Leser ja sogar Diplomaten. Huhuu, Kuckuck, hab euch erkannt!)?
Vor allem drängt es mich aber zu erfahren: Wer seid ihr, fremde Russen? Russlanddeutsche? Ich dachte immer, die können eigentlich kein Deutsch und wollen trotzdem in Deutschland wohnen, weil's hier schöner ist. Ehemalige KGB-Agenten, Nostalgiker der DDR? Aber ich bin doch Wessi, findet ihr bei mir, was ihr sucht? Oder habt ihr von der Stasi erfahren, dass die Familie meines Vaters damals vor den Sowjets aus Sachsen floh und hattet mich eh in den Akten? Oder seid ihr am Ende einfach nur unspektakuläre Studenten der Germanistik oder, noch schlimmer, deutsche Studenten der Slawistik, die ein bisschen virtuelle Heimatluft schnuppern wollen? Geht ja doch immer mal wieder um Heimat bei Septentryo, das habt ihr richtig erkannt.
Liebe sechs Russen, wer auch immer ihr seid, ich kann eure Sprache nicht. Deshalb bin ich froh und dankbar, dass ihr meine könnt. Ich würde euch ja auch gern mal besuchen, aber irgendwie ist mir eure Regierung nicht ganz koscher und auch nicht eure goldbehängten Milliardärsgattinen, und ich kann immer nur eine ganz kleine Pfütze Wodka trinken, dann schüttelts mich schon. Ich bin also nicht sehr geeignet für ein Leben bei euch. Aber ich danke euch für euer Interesse an Septentryo, und ihr seid ganz herzlich eingeladen zur nächsten Lesung. Die findet im Freien statt im Oktober, dürfte für euch also ein angenehmes Ambiente sein, in dem ihr euch mit viel Wodka warmtrinken könnt. Ich glaube, für euch sechs hätten wir hier zur Not sogar ein Schlafplätzchen.
Dazu sollte ich erklären, dass ich in meiner grenzenlosen Weltfremdheit erst gestern bemerkte, dass es für die Art von Blogs, wie ich sie betreibe, ein Feld mit "Statistiken" gibt. Gesehen hatte ich das wohl schon mal mit einem Auge, aber in meiner Abscheu für alles Zahlenbezogene tunlichst den Klick gemieden. Dann kam mir plötzlich der Gedanke, dass diese sogenannten Statistiken ja etwas mit meinem Blog, genauer mit seinen Lesern zu tun haben könnten. Und siehe da: Eine neue Welt tat sich mir auf. Nicht nur, dass mehrere hundert Leser Septentryo auch in der großen Zeit der Dürre, als Fraunoelle monatelang nicht einen Eintrag veröffentlichte (heute schämt sie sich dafür, wirklich!), treu verfolgten. Was mein Kosmopolitenherz noch viel heftiger in Wallung versetzte (oder war das das Blut?), ist die Internationalität meiner Leserschaft. Septentryo erfreut sich der Beliebtheit von Luxemburgern, Briten, US-Amerikanern, ja sogar in Hongkong gibt es offenbar höchst fleißige Deutschlerner oder aber emsige Exilierte. Die Chinesen lassen Septentryo, scheint's, durch die strenge Zensur schlüpfen, denn auch dort werden wir gelesen.
Weniger erfreute mich, dass der Lieblingspost der letzten Monate "Besoffene Vögel mit Hauben" ist, weit abgeschlagener Spitzenreiter vor den Geschichten aus Kuba. Die Tatsache, dass es in besagtem Text um eine Haubitze, also ein Kriegsgerät geht, lässt mich folgern, dass sich in meiner Leserschaft nicht wenige Militaria-Fetischisten befinden. Keine Ahnung, über welchen Backlink die hier gelandet sind, aber lasst euch gesagt sein, ihr Möchtegern-Kriegstreiber und Haudraufs: Ihr seid hier falsch. Septentryo ist ein zwar manchmal ordinäres, aber durch und durch pazifistisches Blog. Wenn ihr bereit seid, eure Waffensammlungen an Brot für die Welt zu spenden, seid ihr herzlich willkommen, ansonsten: Tummelt euch woanders!
Nun aber zum schon angedeuteten, für mich bewegendsten Teil meiner gestrigen Entdeckung: meinen unbekannten russischen Freunden. Für den Monat September lag die Häufigkeit der Seitenaufrufe in Russland gleich hinter der in Deutschland, und zwar mit sechs Aufrufen. Ich kann ja nun nicht gut rechnen und habe auch gerade nicht nachgeschaut, wie viele Einwohner Russland hat, aber ich könnte mir durchaus vorstellen, dass diese sechs Russen etwa ein Millionstel der Einwohner dieses riesigen Landes darstellen. Das ist doch schon was! Und über einen längeren Zeitraum verteilt waren es auch noch mehr, ich wollte jetzt nur nicht so angeben. Jedenfalls reichen die sechs Russen aus, um Russland auf der hübsch illustrierten statistischen Septentryo-Weltkarte hellgrün einzufärben. Deutschland ist auf dieser Karte dunkelgrün gefärbt (das heißt also, für alle mitleidigen Schmunzler, dass es in unserem Lande ein paar mehr sind als sechs, sogar mehr als sechzig, ätsch); außer Russland schaffen es noch China und die Vereinigten Staaten für den Monat September ins helle Grün. Man stelle sich vor und greife sich bewegt an die Brust: die einstigen Klassenfeinde und heutigen Wirtschaftsrivalen friedvoll vereint in einem einzigen frischen Mintton! Und dazwischen, in sattem Moosgrün, das liebe Deutschland als Mittler und Zusammenführer! Schlagen da nicht Diplomatenherzen höher (da fällt mir ein, vielleicht sind meine ausländischen Leser ja sogar Diplomaten. Huhuu, Kuckuck, hab euch erkannt!)?
Vor allem drängt es mich aber zu erfahren: Wer seid ihr, fremde Russen? Russlanddeutsche? Ich dachte immer, die können eigentlich kein Deutsch und wollen trotzdem in Deutschland wohnen, weil's hier schöner ist. Ehemalige KGB-Agenten, Nostalgiker der DDR? Aber ich bin doch Wessi, findet ihr bei mir, was ihr sucht? Oder habt ihr von der Stasi erfahren, dass die Familie meines Vaters damals vor den Sowjets aus Sachsen floh und hattet mich eh in den Akten? Oder seid ihr am Ende einfach nur unspektakuläre Studenten der Germanistik oder, noch schlimmer, deutsche Studenten der Slawistik, die ein bisschen virtuelle Heimatluft schnuppern wollen? Geht ja doch immer mal wieder um Heimat bei Septentryo, das habt ihr richtig erkannt.
Liebe sechs Russen, wer auch immer ihr seid, ich kann eure Sprache nicht. Deshalb bin ich froh und dankbar, dass ihr meine könnt. Ich würde euch ja auch gern mal besuchen, aber irgendwie ist mir eure Regierung nicht ganz koscher und auch nicht eure goldbehängten Milliardärsgattinen, und ich kann immer nur eine ganz kleine Pfütze Wodka trinken, dann schüttelts mich schon. Ich bin also nicht sehr geeignet für ein Leben bei euch. Aber ich danke euch für euer Interesse an Septentryo, und ihr seid ganz herzlich eingeladen zur nächsten Lesung. Die findet im Freien statt im Oktober, dürfte für euch also ein angenehmes Ambiente sein, in dem ihr euch mit viel Wodka warmtrinken könnt. Ich glaube, für euch sechs hätten wir hier zur Not sogar ein Schlafplätzchen.
Sonntag, 19. September 2010
Hispania II: Mentalitätsnahes Beschmutzen und Putzen
Gibt es in Ihrem Haushalt Domestos? Nein? Clorix? Auch nicht? Dachte ich mir. Sie reinigen vermutlich mit Frosch-Reiniger oder einem ähnlichen Produkt, auf dem etwas von biologischer Abbaubarkeit steht. Und ich möchte fast wetten, dass Sie, wenn es die Wahl zwischen Papier- und Plastiktüten gibt, beherzt zum Papier greifen oder vielleicht sogar, das wäre schon sehr vorbildlich, einen Korb oder eine Stofftasche zum Einkaufen mitnehmen; vielleicht füllen Sie auch alle Einkäufe in Ihren Rucksack oder Ihre Fahrradtasche. Willkommen im modernen, umweltbewussten Deutschland der schöneren Schichten, die in den Achtzigern verängstigt ans Waldsterben geglaubt haben und wenn möglich gern die Wale retten wollen. Und für die eine sorgfältige Mülltrennung sehr viel sicherer ist als das Amen in der Kirche. Willkommen im zivilisierten Westeuropa.
Nun liegt Spanien ja eindeutig weiter im Westen als Deutschland, aber in puncto Umweltschutz denke ich manchmal, die Moderne ist dort noch nicht angekommen. Ist übertrieben, ich weiß. Aber umgekehrt leben wir aus spanischer Sichtweise einfach nur im Dreck. Und sind insofern zutiefst rückständig, als wir einfach den Komfort der Keimfreiheit nicht begriffen haben. Ich denke, das hat vor allem historische Gründe: Als Deutschland sich Gedanken um sauren Regen und das Waldsterben machte, hatte Spanien gerade ein paar francofreie Jahre und gleich den ersten Staatsstreich hinter sich; wer konnte, floh vom armen, dreckigen Land in die erwachenden Städte, ließ das Bauerndasein und die dunkle Vergangenheit zurück und leistete sich als erstes ein sauberes Wasserklosett, am besten mit Bidet. Sagt der Abort des Menschen doch alles über seine sonstige Lebensweise.
Zur gleichen Zeit erfuhr der recht fortschrittlich lebende Deutsche, dass die Atomenergie vielleicht sein Gemüse verseucht und dass eine Plastiktüte im Wald 300 Jahre braucht, um zu verrotten. Und es war ihm nicht egal. Zaghaft erst, dann zunehmend mit System, begann er, Plastik zu sparen, nahm fürs gemischte Obst vielleicht nur eine Tüte und packte die Bananen gleich gar nicht mehr ein, kehrte am Ende, aber das dauerte noch ein bisschen, sogar zur Papiertüte zurück. Meisterlich wurde der ökologisch besorgte Deutsche in der Mülltrennung, er wurde ein wahrer Meistermülltrenner (oder Mülltrennmeister): Das Altpapier bekam ein Körbchen, das Glas drei verschiedene Beutelchen je nach Farbe, der Biomüll kam in die schwarze oder grüne Tonne, wenn nicht gleich auf den hauseigenen Kompost. Und dann war da noch, jahaaa, der Grüne Punkt mit seinem gelben Sack. In vielen Ortschaften der Lieblings-Streitpunkt unzufriedener Bürger, die sich von ihren Kommunaloberen sinnlos geknechtet fühlten, wussten doch einige aus guter Quelle, dass all die gelben Säcke mit ihrem Plastikmüll hinterher sowieso wieder zusammen mit dem ganz normalen Müll (von dem manch einer gar nicht mehr wusste, was man ihn eigentlich noch werfen durfte) in der Verbrennungsanlage landeten.
Und so trennt er, trotz zeitweiliger Erbostheit, bis heute, der brave Biodeutsche. Es ergaben sich auch neue Sozialnischen aus dieser Mülltrennung, wie die der Glas- und Dosensammler. Das Plastik ist von den Kassen der Supermärkte hierzulande weitgehend verschwunden, oder es kostet extra. Und Reinigungsmittel sind heute alle biologisch abbaubar, oder sie bleiben im Regal stehen. Wenn der Abfluss mal verstopft ist, na was ist denn schon dabei, da nimmt man nicht einfach Abflussfrei, denn das ist ätzend, sondern man nimmt erst mal den Plömmel und pumpt ordentlich. Oder versucht's mit Omas gutem Kaffeesatz. Nicht so bei unseren südländischen Freunden.
Gehen Sie mal in einen spanischen Supermarkt, kaufen Sie ordentlich ein. Sagen wir für 30 Euro. Da kommen Sie aber unter 6 Tüten nicht raus. Plastik, versteht sich. Die Papiertüte existiert nicht südlich der Pyrenäen. Und Sie werden verdammt komisch angeguckt, wenn Sie mit einem Rucksack ankommen und an der Kasse anfangen, alles da reinzustopfen, das sage ich Ihnen. Man hält Sie dann gleich für einen Rucksacktouristen (der Sie ja vielleicht auch sind) oder Streuner. Und in ähnliche Kategorien fallen Sie, wenn Sie erzählen, dass Sie zu Hause nur mit Bio-Reinigern putzen, möglichst ohne Chemie, gar noch begleitet von der Aussage, Sterilität sei nicht Ihr oberstes Haushaltsziel. Um Himmels Willen, virgen santa, da werden die Sie umgebenden Hände aber entsetzt über dem Kopf zusammen geschlagen.
Das Zauberwort iberischer Heimhygiene nämlich ist lejía. Bei uns bekannt und von Privatleuten kaum noch gekauft als Domestos oder Clorix. Eine garantiert nicht biologisch abbaubare Chemiebombe, die auch zum Bleichen von Kleidung verwendet wird. Ökohaushaltsvorstehern und -vorsteherinnen gestern wie heute ein Dorn im Auge. Im spansichen Heim dagegen wird lejía gern für die Reinigung und Entkeimung von allem verwendet: Böden, Toilette, Spüle, Wäsche, Abflüsse, Badewannen, Türklinken, Futternäpfe. Dank lejía ist der spanische Durchschnittshaushalt zu 99% keimfrei. Man könnte im Grunde überall vom Boden essen, wenn man nicht diese lästige Chlorvergiftung davon bekäme. Eine Bekannte erzählte einmal, seit sie einen Hund habe, verdünne sie die lejía gar nicht mehr mit Wasser, sondern reinige den Boden einfach mit lejía pura. Auf die etwas entsetzte Frage, ob sie denn nicht Angst habe, der Hund könne Reste des Reinigungsmittels beim Knochenknabbern versehentlich vom Boden aufschlecken, erwiderte sie leicht pikiert, Hundeknochen seien ja wohl zum Verzehr außer Haus gedacht.
Es hat ja alles auch sein Gutes. Die Millionen Touristen, die jährlich in spanischen Betten übernachten, hinterlassen ja doch eine Menge Keime. Da hilft lejía letztlich vielleicht auch, die Volksgesundheit zu erhalten. Und der typische deutsche Öko-Tourist in Spanien hat für seine Schmutzwäsche und seine dreckigen Wanderschuhe immer eine Plastiktüte zu wenig, weil die daheim ja kaum noch zu kriegen sind. Er braucht nur in einen beliebigen Supermarkt zu gehen und eine Packung Vollkornkekse zu kaufen, schon hat er zwei frische, neue Tüten. Die kann er dann wieder für die nächsten drei Jahre verwenden.
Dies alles sei Ihnen nur auf den Weg gegeben, falls Sie daran denken, Ihr Domizil dauerhaft oder zeitweise auf die iberische Halbinsel zu verlegen: Kaufen Sie zu Hause ordentlich Bio-Putzmittel ein und nehmen Sie sich, falls dies für Sie in Frage kommt, besser eine deutsche Putzfrau. Es sei denn, Sie möchten es einmal hygienisch rein haben.
Nun liegt Spanien ja eindeutig weiter im Westen als Deutschland, aber in puncto Umweltschutz denke ich manchmal, die Moderne ist dort noch nicht angekommen. Ist übertrieben, ich weiß. Aber umgekehrt leben wir aus spanischer Sichtweise einfach nur im Dreck. Und sind insofern zutiefst rückständig, als wir einfach den Komfort der Keimfreiheit nicht begriffen haben. Ich denke, das hat vor allem historische Gründe: Als Deutschland sich Gedanken um sauren Regen und das Waldsterben machte, hatte Spanien gerade ein paar francofreie Jahre und gleich den ersten Staatsstreich hinter sich; wer konnte, floh vom armen, dreckigen Land in die erwachenden Städte, ließ das Bauerndasein und die dunkle Vergangenheit zurück und leistete sich als erstes ein sauberes Wasserklosett, am besten mit Bidet. Sagt der Abort des Menschen doch alles über seine sonstige Lebensweise.
Zur gleichen Zeit erfuhr der recht fortschrittlich lebende Deutsche, dass die Atomenergie vielleicht sein Gemüse verseucht und dass eine Plastiktüte im Wald 300 Jahre braucht, um zu verrotten. Und es war ihm nicht egal. Zaghaft erst, dann zunehmend mit System, begann er, Plastik zu sparen, nahm fürs gemischte Obst vielleicht nur eine Tüte und packte die Bananen gleich gar nicht mehr ein, kehrte am Ende, aber das dauerte noch ein bisschen, sogar zur Papiertüte zurück. Meisterlich wurde der ökologisch besorgte Deutsche in der Mülltrennung, er wurde ein wahrer Meistermülltrenner (oder Mülltrennmeister): Das Altpapier bekam ein Körbchen, das Glas drei verschiedene Beutelchen je nach Farbe, der Biomüll kam in die schwarze oder grüne Tonne, wenn nicht gleich auf den hauseigenen Kompost. Und dann war da noch, jahaaa, der Grüne Punkt mit seinem gelben Sack. In vielen Ortschaften der Lieblings-Streitpunkt unzufriedener Bürger, die sich von ihren Kommunaloberen sinnlos geknechtet fühlten, wussten doch einige aus guter Quelle, dass all die gelben Säcke mit ihrem Plastikmüll hinterher sowieso wieder zusammen mit dem ganz normalen Müll (von dem manch einer gar nicht mehr wusste, was man ihn eigentlich noch werfen durfte) in der Verbrennungsanlage landeten.
Und so trennt er, trotz zeitweiliger Erbostheit, bis heute, der brave Biodeutsche. Es ergaben sich auch neue Sozialnischen aus dieser Mülltrennung, wie die der Glas- und Dosensammler. Das Plastik ist von den Kassen der Supermärkte hierzulande weitgehend verschwunden, oder es kostet extra. Und Reinigungsmittel sind heute alle biologisch abbaubar, oder sie bleiben im Regal stehen. Wenn der Abfluss mal verstopft ist, na was ist denn schon dabei, da nimmt man nicht einfach Abflussfrei, denn das ist ätzend, sondern man nimmt erst mal den Plömmel und pumpt ordentlich. Oder versucht's mit Omas gutem Kaffeesatz. Nicht so bei unseren südländischen Freunden.
Gehen Sie mal in einen spanischen Supermarkt, kaufen Sie ordentlich ein. Sagen wir für 30 Euro. Da kommen Sie aber unter 6 Tüten nicht raus. Plastik, versteht sich. Die Papiertüte existiert nicht südlich der Pyrenäen. Und Sie werden verdammt komisch angeguckt, wenn Sie mit einem Rucksack ankommen und an der Kasse anfangen, alles da reinzustopfen, das sage ich Ihnen. Man hält Sie dann gleich für einen Rucksacktouristen (der Sie ja vielleicht auch sind) oder Streuner. Und in ähnliche Kategorien fallen Sie, wenn Sie erzählen, dass Sie zu Hause nur mit Bio-Reinigern putzen, möglichst ohne Chemie, gar noch begleitet von der Aussage, Sterilität sei nicht Ihr oberstes Haushaltsziel. Um Himmels Willen, virgen santa, da werden die Sie umgebenden Hände aber entsetzt über dem Kopf zusammen geschlagen.
Das Zauberwort iberischer Heimhygiene nämlich ist lejía. Bei uns bekannt und von Privatleuten kaum noch gekauft als Domestos oder Clorix. Eine garantiert nicht biologisch abbaubare Chemiebombe, die auch zum Bleichen von Kleidung verwendet wird. Ökohaushaltsvorstehern und -vorsteherinnen gestern wie heute ein Dorn im Auge. Im spansichen Heim dagegen wird lejía gern für die Reinigung und Entkeimung von allem verwendet: Böden, Toilette, Spüle, Wäsche, Abflüsse, Badewannen, Türklinken, Futternäpfe. Dank lejía ist der spanische Durchschnittshaushalt zu 99% keimfrei. Man könnte im Grunde überall vom Boden essen, wenn man nicht diese lästige Chlorvergiftung davon bekäme. Eine Bekannte erzählte einmal, seit sie einen Hund habe, verdünne sie die lejía gar nicht mehr mit Wasser, sondern reinige den Boden einfach mit lejía pura. Auf die etwas entsetzte Frage, ob sie denn nicht Angst habe, der Hund könne Reste des Reinigungsmittels beim Knochenknabbern versehentlich vom Boden aufschlecken, erwiderte sie leicht pikiert, Hundeknochen seien ja wohl zum Verzehr außer Haus gedacht.
Es hat ja alles auch sein Gutes. Die Millionen Touristen, die jährlich in spanischen Betten übernachten, hinterlassen ja doch eine Menge Keime. Da hilft lejía letztlich vielleicht auch, die Volksgesundheit zu erhalten. Und der typische deutsche Öko-Tourist in Spanien hat für seine Schmutzwäsche und seine dreckigen Wanderschuhe immer eine Plastiktüte zu wenig, weil die daheim ja kaum noch zu kriegen sind. Er braucht nur in einen beliebigen Supermarkt zu gehen und eine Packung Vollkornkekse zu kaufen, schon hat er zwei frische, neue Tüten. Die kann er dann wieder für die nächsten drei Jahre verwenden.
Dies alles sei Ihnen nur auf den Weg gegeben, falls Sie daran denken, Ihr Domizil dauerhaft oder zeitweise auf die iberische Halbinsel zu verlegen: Kaufen Sie zu Hause ordentlich Bio-Putzmittel ein und nehmen Sie sich, falls dies für Sie in Frage kommt, besser eine deutsche Putzfrau. Es sei denn, Sie möchten es einmal hygienisch rein haben.
Mittwoch, 18. August 2010
Fraunoelle wird fast berühmt, aber es geht sich nicht aus
Vielleicht käme ich auch gar nicht zurecht dort unten. Dieses Land ist nicht nur voller gefährlicher Berge, sondern auch voller sprachlicher Tücken. Ständig stampft man in Fettnäpfchen, wenn man seine vermeintliche Muttersprache spricht. Und die Einheimischen denken auch noch, man mache das extra und wolle sich auf snobistische Weise über sie lustig machen. Deshalb ist es vielleicht gut, dass ich dann doch nicht als Kulturbeitrag aus Deutschland eingeladen wurde in dieses Wiener Atelier.
Es ist nämlich so, dass ich in der Stadt am Steffl öfter zu Gast bin, freundschaftsbedingt. Der Freund ist einer der vielen Tausend deutschen Arbeitsmigranten in Österreich. Ich mag das Land auch ganz gern, meine österreichische Kinderfrau pflegte seinerzeit immer vorzüglich für mich zu kochen, da ging die Liebe für dieses unbekannte Land in den Bergen schon früh durch meinen Magen. Damals fand ich zwar schon die Sprache der guten Frau komisch, war aber noch zu jung, um die Gelegenheit zur regiolektalen Weiterbildung zu ergreifen. Und so fiel ich dann im Erwachsenenalter trotz frühkindlichen Sprachkontakts einige Male schmerzhaft auf die Touristennase. Am schlimmsten mit der Kolatsche.
Was Topfen ist, hat sicherlich ein höherer Prozentsatz der Deutschen durch irgendein kulinarisches Zusammentreffen einmal gelernt. Es ist ungefähr das, was wir Quark nennen. In Österreich serviert man ihn gern in Verbindung mit süßem Gebäck. So weit, so bekannt. Aber was, bitte, ist eine Kolatsche? Betonung liegt auf dem a, dieses wird lang ausgesprochen. Das Wort erinnert ein wenig an eine Mischung aus Datscha und Kot am Schuh. Ich sah es erstmals geschrieben an einer Backwarenauslage im Wiener Westbahnhof. Beim flüchtigen Lesen dachte ich wohl, der Name verheißt gar nichts Gutes, aber es sieht halt gut aus, und bestellte deshalb trotzdem, sogar ein wenig gespannt auf den Geschmack: "Also, ich hätte dann gern so eine Topfen-Klotasche". Solche Fehler findet gewiss nicht jeder Österreicher lustig, hätte ich denn überhaupt mit meinem absichtlichen Humor bei einem Auftritt jemanden dort zum Lachen bringen können?
Mehr als im nominalen Bereich habe ich inzwischen bei den österreichischen Phrasen gelernt. Aus der einen oder anderen würde ich glatt ein Bedürfnislehnwort machen. Meine Lieblingsphrase ist die, mit der man auch wunderbar den Grund für meine geplatzte Lesung im Wiener Atelier, sowie alle anderen Unpässlichkeiten der Welt erklären kann: Es ging sich nicht aus. Meine erste praktische Erfahrung mit etwas, das erst so aussah, als ginge es sich aus, sich aber dann doch nicht ausging, war im Winter. Wiener Winter, schöner Winter, wir wollten rodeln gehen, das konnte man zu jenem Zeitpunkt sogar auf Wiens verschneiten Straßen. Und eine Freundin meines Freundes bot sich an, Leihschlitten zu besorgen. Diese Vereinbarung abends getroffen, bekamen wir am nächsten Tag am Vormittag eine sms: "Geht sich alles aus mit rodeln, sag euch dann wo." Fein, dachten wir, mein deutscher Arbeitsmigrantenfreund und ich, es geht also alles klar mit den Leihschlitten. Dann können wir ja in Ruhe frühstücken.
Zeit verging, nach einer Weile wagten wir eine Nachfrage per sms, ob das denn nun noch hinhaue mit den Mietschlitten. Mein schon teilassimilierter Migrantenfreund schrieb hochangepasst: "Geht sich das denn noch aus?" Die Antwort kam schnell und präzis: "Eh." Dies ist nun, sei dem Nordgermanen erklärt, das viel österreichischere Wörtchen für unser deutschtümelndes "klar", "sicher" oder "natürlich". Wir trauten uns also nicht, forscher zu fragen und warteten ab. Schon dümpelte die frühe Januardunkelheit, als endlich der ersehnte Anruf kam: "Also tut mir leid, mitn Markus is' sich heut alles net ausgangen, ich glaub des geht sich jetzt auch nimmer aus mit Rodeln, also ich tät euch morgen anrufen, passt des eh?" "Klar, kein Problem", hätte ich wenn auch zähneknirschend geantwortet, "Ja, eh", sagte mein braver Migrantenfreund. Es hatte also, kurz ins umständlichere Deutsch übersetzt, Probleme oder Streit gegeben mit ihrem Freund, die dazu geführt hatten, dass sich die Schlitten-mietangelegenheit derart verzögerte, dass am Ende keine Zeit mehr dafür blieb. Und wenn irgendetwas sich nicht ganz ausgeht und man fühlt sich irgendwie schuldig daran, dann ist es höflich zu fragen, ob das passt. Und wenn man sich relativ sicher ist, dass es schon passen wird, dann fragt man gleich, ob des eh passt. Meistens wird man ein entwarnendes "eh" zur Antwort bekommen.
Besagter Migrantenfreund hatte nun, um endlich den erzählerischen Bogen zu schließen, die Idee, mich in seinem mit Kollegen gemieteten Wiener Atelier lesen zu lassen. Was wäre das eine Ehre gewesen, verehrter Leser, Fraunoelle live im Ausland! Aber, sie ahnen es schon: Zwischen den Atelierbewohnern hat es Zwist gegeben, wie Sie es noch vor dem Lesen dieses Eintrags formuliert hätten, jetzt aber vielmehr: Es ging sich nicht mehr aus zwischen denen. Nun steht mein Migrantenfreund ateliermäßig auf der Straße und ich nicht auf der Bühne. Denn wenn es sich zwischen denen nicht mehr ausging, konnte es sich natürlich auch mit meiner Lesung nicht ausgehen. Aber passt eh.
Es ist nämlich so, dass ich in der Stadt am Steffl öfter zu Gast bin, freundschaftsbedingt. Der Freund ist einer der vielen Tausend deutschen Arbeitsmigranten in Österreich. Ich mag das Land auch ganz gern, meine österreichische Kinderfrau pflegte seinerzeit immer vorzüglich für mich zu kochen, da ging die Liebe für dieses unbekannte Land in den Bergen schon früh durch meinen Magen. Damals fand ich zwar schon die Sprache der guten Frau komisch, war aber noch zu jung, um die Gelegenheit zur regiolektalen Weiterbildung zu ergreifen. Und so fiel ich dann im Erwachsenenalter trotz frühkindlichen Sprachkontakts einige Male schmerzhaft auf die Touristennase. Am schlimmsten mit der Kolatsche.
Was Topfen ist, hat sicherlich ein höherer Prozentsatz der Deutschen durch irgendein kulinarisches Zusammentreffen einmal gelernt. Es ist ungefähr das, was wir Quark nennen. In Österreich serviert man ihn gern in Verbindung mit süßem Gebäck. So weit, so bekannt. Aber was, bitte, ist eine Kolatsche? Betonung liegt auf dem a, dieses wird lang ausgesprochen. Das Wort erinnert ein wenig an eine Mischung aus Datscha und Kot am Schuh. Ich sah es erstmals geschrieben an einer Backwarenauslage im Wiener Westbahnhof. Beim flüchtigen Lesen dachte ich wohl, der Name verheißt gar nichts Gutes, aber es sieht halt gut aus, und bestellte deshalb trotzdem, sogar ein wenig gespannt auf den Geschmack: "Also, ich hätte dann gern so eine Topfen-Klotasche". Solche Fehler findet gewiss nicht jeder Österreicher lustig, hätte ich denn überhaupt mit meinem absichtlichen Humor bei einem Auftritt jemanden dort zum Lachen bringen können?
Mehr als im nominalen Bereich habe ich inzwischen bei den österreichischen Phrasen gelernt. Aus der einen oder anderen würde ich glatt ein Bedürfnislehnwort machen. Meine Lieblingsphrase ist die, mit der man auch wunderbar den Grund für meine geplatzte Lesung im Wiener Atelier, sowie alle anderen Unpässlichkeiten der Welt erklären kann: Es ging sich nicht aus. Meine erste praktische Erfahrung mit etwas, das erst so aussah, als ginge es sich aus, sich aber dann doch nicht ausging, war im Winter. Wiener Winter, schöner Winter, wir wollten rodeln gehen, das konnte man zu jenem Zeitpunkt sogar auf Wiens verschneiten Straßen. Und eine Freundin meines Freundes bot sich an, Leihschlitten zu besorgen. Diese Vereinbarung abends getroffen, bekamen wir am nächsten Tag am Vormittag eine sms: "Geht sich alles aus mit rodeln, sag euch dann wo." Fein, dachten wir, mein deutscher Arbeitsmigrantenfreund und ich, es geht also alles klar mit den Leihschlitten. Dann können wir ja in Ruhe frühstücken.
Zeit verging, nach einer Weile wagten wir eine Nachfrage per sms, ob das denn nun noch hinhaue mit den Mietschlitten. Mein schon teilassimilierter Migrantenfreund schrieb hochangepasst: "Geht sich das denn noch aus?" Die Antwort kam schnell und präzis: "Eh." Dies ist nun, sei dem Nordgermanen erklärt, das viel österreichischere Wörtchen für unser deutschtümelndes "klar", "sicher" oder "natürlich". Wir trauten uns also nicht, forscher zu fragen und warteten ab. Schon dümpelte die frühe Januardunkelheit, als endlich der ersehnte Anruf kam: "Also tut mir leid, mitn Markus is' sich heut alles net ausgangen, ich glaub des geht sich jetzt auch nimmer aus mit Rodeln, also ich tät euch morgen anrufen, passt des eh?" "Klar, kein Problem", hätte ich wenn auch zähneknirschend geantwortet, "Ja, eh", sagte mein braver Migrantenfreund. Es hatte also, kurz ins umständlichere Deutsch übersetzt, Probleme oder Streit gegeben mit ihrem Freund, die dazu geführt hatten, dass sich die Schlitten-mietangelegenheit derart verzögerte, dass am Ende keine Zeit mehr dafür blieb. Und wenn irgendetwas sich nicht ganz ausgeht und man fühlt sich irgendwie schuldig daran, dann ist es höflich zu fragen, ob das passt. Und wenn man sich relativ sicher ist, dass es schon passen wird, dann fragt man gleich, ob des eh passt. Meistens wird man ein entwarnendes "eh" zur Antwort bekommen.
Besagter Migrantenfreund hatte nun, um endlich den erzählerischen Bogen zu schließen, die Idee, mich in seinem mit Kollegen gemieteten Wiener Atelier lesen zu lassen. Was wäre das eine Ehre gewesen, verehrter Leser, Fraunoelle live im Ausland! Aber, sie ahnen es schon: Zwischen den Atelierbewohnern hat es Zwist gegeben, wie Sie es noch vor dem Lesen dieses Eintrags formuliert hätten, jetzt aber vielmehr: Es ging sich nicht mehr aus zwischen denen. Nun steht mein Migrantenfreund ateliermäßig auf der Straße und ich nicht auf der Bühne. Denn wenn es sich zwischen denen nicht mehr ausging, konnte es sich natürlich auch mit meiner Lesung nicht ausgehen. Aber passt eh.
Donnerstag, 5. August 2010
Hispania I: Relativität im Urlaub
Das erste, was ich als bleibende Lehre aus diesem Urlaub gezogen habe ist: Es kommt immer auf die Umgebung an. Alles Messbare lässt sich nur in Relation zu anderen Größen ausdrücken. Vermutlich hat Einstein sowas Ähnliches herausgefunden damals. Meine entsprechenden Erkenntnisse bezogen sich vor allem auf Alter, nationale Stereotypen und Körpergröße.
Fangen wir in der Mitte an, wo wir schon beim Urlaub sind. Ich bilde mir ein, ein ganz gutes Auge für die Nationalitäten von Menschen zu haben. Den Spanier an meiner Seite würde ich dem Ansehen nach nicht unbedingt für einen Spanier halten, wenn ich nicht wüsste, dass er einer ist. Er bindet kein schwarzes Haar zu einem Zopfe, kein schwarzer krauser Teppich will aus seinem obersten Hemdknopfloch, unter dem eine mahagonifarbene Haut durchscheint. Ich selbst wiederum werde gelegentlich für eine Südländerin gehalten – ich bin nicht blauäugig (dennoch auch nicht klein und schmal genug für die südländische Mode, erwähnte ich es?). Diese Einschätzungen bekamen wir von einer jungen Polin in Lissabon bestätigt, die auf die Auskunft über unsere Herkunft erstaunt zu Protokoll gab, an mich gerichtet: "Aber das kann doch gar nicht sein, Sie eine Deutsche und er ein Spanier. Sie haben doch eine dunklere Haut als er!". Offenbar kann der Augenschein aber auch ganz anders ausfallen, denn an anderer Stelle, im galizischen Lugo, man sprach über Hauttypen, erzählte eine befreundete Einheimische von einem Verwandten, dessen helle Haut sie offenbar geerbt habe, wiederum an mich gerichtet: "Und ich schwöre dir, der ist blonder als du!" Dazu muss man wissen, dass ich wirklich nicht besonders blond bin. Im Grunde bin ich eher die klassische Brünette. Aber es kommt eben auf das Bedürfnis der Umwelt nach einem jeweils gerade notwendigen Klischee an. Und da sind wir Deutschen dann noch am ehesten die Blonden. Vielleicht auch deshalb, weil es von uns mehr gibt als z.B. von den Schweden und wir international bekannter sind.
Und wir sind die Hochgewachsenen, während die Sonne des Südens zwar ein frohes Gemüt, dafür aber eine eher kleine Statur gedeihen zu lassen scheint. Auch da wurde ich bei unserer Reise in den spanischen Nordwesten der Relativität des scheinbar Offensichtlichen belehrt. In Deutschland oft belächelt, wenn er sagt, er sei gar nicht klein, wuchs mein Begleiter plötzlich, neben seine galizischen Landsleute gestellt, scheinbar an Zentimetern (freilich solange ich mich nicht selbst dazu stellte): Der Tankwart, der Nachbar, der Bäcker, alle waren plötzlich deutlich kleiner als er. Bei uns zu Hause bin allerdings ich diejenige für die hohen Schränke, ganz dem Klischee gemäß.
Das mit dem Alter schließlich hatte ich schon vorher bemerkt. Ich habe mir seit frühester Kindheit viele Gedanken um mein eigenes Alter, das anderer Menschen und das der Menschheit an sich gemacht. Begierig wartete ich jeden Tag darauf, endlich ein Jahr älter zu werden und nannte schon ab dem Verstreichen des sechsten Monats eines Lebensjahres stets das nächsthöhere. Seit einiger Zeit erst bin ich von diesem Brauch abgewichen, was wohl mit dem tatsächlich zunehmenden Verstreichen der Lebensjahre zusammenhängt. Jedenfalls weiß ich bis heute eigentlich immer auf den Tag genau, wie alt ich bin. Nicht so der Spanier an meiner Seite – nennen wir ihn doch ab jetzt Sergio; das ist der spanische Vorname, der von allen deutschen Fußballkommentatoren im Fernsehen immer italienisch ausgesprochen wird.
Sergio also, so dachte ich zunächst, als wir uns gerade kennen lernten, verschleiert sein Alter gern. Macht sich vor allem gern jünger. Als er das erste Mal in meiner Gegenwart danach gefragt wurde, gab er sein Alter um eineinhalb Jahre niedriger an als der Wahrheit entsprechend. Zuerst empört, stellte ich bald fest: Er weiß es nicht besser. Es ist ihm nicht in jedem Moment präsent, wie alt er nun gerade ist. Manchmal, wenn man ihn nach seinem Alter fragt und ich dabei bin, schaut er unsicher zu mir. 37 +/- 3, was macht das schon aus? Er hat sein eigenes Älterwerden nie sonderlich interessiert verfolgt. Aber dafür bin ich ja da, ich kenne sein Alter seit unserem ersten Treffen ebenso auf den Tag genau wie meins.
Kürzlich, in Santiago, bekam ich allerdings den endgültigen Beweis dafür, dass er auch mein Alter nicht genau kennt. Und das in einem schicksalhaften Moment: Ich entdeckte im Spiegel mein erstes graues Haar. Ergriffen und etwas betrübt seufzte ich: "Und dabei bin ich doch noch keine zwei Monate lang einunddreißig." Er stutzte, schaute mich lange ungläubig an. "Bist Du sicher? Ich dachte, du bist dreiunddreißig." Langsam wird es mir zu bunt. Vor drei Monaten hat er mich noch auf zweiunddreißig geschätzt. Wie soll das werden, wenn er mich mal als vermisst melden will und mein Geburtsdatum angeben muss? Ich würde meine Entführer bitten, ihm freundlicherweise meinen Personalausweis dazulassen. Vielleicht lässt mich aber auch mein erstes graues Haar gleich älter erscheinen.
Ich fasse also die Lehren aus diesem Urlaub zusammen:
- Es gibt keine Großen und keine Kleinen, der Mensch lebt in einer Art Bluebox, der Hintergrund bestimmt den Gesamteindruck. Gleiches gilt für Haut- und Haarfarbe. Gehen Sie als Brünetter nach Schweden und Sie sehen aus wie ein moslemischer Terrorist.
- Das Egalsein des Alters wäre wohl ein erstrebenswertes Gesellschaftsziel; manch einer hat es schon erreicht. Wenn das Alter allerdings völlig relativ und egal ist, verlieren eine Menge Menschen ihren Arbeitsplatz und eine Menge Dinge ihre Bestimmung. Die Kosmetikindustrie. Die Schönheitschiurgie. Damit etliche Rubriken der Klatschblätter. Die Frauenzeitschriften für Frauen ab 40. Die Mode für Best-Agers. Ach, die Kette wäre endlos fortzuführen. Ich weiß nicht, ob ich an all diesen Einbrüchen und der daraus resultierenden Wirtschaftskrise Schuld sein will, denn ausbaden müssen es ja doch wieder wir jungen Leute (ha, richtig gedacht: Sind wir jung?). Ich werde deshalb weiter mein Alter im Blick behalten und das von Sergio dazu. Vielleicht kann er sich ja irgendwann wenigstens mein Sternzeichen merken.
Fangen wir in der Mitte an, wo wir schon beim Urlaub sind. Ich bilde mir ein, ein ganz gutes Auge für die Nationalitäten von Menschen zu haben. Den Spanier an meiner Seite würde ich dem Ansehen nach nicht unbedingt für einen Spanier halten, wenn ich nicht wüsste, dass er einer ist. Er bindet kein schwarzes Haar zu einem Zopfe, kein schwarzer krauser Teppich will aus seinem obersten Hemdknopfloch, unter dem eine mahagonifarbene Haut durchscheint. Ich selbst wiederum werde gelegentlich für eine Südländerin gehalten – ich bin nicht blauäugig (dennoch auch nicht klein und schmal genug für die südländische Mode, erwähnte ich es?). Diese Einschätzungen bekamen wir von einer jungen Polin in Lissabon bestätigt, die auf die Auskunft über unsere Herkunft erstaunt zu Protokoll gab, an mich gerichtet: "Aber das kann doch gar nicht sein, Sie eine Deutsche und er ein Spanier. Sie haben doch eine dunklere Haut als er!". Offenbar kann der Augenschein aber auch ganz anders ausfallen, denn an anderer Stelle, im galizischen Lugo, man sprach über Hauttypen, erzählte eine befreundete Einheimische von einem Verwandten, dessen helle Haut sie offenbar geerbt habe, wiederum an mich gerichtet: "Und ich schwöre dir, der ist blonder als du!" Dazu muss man wissen, dass ich wirklich nicht besonders blond bin. Im Grunde bin ich eher die klassische Brünette. Aber es kommt eben auf das Bedürfnis der Umwelt nach einem jeweils gerade notwendigen Klischee an. Und da sind wir Deutschen dann noch am ehesten die Blonden. Vielleicht auch deshalb, weil es von uns mehr gibt als z.B. von den Schweden und wir international bekannter sind.
Und wir sind die Hochgewachsenen, während die Sonne des Südens zwar ein frohes Gemüt, dafür aber eine eher kleine Statur gedeihen zu lassen scheint. Auch da wurde ich bei unserer Reise in den spanischen Nordwesten der Relativität des scheinbar Offensichtlichen belehrt. In Deutschland oft belächelt, wenn er sagt, er sei gar nicht klein, wuchs mein Begleiter plötzlich, neben seine galizischen Landsleute gestellt, scheinbar an Zentimetern (freilich solange ich mich nicht selbst dazu stellte): Der Tankwart, der Nachbar, der Bäcker, alle waren plötzlich deutlich kleiner als er. Bei uns zu Hause bin allerdings ich diejenige für die hohen Schränke, ganz dem Klischee gemäß.
Das mit dem Alter schließlich hatte ich schon vorher bemerkt. Ich habe mir seit frühester Kindheit viele Gedanken um mein eigenes Alter, das anderer Menschen und das der Menschheit an sich gemacht. Begierig wartete ich jeden Tag darauf, endlich ein Jahr älter zu werden und nannte schon ab dem Verstreichen des sechsten Monats eines Lebensjahres stets das nächsthöhere. Seit einiger Zeit erst bin ich von diesem Brauch abgewichen, was wohl mit dem tatsächlich zunehmenden Verstreichen der Lebensjahre zusammenhängt. Jedenfalls weiß ich bis heute eigentlich immer auf den Tag genau, wie alt ich bin. Nicht so der Spanier an meiner Seite – nennen wir ihn doch ab jetzt Sergio; das ist der spanische Vorname, der von allen deutschen Fußballkommentatoren im Fernsehen immer italienisch ausgesprochen wird.
Sergio also, so dachte ich zunächst, als wir uns gerade kennen lernten, verschleiert sein Alter gern. Macht sich vor allem gern jünger. Als er das erste Mal in meiner Gegenwart danach gefragt wurde, gab er sein Alter um eineinhalb Jahre niedriger an als der Wahrheit entsprechend. Zuerst empört, stellte ich bald fest: Er weiß es nicht besser. Es ist ihm nicht in jedem Moment präsent, wie alt er nun gerade ist. Manchmal, wenn man ihn nach seinem Alter fragt und ich dabei bin, schaut er unsicher zu mir. 37 +/- 3, was macht das schon aus? Er hat sein eigenes Älterwerden nie sonderlich interessiert verfolgt. Aber dafür bin ich ja da, ich kenne sein Alter seit unserem ersten Treffen ebenso auf den Tag genau wie meins.
Kürzlich, in Santiago, bekam ich allerdings den endgültigen Beweis dafür, dass er auch mein Alter nicht genau kennt. Und das in einem schicksalhaften Moment: Ich entdeckte im Spiegel mein erstes graues Haar. Ergriffen und etwas betrübt seufzte ich: "Und dabei bin ich doch noch keine zwei Monate lang einunddreißig." Er stutzte, schaute mich lange ungläubig an. "Bist Du sicher? Ich dachte, du bist dreiunddreißig." Langsam wird es mir zu bunt. Vor drei Monaten hat er mich noch auf zweiunddreißig geschätzt. Wie soll das werden, wenn er mich mal als vermisst melden will und mein Geburtsdatum angeben muss? Ich würde meine Entführer bitten, ihm freundlicherweise meinen Personalausweis dazulassen. Vielleicht lässt mich aber auch mein erstes graues Haar gleich älter erscheinen.
Ich fasse also die Lehren aus diesem Urlaub zusammen:
- Es gibt keine Großen und keine Kleinen, der Mensch lebt in einer Art Bluebox, der Hintergrund bestimmt den Gesamteindruck. Gleiches gilt für Haut- und Haarfarbe. Gehen Sie als Brünetter nach Schweden und Sie sehen aus wie ein moslemischer Terrorist.
- Das Egalsein des Alters wäre wohl ein erstrebenswertes Gesellschaftsziel; manch einer hat es schon erreicht. Wenn das Alter allerdings völlig relativ und egal ist, verlieren eine Menge Menschen ihren Arbeitsplatz und eine Menge Dinge ihre Bestimmung. Die Kosmetikindustrie. Die Schönheitschiurgie. Damit etliche Rubriken der Klatschblätter. Die Frauenzeitschriften für Frauen ab 40. Die Mode für Best-Agers. Ach, die Kette wäre endlos fortzuführen. Ich weiß nicht, ob ich an all diesen Einbrüchen und der daraus resultierenden Wirtschaftskrise Schuld sein will, denn ausbaden müssen es ja doch wieder wir jungen Leute (ha, richtig gedacht: Sind wir jung?). Ich werde deshalb weiter mein Alter im Blick behalten und das von Sergio dazu. Vielleicht kann er sich ja irgendwann wenigstens mein Sternzeichen merken.
Mittwoch, 28. Juli 2010
Fraunoelles Hispania die Erste
Ich habe mir etwas überlegt, liebe Freunde der Frau N. und des guten Geschmacks: Ich versuche es mal wieder mit einem Sammelthema. In der Hoffnung, dass es tatsächlich ein Sammel- und nicht bloß ein Thema wird, will ich von nun an in noellescher Regelmäßigkeit Anekdoten aus meinem Leben an der Seite Spaniens schildern. Andere haben mit sowas Geld gemacht, wobei ich gar nicht weiß, ob die Verfilmung von "Maria, ihm schmeckt's nicht" ebenso erfolgreich war wie das Buch. Zu vermuten ist auch, dass das ach so pittoreske Leben der Italiener bei der Mehrzahl der Deutschen auf ewig mehr Zuspruch und Interesse finden wird als das der nicht ganz so possierlichen Spanier, die uns beim Fußball nun seit zwei Jahren eh nur noch den Spaß verderben.
Nun – Freunde der Kniefeige und der Hostienschändung haben es vielleicht schon bemerkt – ich werde zunehmend hispanophiler. Zwar ist die iberische Immobilienblase inzwischen schmerzhaft geplatzt, aber bitte, der Schuster-José Luis tut wenigstens was gegen die Schulden, während der italienische Ministerpräsident sich doch im Grunde nur um sein Image bei den Frauen sorgt und sein Land weiter lustig auf Pump leben lässt. Spanien ist irgendwie ehrlicher. Und die Mode freakiger. In italienische Klamotten passe ich eh nicht rein, weder von den Maßen noch vom Stil her. Deshalb also, für Euch, ab jetzt und in Zukunft hoffentlich häufiger: mein Spanien. Da war ich gerade. Mit dem Spanier. Erzählung folgt sogleich.
Nun – Freunde der Kniefeige und der Hostienschändung haben es vielleicht schon bemerkt – ich werde zunehmend hispanophiler. Zwar ist die iberische Immobilienblase inzwischen schmerzhaft geplatzt, aber bitte, der Schuster-José Luis tut wenigstens was gegen die Schulden, während der italienische Ministerpräsident sich doch im Grunde nur um sein Image bei den Frauen sorgt und sein Land weiter lustig auf Pump leben lässt. Spanien ist irgendwie ehrlicher. Und die Mode freakiger. In italienische Klamotten passe ich eh nicht rein, weder von den Maßen noch vom Stil her. Deshalb also, für Euch, ab jetzt und in Zukunft hoffentlich häufiger: mein Spanien. Da war ich gerade. Mit dem Spanier. Erzählung folgt sogleich.
Dienstag, 22. Juni 2010
Über transatlantische Hostienschändung
Freunde der Kniefeige werden diesen Text mögen, ebenso Freunde des Dixi/Toitoi, vulgo der noelleschen Fäkalsprache (man regte mich bei der letzten Lesung dazu an, doch mehr Fäkaltexte zu schreiben - das habt ihr nun davon). Die im Folgenden wiedergegebenen Dialoge und Redebeispiele sind sämtlich dem Spanischen entnommen; das macht aber nichts, sie funktionieren auch in der deutschen Übersetzung.
Es begab sich eines dieser schönen Tage, dass ich mit einem Spanier und einer Costaricanerin am Tisch saß und wir uns über delikate Süßigkeiten unserer drei Länder austauschten. Eine Empfehlung meinerseits hatte ich gleich zur Hand, man nennt dieses Erzeugnis wohl gemeinhin Fruchtriegel: Eine fruchtige Masse mit Stückchen zwischen zwei Blatt Esspapier. Ich mag davon die Geschmacksrichtung "Mandel" sehr gern und reichte sie zur Kostprobe herum. Bei meinen hispanophonen Gesprächspartnern löste das Leckerli keine großen Begeisterungsstürme aus, Frau Costa Rica stellte mehr analytisch fest: "Aha, das ist doch einfach Hostie mit Marzipan, oder?" Ich konnte nicht anders als brüllend zu lachen, zunächst einmal ob der Tatsache, dass "Hostie" doch einen sehr schmeichelhaften Euphemismus darstellt für schnödes Esspapier, das ja bestenfalls eine Oblate ist. Zugegeben verstärkte vielleicht auch meine mentale Distanz zum Katholizismus meine Belustigung. Aber dann gab es ja noch den anderen Teil des Witzes, der sich jedem Spanier sowie Kennern der Umgangssprache speziell auf der iberischen Halbinsel mühelos erschließt (natürlich ist dies auch, fuchsige Fachverwandte werden es schon gemerkt haben, ein Fest für Regionallinguisten): Der ach so katholische Spanier im Allgemeinen tut nämlich kaum etwas anderes, als mehrmals am Tag, je nach Sprecher auch mehrmals in der Stunde, verbal auf die Hostie zu scheißen. Und die Hostie ist ihm auch alleingestellt einfach das liebste Synonym für Scheiße. Ja, so ist es wirklich: "hostia!", sagt der Spanier, wenn ihm etwas missfällt oder auch nur auffällt, Scheiße ist ja nicht immer gleich negativ konnotiert (man stelle sich etwa den deutschen Satz "Scheiße, ist das geil" aus dem Mund eines Jugenlichen vor - funktioniert). Und wenn ihm etwas ganz besonders missfällt oder auffällt, dann tut er es: "Me cago en la hostia!" - er scheißt auf die Hostie. Und man kann sich unschwer vorstellen, dass es ziemlich viele Situationen des Miss- oder Auffallens gibt im Laufe eines Tages: Schon wieder den Bus verpasst, ich scheiß' auf die Hostie. Bohr, hat die lange Beine, ich scheiß' auf die Hostie. Ich scheiß' auf die Hostie, warum ist die Schlange hier eigentlich immer so lang? Hostie, sechzehn Euro?!
Warum die iberischen Katholiken ständig das heilig' Brot beschmutzen, ist mir noch nicht aufgegangen. Eigentlich geben sie doch bei jeder Gelegenheit vor, Christus und seiner Familie wohlgesonnen zu sein, warum also die ständige Verunreinigung Seines Leibes? Ein spätes kollektives Ausleben der analen Phase vielleicht, in einem Land, in dem diese Phase doch zumindest unter Franco mit Sicherheit unterdrückt wurde? Oder einfach der Versuch, das in allen Sprachen unschöne Wort "Scheiße" etwas blumiger zu formulieren? Heiligkeit statt Ausscheidung, auch wenn's in der Bedeutung ganz unchristlich bleibt? Vielleicht sollte das demnächst mal Gegenstand eines wissenschaftlichen Aufsatzes sein - ich kann hier nur Fragen stellen.
Das Fazit der oben beschriebenen trinationalen Situation war jedenfalls folgendes: Frau Costa Rica hatte eine neue iberische Spracheigenheit kennen gelernt, die sie sehr belustigte, zögert aber noch, diese zu Hause auszuprobieren. Herr Spanien nickte bedächtig und wird auch in Zukunft fleißig auf die Hostie scheißen, ohne jedoch zu wissen warum. Und Frau Deutschland hatte bei dem vertiefenden Gedanken daran, dass sie "Hostie" eigentlich nur mit Scheiße assoziiert und überhaupt nicht mit Marzipan (schließlich war ja nicht die Rede von einer Oblate), plötzlich nicht mehr so viel Lust auf Fruchtriegel mit Mandelgeschmack.
Es begab sich eines dieser schönen Tage, dass ich mit einem Spanier und einer Costaricanerin am Tisch saß und wir uns über delikate Süßigkeiten unserer drei Länder austauschten. Eine Empfehlung meinerseits hatte ich gleich zur Hand, man nennt dieses Erzeugnis wohl gemeinhin Fruchtriegel: Eine fruchtige Masse mit Stückchen zwischen zwei Blatt Esspapier. Ich mag davon die Geschmacksrichtung "Mandel" sehr gern und reichte sie zur Kostprobe herum. Bei meinen hispanophonen Gesprächspartnern löste das Leckerli keine großen Begeisterungsstürme aus, Frau Costa Rica stellte mehr analytisch fest: "Aha, das ist doch einfach Hostie mit Marzipan, oder?" Ich konnte nicht anders als brüllend zu lachen, zunächst einmal ob der Tatsache, dass "Hostie" doch einen sehr schmeichelhaften Euphemismus darstellt für schnödes Esspapier, das ja bestenfalls eine Oblate ist. Zugegeben verstärkte vielleicht auch meine mentale Distanz zum Katholizismus meine Belustigung. Aber dann gab es ja noch den anderen Teil des Witzes, der sich jedem Spanier sowie Kennern der Umgangssprache speziell auf der iberischen Halbinsel mühelos erschließt (natürlich ist dies auch, fuchsige Fachverwandte werden es schon gemerkt haben, ein Fest für Regionallinguisten): Der ach so katholische Spanier im Allgemeinen tut nämlich kaum etwas anderes, als mehrmals am Tag, je nach Sprecher auch mehrmals in der Stunde, verbal auf die Hostie zu scheißen. Und die Hostie ist ihm auch alleingestellt einfach das liebste Synonym für Scheiße. Ja, so ist es wirklich: "hostia!", sagt der Spanier, wenn ihm etwas missfällt oder auch nur auffällt, Scheiße ist ja nicht immer gleich negativ konnotiert (man stelle sich etwa den deutschen Satz "Scheiße, ist das geil" aus dem Mund eines Jugenlichen vor - funktioniert). Und wenn ihm etwas ganz besonders missfällt oder auffällt, dann tut er es: "Me cago en la hostia!" - er scheißt auf die Hostie. Und man kann sich unschwer vorstellen, dass es ziemlich viele Situationen des Miss- oder Auffallens gibt im Laufe eines Tages: Schon wieder den Bus verpasst, ich scheiß' auf die Hostie. Bohr, hat die lange Beine, ich scheiß' auf die Hostie. Ich scheiß' auf die Hostie, warum ist die Schlange hier eigentlich immer so lang? Hostie, sechzehn Euro?!
Warum die iberischen Katholiken ständig das heilig' Brot beschmutzen, ist mir noch nicht aufgegangen. Eigentlich geben sie doch bei jeder Gelegenheit vor, Christus und seiner Familie wohlgesonnen zu sein, warum also die ständige Verunreinigung Seines Leibes? Ein spätes kollektives Ausleben der analen Phase vielleicht, in einem Land, in dem diese Phase doch zumindest unter Franco mit Sicherheit unterdrückt wurde? Oder einfach der Versuch, das in allen Sprachen unschöne Wort "Scheiße" etwas blumiger zu formulieren? Heiligkeit statt Ausscheidung, auch wenn's in der Bedeutung ganz unchristlich bleibt? Vielleicht sollte das demnächst mal Gegenstand eines wissenschaftlichen Aufsatzes sein - ich kann hier nur Fragen stellen.
Das Fazit der oben beschriebenen trinationalen Situation war jedenfalls folgendes: Frau Costa Rica hatte eine neue iberische Spracheigenheit kennen gelernt, die sie sehr belustigte, zögert aber noch, diese zu Hause auszuprobieren. Herr Spanien nickte bedächtig und wird auch in Zukunft fleißig auf die Hostie scheißen, ohne jedoch zu wissen warum. Und Frau Deutschland hatte bei dem vertiefenden Gedanken daran, dass sie "Hostie" eigentlich nur mit Scheiße assoziiert und überhaupt nicht mit Marzipan (schließlich war ja nicht die Rede von einer Oblate), plötzlich nicht mehr so viel Lust auf Fruchtriegel mit Mandelgeschmack.
Montag, 14. Juni 2010
Akademikerhüte bringen kein Geld
Ich weiß offen gestanden gar nicht mehr, wie die eigentlich richtig heißen. In dem Abiturjahrgang vor mir wurde das, glaube ich, auch diskutiert: Ob man zur Abschlussfeier diese amerikanischen College-Abschluss-Hüte tragen sollte. Es wurde dagegen gestimmt, und mit dem Abstand der Zeit, die weise macht, muss ich sagen: zum Besten aller. Diese Hüte sehen nämlich schon innerhalb der Vereinigten Staaten nicht wirklich gut aus, außerhalb US-amerikanischer Grenzen wirken sie einfach nur bescheuert und, im schönsten und wahrsten Sinne des Wortes: aufgesetzt.
Einer, der mit einem solchen Hut, sichtbar auf seinem Kopf, festgehalten in einem Gruppen-Abschlussbild, für sich wirbt, ist mir im Grunde per se suspekt. Er sieht nicht toll aus in seiner Werbung und schmückt sich mit Federn, die sagen sollen, sieh her, nun bin ich sichtbar schlauer und kann tolle Sachen, die aber doch nun wirklich gar nichts aussagen über Hirnzustand und Bildungs- sowie Fähigkeitsfortschritt des Trägers. Leider hatte ich, als ich des Bildes gewahr wurde, schon bezahlt.
Ich brauchte nun mal Hilfe. Ich hatte mir einfach unglaublich die Schulter gezerrt, wohlgemerkt nach dem Karatetraining, bei der Gymnastik. Ich sollte die Gymnastik lassen und mich ganz aufs Kämpfen konzentrieren. Nach der Gymnastik konnte ich jedenfalls nicht mehr schlafen, weil ich nicht mehr liegen konnte. Und sitzen eigentlich auch nicht mehr. so ging ich denn auf eine Empfehlung hin zu diesem Chiropraktor. Und Obacht, Ihr warnenden Physiotherapeuten und Osteopathen, das ist kein Chiropraktiker, neinein, das ist einer mit sehr professioneller amerikanischer Ausbildung und ganz sanften Methoden, weshalb er sich besagten Doktorhut aufsetzen darf. Knacken tut es trotzdem, wenn er einen auf die Folterbank gespannt hat und sich an der Wirbelsäule vergnügt. Das sind aber nur Vakuen, aus denen dann irgendwas entweicht, vielleicht Luft, wie man vorsichtshalber vorher aufgeklärt wird. Die Krankenkasse gibt natürlich nichts dazu für das Knacken, die denken sich wahrscheinlich, schön blöd, wer sich freiwillig auf die Folter spannen lässt. Mir lief auch vor lauter Verwirrung und Anspannung der Schweiß in Bächen, ja wirklich in Bächen, während ich da hilflos auf der Folter lag. Aber: Es half. Hinterher konnte ich wieder liegen und sitzen, ja sogar schlafen. Nur ein bisschen Angst hatte ich, dass ich es nun, wie in den Warnungen der besorgten Physiotherapeuten und Osteopathen geunnkt, immer bräuchte. Dass ich sozusagen angefixt wäre und nun für immerdar regelmäßig eingeknackt werden müsste. Wenn ich jetzt meinen Hals in eine bestimmte Richtung bewege, knackt es auch ein bisschen von selbst. Ein Zeichen? Und wenn ja, wofür? Ein bisschen war ich ja in Versuchung, einfach noch mal einen Termin zu buchen bei der ach so netten Dame im Vorzimmer mit dem Aquarium. Aber dann sah ich das Abschlussbild mit den Doktorhüten. Und dachte augeblicklich und innerlich herabblickend, wer mir mittels eines derart bescheuerten Hutes weismachen will, er sei schlauer oder besser als andere, der hat genug an mir verdient. Und ich sagte überzeugt und ein wenig spitz: "Die Endrechnung bitte, und nichts sonst."
Er hätte mich ja vielleicht drangekriegt, noch weitere Male auf seine Folterbank zu steigen, freiwillig. Aber nicht mit diesem Hut.
Einer, der mit einem solchen Hut, sichtbar auf seinem Kopf, festgehalten in einem Gruppen-Abschlussbild, für sich wirbt, ist mir im Grunde per se suspekt. Er sieht nicht toll aus in seiner Werbung und schmückt sich mit Federn, die sagen sollen, sieh her, nun bin ich sichtbar schlauer und kann tolle Sachen, die aber doch nun wirklich gar nichts aussagen über Hirnzustand und Bildungs- sowie Fähigkeitsfortschritt des Trägers. Leider hatte ich, als ich des Bildes gewahr wurde, schon bezahlt.
Ich brauchte nun mal Hilfe. Ich hatte mir einfach unglaublich die Schulter gezerrt, wohlgemerkt nach dem Karatetraining, bei der Gymnastik. Ich sollte die Gymnastik lassen und mich ganz aufs Kämpfen konzentrieren. Nach der Gymnastik konnte ich jedenfalls nicht mehr schlafen, weil ich nicht mehr liegen konnte. Und sitzen eigentlich auch nicht mehr. so ging ich denn auf eine Empfehlung hin zu diesem Chiropraktor. Und Obacht, Ihr warnenden Physiotherapeuten und Osteopathen, das ist kein Chiropraktiker, neinein, das ist einer mit sehr professioneller amerikanischer Ausbildung und ganz sanften Methoden, weshalb er sich besagten Doktorhut aufsetzen darf. Knacken tut es trotzdem, wenn er einen auf die Folterbank gespannt hat und sich an der Wirbelsäule vergnügt. Das sind aber nur Vakuen, aus denen dann irgendwas entweicht, vielleicht Luft, wie man vorsichtshalber vorher aufgeklärt wird. Die Krankenkasse gibt natürlich nichts dazu für das Knacken, die denken sich wahrscheinlich, schön blöd, wer sich freiwillig auf die Folter spannen lässt. Mir lief auch vor lauter Verwirrung und Anspannung der Schweiß in Bächen, ja wirklich in Bächen, während ich da hilflos auf der Folter lag. Aber: Es half. Hinterher konnte ich wieder liegen und sitzen, ja sogar schlafen. Nur ein bisschen Angst hatte ich, dass ich es nun, wie in den Warnungen der besorgten Physiotherapeuten und Osteopathen geunnkt, immer bräuchte. Dass ich sozusagen angefixt wäre und nun für immerdar regelmäßig eingeknackt werden müsste. Wenn ich jetzt meinen Hals in eine bestimmte Richtung bewege, knackt es auch ein bisschen von selbst. Ein Zeichen? Und wenn ja, wofür? Ein bisschen war ich ja in Versuchung, einfach noch mal einen Termin zu buchen bei der ach so netten Dame im Vorzimmer mit dem Aquarium. Aber dann sah ich das Abschlussbild mit den Doktorhüten. Und dachte augeblicklich und innerlich herabblickend, wer mir mittels eines derart bescheuerten Hutes weismachen will, er sei schlauer oder besser als andere, der hat genug an mir verdient. Und ich sagte überzeugt und ein wenig spitz: "Die Endrechnung bitte, und nichts sonst."
Er hätte mich ja vielleicht drangekriegt, noch weitere Male auf seine Folterbank zu steigen, freiwillig. Aber nicht mit diesem Hut.
Sagen Sie jetzt nichts
...sagen Sie nicht, lieber Leser, so eine Unverschämtheit, hier wird man nicht anständig beliefert, da geh ich doch lieber zum Kiosk und hole mir eine Zeitschrift, die erscheint wenigstens regelmäßig! Geht doch alles nicht an hier mit diesen völlig unzuverlässigen Netzspielereien! Hätte ich ein Abo, ich hätte es längst gekündigt! Ich bin sowas von sauer!
Sie haben ja Recht, so Recht. Wir sind eine ganz schlechte Herausgeberin, wir Fraunoelle. Vielleicht haben Sie ja trotzdem Lust, wieder - oder neu - einzusteigen. Wir versuchen's mal wieder mit ein bisschen Regelmäßigkeit. Geht gleich los.
Sie haben ja Recht, so Recht. Wir sind eine ganz schlechte Herausgeberin, wir Fraunoelle. Vielleicht haben Sie ja trotzdem Lust, wieder - oder neu - einzusteigen. Wir versuchen's mal wieder mit ein bisschen Regelmäßigkeit. Geht gleich los.
Dienstag, 5. Januar 2010
Auf die Ohren! An die Füße!
Ja, aufmerksame Leser haben es rechts schon ganz recht erkannt: Eine neue Bloglesung steht an, endlich! Diesmal gibt es nicht nur unterhaltsame Texte, klangvolle Musik und leckeren Wein, sondern drumrum auch noch schöne Schuhe. Die sind aber nur zum Angucken, nicht zum Klauen. Und es gibt statt der üblichen Spende für Getränke ein Eintrittsverfahren: Wer sich vorher bei fraunoelle@googlemail.com anmeldet oder einen Flyer mitbringt, zahlt 2 Euro, alle anderen 3 Euro Unkostenbeitrag. Getränke sind da natürlich mit drin. Also, werte Herrschaften, kommt zahlreich am Dienstag, dem 19.01. ab 19.15h zu Asja shoes & design in der Bornstraße 18! Wir freuen uns!
Gewalt am Schwein, ja oder nein?
Ich bin kein Vegetarier. Nicht mal ein bisschen. Ich esse allgemein ziemlich gern. Deshalb bin ich auch kein Model geworden. Aber ich habe viel Sinn für Ästhetik und manchmal auch für Ethik. Deshalb esse ich keine polnischen Mastgänse und niemals foie gras und habe mich heute gefragt, ob man Marzipanschweine ästhetisch und ethisch schänden darf, um an den Genuss ihres Fleisches zu kommen. Oder ob das Ausführen dieser Handlung nicht vielmehr die Sündigkeit des eigenen Fleisches belegt.
Marzipanschweine sind ja so possierliche Geschöpfe. Man bekommt sie gern zum Jahreswechsel geschenkt, denn sie sollen Glück bringen. Ich bekam zum letzten und zum vorletzten Jahreswechsel jeweils ein Marzipanschwein geschenkt und verfuhr damit auf ganz unterschiedliche Weise. Das Schwein für 2009 steht immer noch dort, wo ich es geschenkt bekam, an meinem Arbeitsplatz nämlich. Ich dachte mir vor einem Jahr, ach, so ein süßes Schwein, das mag zwar lecker sein, aber das isst man doch nicht. Viel zu schön. Und dann bringt es am Ende kein Glück mehr – wie soll etwas Glück bringen, das nicht da ist – das wäre ja furchtbar. Jetzt ist das Schwein schon ein Jahr alt und ich werde es nicht mehr essen, da auch Marzipan ein Verfallsdatum hat. Aber ich frage mich nun, was in Zukunft mit diesem Schwein geschehen soll. Einfach wegschmeißen, schließlich ist das Jahr seiner Bestimmung vorbei? Wäre das nicht ein Affront gegen die Schenkerin? Oder einfach stehenlassen bis zur Pensionierung? Oder wenigstens bis zur Pensionierung der Schenkerin? Letzteres wäre vielleicht die Lösung, die Schenkerin ist bedeutend älter als ich.
Sie erkennen daraus, geschätzte Leser, das Dilemma, in dem ich mich stellvertretend für alle Schweinebeschenkten befinde: Eigentlich ist so ein Schweinderl zu niedlich zum Essen, aber was macht man mit Dingen, die vornehmlich zum Essen da sind, wenn man sie nicht isst?
Deshalb machte ich meinem Schwein für 2010 den kurzen Prozess:
Sieht es nicht furchtbar aus? Dabei hatte ich noch nicht mal reingebissen, nur abgebrochen. Lecker Schwein. Es bietet einem leider keine unauffällige Angriffsfläche, die Devise ist hier: zerstören oder unberührt lassen. Ich wählte die erste Option, indem ich mich daran erinnerte, dass ich als Kind beim Kaninchenschlachten mit Begeisterung Broschen aus den plüschigen Karnickelschwänzchen bastelte und diese dann monatelang stolz an der Brust trug. Im Vergleich dazu erschien mir das heutige Schweineschlachten doch bar alles Makabren.
Tja. Soll man nun oder soll man das Marzipanschwein nicht essen? Was ist ästhetisch und vor allem ethisch vertretbarer? Und was bringt mehr Glück? Meinungen und Diskussionsbeiträge hierzu sind herzlich willkommen.
Die Schenkerin des diesjährigen Schweins, des Jahrzehntschweins sozusagen, war übrigens eine andere als die des Vorjahresschweins. Und ich möchte ihr hiermit diesen Text widmen und ihr sagen, dass ich mich, seit ich ihr Schwein bis auf den letzten Krümel aufgegessen habe, von einem saumäßigen Glück durchflutet fühle. Das Glück dieses Schweins sei das Gold meiner Hüften!
Marzipanschweine sind ja so possierliche Geschöpfe. Man bekommt sie gern zum Jahreswechsel geschenkt, denn sie sollen Glück bringen. Ich bekam zum letzten und zum vorletzten Jahreswechsel jeweils ein Marzipanschwein geschenkt und verfuhr damit auf ganz unterschiedliche Weise. Das Schwein für 2009 steht immer noch dort, wo ich es geschenkt bekam, an meinem Arbeitsplatz nämlich. Ich dachte mir vor einem Jahr, ach, so ein süßes Schwein, das mag zwar lecker sein, aber das isst man doch nicht. Viel zu schön. Und dann bringt es am Ende kein Glück mehr – wie soll etwas Glück bringen, das nicht da ist – das wäre ja furchtbar. Jetzt ist das Schwein schon ein Jahr alt und ich werde es nicht mehr essen, da auch Marzipan ein Verfallsdatum hat. Aber ich frage mich nun, was in Zukunft mit diesem Schwein geschehen soll. Einfach wegschmeißen, schließlich ist das Jahr seiner Bestimmung vorbei? Wäre das nicht ein Affront gegen die Schenkerin? Oder einfach stehenlassen bis zur Pensionierung? Oder wenigstens bis zur Pensionierung der Schenkerin? Letzteres wäre vielleicht die Lösung, die Schenkerin ist bedeutend älter als ich.
Sie erkennen daraus, geschätzte Leser, das Dilemma, in dem ich mich stellvertretend für alle Schweinebeschenkten befinde: Eigentlich ist so ein Schweinderl zu niedlich zum Essen, aber was macht man mit Dingen, die vornehmlich zum Essen da sind, wenn man sie nicht isst?
Deshalb machte ich meinem Schwein für 2010 den kurzen Prozess:
Tja. Soll man nun oder soll man das Marzipanschwein nicht essen? Was ist ästhetisch und vor allem ethisch vertretbarer? Und was bringt mehr Glück? Meinungen und Diskussionsbeiträge hierzu sind herzlich willkommen.
Die Schenkerin des diesjährigen Schweins, des Jahrzehntschweins sozusagen, war übrigens eine andere als die des Vorjahresschweins. Und ich möchte ihr hiermit diesen Text widmen und ihr sagen, dass ich mich, seit ich ihr Schwein bis auf den letzten Krümel aufgegessen habe, von einem saumäßigen Glück durchflutet fühle. Das Glück dieses Schweins sei das Gold meiner Hüften!
Samstag, 2. Januar 2010
Zum neuen Jahr eine Kniefeige
Willkommen, liebe Leser, im neuen Jahrzehnt und im dritten Septentryo-Jahr. Schön, dass Sie auch in den Zehnerjahren weiter vorbeischauen. Kinder, die im Jahr 2000 geboren wurden, werden dieses Jahr zehn Jahre alt. Wie finden wir das? Wissen Sie auch noch so genau, was Sie Silvester 1999 gemacht haben?
Das neue Jahr begann für mich passenderweise mit einem Neologismus. Es war die fortgeschrittene Uhrzeit, zu der man an Neujahr aufzustehen pflegt, wenn man keine kleinen Kinder hat und nicht zur Gruppe der überzeugten Lerchen gehört. Später Nachmittag also. In einer trägen, im Sitzen ausgetragenen Keilerei schlug ich dem Spanier an meiner Seite (gut, diese Formulierung habe ich von Petra Reski geklaut, aber bei ihr ist es ein Italiener) eigentlich scherzhaft aufs Knie. Es klatschte ziemlich laut, ich erschrak ein wenig, weil ich ja niemandem ernsthaft Schmerz zufügen will, und sagte entschuldigend: "Tut mir Leid, jetzt habe ich dich wirklich geohrfeigt." Besagter Spanier blickte einige Sekunden lang ernst auf sein Knie und sagte dann ebenso ernst: "Geohrkniet." Diese bezaubernde Wortschöpfung erheiterte mich nun so sehr, dass ich im folgenden Lachanfall zu ersticken drohte, dabei aber noch mühsam herausbrachte, dass es ja, wenn überhaupt, dann doch gekniefeigt heißen müsse. Darauf besagter Spanier, im Hinausgehen: "Siehst du, wenn du mich ohrkniest, kniefeige ich dich mit Worten."
Diese Wortspielerei führt nun zu einer Menge linguistischer und küchenphilosophischer Schlüsse, von denen ein Teil das neue Jahr als Vorsatz oder doch als Wunsch begleiten könnte:
Das neue Jahr begann für mich passenderweise mit einem Neologismus. Es war die fortgeschrittene Uhrzeit, zu der man an Neujahr aufzustehen pflegt, wenn man keine kleinen Kinder hat und nicht zur Gruppe der überzeugten Lerchen gehört. Später Nachmittag also. In einer trägen, im Sitzen ausgetragenen Keilerei schlug ich dem Spanier an meiner Seite (gut, diese Formulierung habe ich von Petra Reski geklaut, aber bei ihr ist es ein Italiener) eigentlich scherzhaft aufs Knie. Es klatschte ziemlich laut, ich erschrak ein wenig, weil ich ja niemandem ernsthaft Schmerz zufügen will, und sagte entschuldigend: "Tut mir Leid, jetzt habe ich dich wirklich geohrfeigt." Besagter Spanier blickte einige Sekunden lang ernst auf sein Knie und sagte dann ebenso ernst: "Geohrkniet." Diese bezaubernde Wortschöpfung erheiterte mich nun so sehr, dass ich im folgenden Lachanfall zu ersticken drohte, dabei aber noch mühsam herausbrachte, dass es ja, wenn überhaupt, dann doch gekniefeigt heißen müsse. Darauf besagter Spanier, im Hinausgehen: "Siehst du, wenn du mich ohrkniest, kniefeige ich dich mit Worten."
Diese Wortspielerei führt nun zu einer Menge linguistischer und küchenphilosophischer Schlüsse, von denen ein Teil das neue Jahr als Vorsatz oder doch als Wunsch begleiten könnte:
- Eine Ohrfeige muss strenggenommen das Ohr treffen, sonst ist es nur eine Feige.
- Eine Feige allein macht noch keinen Schmerz, sondern ist ein Obst, und zur Gewalthandlung wird sie nur in Verbindung mit dem Ohr. Aber wird sie es auch mit dem Knie?
- Man kann jemanden nicht feigen. Feigen ist kein Verb. Aber in Verbindung mit dem Präfix ohr- wird es zu ebendem.
- ohr- ist also ein Präfix im Deutschen, das aus einem Importobst eine Gewalthandlung macht.
- Als Neuerung für das Einbürgerungsverfahren in Deutschland schlage ich anstelle des Sprachtests folgende Aufgabe vor: Kreieren Sie mindestens drei deutsche Neologismen, vorzugsweise durch Verbaffigierung. Die schönsten Neuschöpfungen werden mit einem Eintrag in den Duden belohnt.
- Ich bin auf jeden Fall dafür, dass Deutschland sich in seiner Eigenschaft als Einwandererland weiter entwickelt. Damit unsere Sprache lebendig bleibt.
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