Montag, 29. Dezember 2008

Wenn der Ede beim Aldi ums Eck kommt oder Gangsta's Babylon

Haaalt, altes Jahr, hoooo! Bevor du zu Ende gehst, schaffe ich's nämlich doch noch, wenigstens einen zweiten Dezemberpost einzustellen. Und damit sei allen Lesern eine gute Fahrt ins neue Jahr gewünscht, auf welchem Gefährt auch immer. Begleiten Sie uns weiter!


Hamburg ist Großstadtrevier. Da gibt es für den Schutzmann einiges zu tun, nicht nur verkehrstechnisch, sondern auch und vor allem dann, wenn der Ede in der Nähe ist, denn der Ede fischt gern im Trüben, und der Schutzmann treibt’s ihm aus. So weit die Fakten. Zudem ist Hamburg wie alle Großstadtreviere ein Revier mit vielen Migranten. Seit einem oder zwei Jahrzehnten kommen die bekanntlich kaum noch aus dem Süden Europas, dafür verstärkt aus dem Osten, abgesehen von den Flüchtlingen aus Übersee natürlich.
Viele Migranten haben wenig Geld, und viele gehen bei Aldi einkaufen. Ich gehe auch bei Aldi einkaufen, aber eigentlich eher, weil dort, wo ich jetzt wohne, kein Plus in der Nähe ist. Denn in Hamburg ist Aldi Nord, was einfach nicht so gut ist wie Aldi Süd, und Plus schlägt sie beide, seit die eine neue Marketingstrategie haben. Aber Aldi Nord – zumindest mein Aldi Nord – hat auch eine neue Strategie, und zwar eine zur Verbrechensbekämpfung. Ich bemerkte das neulich, als ich nach getätigtem Einkauf mein Fahrrad aufschloss und dabei mehr zufällig auf ein Schild in der unteren Ecke der Ladenfensterfront schaute. Darauf steht:

Die Geldbestände dieser Filiale sind in einem Tresor mit gesondertem Schlüssel gesichert. Das Personal kann den Tresor nicht öffnen. Der Schlüssel befindet sich nicht in dieser Filiale.

Diese Information ist dort in sechs Sprachen zu lesen: Deutsch, Englisch, Türkisch, Polnisch, Russisch und Rumänisch. Mein Gott, dachte ich, das ist nicht nur erstaunlich zeitgemäße, da den neuen Migrationstrends angepasste Verbrechensprävention, sondern erspart auch noch mehreren Menschen eine Menge Ärger: Die kleinen Edes aus Osteuropa kriegen nicht mehr von ihren großen Mafiabossen eins drauf, weil sie wieder mal einen Supermarkt überfallen haben, wo es keinen Schlüssel zum Tresor gab und aus dem sie deshalb ohne fette Beute nach Hause gekommen sind. Die Angestellten und Kunden in dem Geschäft, das sonst ausgeraubt worden wäre, müssen nicht mehr wegen ihres Schockzustands psychologisch betreut werden; spart also Krankenkassenkosten. Und der Aufräumdienst muss auch nicht mehr kommen, weil wieder so viel zerdeppert wurde bei dem Überfall ohne Sinn, da ohne Ausbeute, da auf ein Geschäft ohne Tresorschlüssel.
Das ist die eine Seite. Die andere ist: Aldi-Bruder Nord ist ganz schön auf Zack. Er hat nicht nur immer fleißig Zeitung gelesen und bemerkt, dass das organisierte Verbrechen seine Fäden mittlerweile von hinter dem Balkan aus spinnt, sondern er hat sich auch noch flugs findige Übersetzer aus den Problemgegenden beschafft und gesagt, hier, übersetzt mir das mal für eure Edes. Damit komm ich denen nämlich zuvor. Und damit auf dem Schild nicht unterstellt wird, ausnahmslos alle Räuber kämen aus dem Osten, hat Herr Aldi Nord die Warnung auch noch auf Deutsch und Englisch hingeschrieben, denn ein paar deutsche Edes wird es ja auch noch geben und Englisch ist halt Weltsprache, die wird zur Not der Ede aus Kroatien dann auch noch verstehen. Und Englisch muss man schon können als Herr Aldi Nord, da gäbe man sich sonst allzu viel Blöße.
Nun muss man sich aber auch noch die möglichen Reaktionsszenarien bei den Adressaten der Warnung ausmalen. Eine kleine Auswahl habe ich hier zusammengestellt:
Erst einmal wären da die beiden Kleinkriminellen aus Aserbaidschan, die eigentlich einen Supermarktüberfall immer als eine Nummer zu groß angesehen haben; bisher beschränkten sie sich auf Handtaschenraub und machten das im Team, sind auch erst einmal erwischt worden. Nun stehen die beiden einfach nur so vorm Aldi, weil sie auf den Bus warten. Nennen wir sie Orkhan und Azeri. Nichts Böses im Sinn, liest einer der beiden – sagen wir, Orkhan – zufällig das Schild. Da kommt ihm aber die Galle hoch vor Wut, er packt Azeri am Arm und sagt: „Nun guck dir das an, Azeri, die Schweine haben immer noch nicht gelernt, dass unser Volk, das wirklich gute Räuber hervorbringt, sich nicht mehr mit den Scheißrussen identifiziert und eine eigene Sprache hat. Verstehtst du etwa Russisch, Kumpel? Aber die Rumänen und die Polen, klar, die kriegen ihre Extrawurst. Die ham ja wohl den Arsch auf. Komm, denen zeigen wir’s!“ Und schwupp, haben sie zwei wartenden Omas die Strumpfhosen runtergerissen und sie sich über den Kopf gezogen, und mit aserbaidschanischem Gebrüll stürmen sie den Laden, erschrecken die Kassiererinnen zu Tode und lassen sich alles Geld aus der Kasse geben, und vor lauter Schreck kann keiner reagieren, weil ja alle denken, die Warnung draußen funktioniert, und dann hauen Orkhan und Azeri das ganze Geld vom Aldi beim Russen in der Kneipe aufn Kopp, wobei sie aber ihren Schnaps immer auf Aserbaidschanisch bestellen.
Den ungeliebten Russen ergeht es dagegen anders. Dmitrij und Pjotr wollen eigentlich nur mal die Lage in ihren Hamburger Latifundien peilen und schlendern in Pelz und Maßanzug auf einen Plausch mit dem Filialleiter vorbei. Boss Dmitrij sieht das Schild und schlägt sich ärgerlich mit der Faust in die Hand. „Nicht zu glauben, Pjotr! Warum lernen deutsche Lakaien nicht, dass sie sollen arbeiten für uns und nicht gegen uns?! Chabe ich ihm gesagt chundertmal was er soll machen mit Schlüssel, und er schreibt Beleidung auf für ehrenwerte Russen! Soll erfrieren in Sibirien!“ Und dann stürmt er rein und bläst dem Filialleiter erst mal den Marsch, und hinterher lässt er sich den goldenen Siegelring küssen von dem armen Mann, der dabei niederknien muss.
Auch die Türken fühlen sich beleidigt: Ünal, Ümit und Mehmet, alle zwischen 15 und 17 Jahren alt, stehen vor dem Schild und lesen (es tut mir Leid, dass in dieser Geschichte keine Frauen vorkommen, aber es gibt einfach nicht so viele kriminelle Frauen, oder?). Ümit ist der Erste, der sich rührt. Er lässt die Fingergelenke knacken und legt seinen Freunden die Arme lässig um die Schultern. „Ey Alter, wolln die uns beleidigen? Wolln die sagen, wir klauen oder was? Lan, die mach isch platt! Hastu gps?“ Mehmet zückt sofort sein GPS-Handy, womit es ein Leichtes ist, Herrn Aldi Nord persönlich zu orten. Sofort rufen sie ihn an und heizen ihm erst mal kräftig ein: „Alter, willlstu uns beleidigen? Weißt du, Türken sind superfriedlisches Volk, Alter! Glaubst du, wir ham kein Geld oder was? Ey, wenn du noch einmal meine Mutter beleidigst, komm isch mit meine drei Brüder und die machen disch platt!!“
Ja, und dann ist da noch der Ede, der gute alte. Der steht vorm Aldi, Strumpfmaske in der Tasche, und wartet auf eine günstige Gelegenheit. Dabei fällt sein Blick auf das Schild. Er sieht zuerst nur all die fremden Sprachen und denkt sich, was soll das? Und als er sich schon dranmachen will, das Englische mühsam zu übersetzen, sieht er dann doch die deutschen Wörter. Da dämmert’s ihm, und wütend stampft er mit dem Fuß auf und schreit laut, der Passanten ungeachtet: „Oh nee, so'n Schiet, jetzt ham die hier keinen Schlüssel mehr für den Tresor, jetzt kann ich die nich mehr überfallen!“ und zischt ab.
Bei all dem Ärger freut sich nur einer: der Schutzmann. Der muss nämlich gar nicht mehr ums Eck kommen, da der Ede eh schon reißaus genommen hat. Und so kann der Schutzmann früher Feierabend machen und es sich schön auf dem Sofa vorm Fernseher gemütlich machen.

Montag, 8. Dezember 2008

Plädoyer fürs Bösesein

Zwei Grundannahmen seien diesem Eintrag vorausgeschickt: Erstens. Ich bin immer zu nett. Zweitens. Man sollte sich auf seine Intuition verlassen und ihr entsprechend handeln. Erstens wird im weiteren Verlauf hinreichend erklärt, zu Zweitens: Ich hatte so eine Ahnung, noch bevor ich die Entscheidung entgegen meiner Ahnung traf. Letzte Woche stand ich in einem Geschäft und hatte eine Mütze und einen Schal in der Hand, beide etwas teurer als meine übliche Preisklasse bei derlei Kleidungsstücken (der regelmäßige Leser dieses Blogs muss den Eindruck gewinnen, ich verbrächte den Großteil meiner Freizeit mit Shopping. Der Eindruck trügt). Ich dachte: Vielleicht solltest du besser nicht so viel Geld für eine Mütze und einen Schal ausgeben, du verlierst sowas doch immer schnell. Dann dachte ich aber daran, dass ich mir doch versprochen hatte, nicht mehr die Billigtextilketten zu unterstützen und beim Kleiderkauf mehr auf Qualität zu achten. Auf der Mütze stand sogar made in Germany, wo gibt’s das schon noch? Gebongt also, heißt gekauft. Die Mütze war braun und flauschig mit einem schönen dicken Bommel dran und der Schal war schwarz und flauschig und schlicht. Glücklich wärmte ich dann Hals und Kopf in Qualität. Was hat das mit nett und böse zu tun, mag der geneigte Leser denken. Kommt alles, kommt sofort.
In meinem Kölner Patchworkhaushalt, den ich nur noch sehr sporadisch bewohne, leben zwei junge Männer, eine erwachsene Katze und ein jugendlicher Kater. Letzterer hat dort einen Freifahrtschein für so ziemlich alle Ungezogenheiten, ihm fehlt die strenge mütterliche Hand. Und alles, was sich auch nur im Entferntesten bewegt, ist ihm Spielzeug und Jagdbeute. Ich rege mich oft ganz schön über ihn auf, vor allem wenn er wieder respektlos gegenüber der erwachsenen Katze ist, doch leider kann ich ihm, ähnlich wie den meisten Menschen, nie sonderlich lange böse sein. Denn wenn er dann kommt mit seinen goldenen Augen und sich schnurrend und völlig scham- und distanzlos in meine Halsbeuge schmiegt, wo er sogleich einschläft, ist es schnell um meine Strenge geschehen und ich bin zutiefst gerührt.
Auch gestern Nacht waren der Kleine und ich wieder sehr intim miteinander; die meiste Zeit lag sein Kopf in meiner Hand. Ohne Zweifel und zugegeben verschaffte mir das doch einige nächtliche Seligkeit. Ein hartes Herz, das da nicht weich würde. Hätte ich aber gewusst, dass er sich auf diese Weise nur Ablass für seine nächtlichen Sünden erschmeicheln wollte, hätte ich ihm was anderes erzählt. Das böse Erwachen kam mit dem Weckerklingeln um acht Uhr: Auf der Suche nach Kaffee betrat ich die Küche, wo ich am Abend zuvor Mütze und Schal über einen Stuhl gehängt hatte (warum eigentlich nicht an die Graderobe im Flur, frage ich mich jetzt). Aber wehe, wehe: Die Mütze lag auf dem Boden, der Bommel in Fetzen umher verstreut. Nur ein kümmerliches Restbüschelchen war davon an der Mütze hängen geblieben und klammerte sich ängstlich mit letzter Kraft fest. Von Bommel konnte keine Rede mehr sein. Ja, und der Schal war – weg. Ja: weg. Ich schwöre. Einfach nicht mehr aufzufinden. Ich schaute sogar ins Katzenklo (hätte ihn auch dann noch benutzt, wenn er da drin gewesen wäre), aber das Mistvieh hatte ihn einfach versteckt, und zwar richtig gut, wie Kinder das oft können oder Eichhörnchen. Und ich musste natürlich zum Zug und hatte keine rechte Zeit zum Suchen. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Mit einem markerschütternden „LUUUMP!!!“ (so heißt er tatsächlich, nur mit einem i hinten dran, damit er auch einen Namen hat, wenn er brav ist) machte ich meinem Ärger Luft. Aber da der Schuft natürlich Lunte gerochen hatte und nicht kam, um mir Rede und Antwort zu stehen, lief ich hinter ihm her und schrie ihn an: „WO HAST DU MEINEN SCHAL HINGETAN UND WAS HAST DU MIT MEINEM BOMMEL GEMACHT, DU ARSCHLOCH?!“ Und ich sagte ihm auch, was die Mütze gekostet hatte und dass ich jetzt verdammt noch mal einen Schal bräuchte draußen, es sei nämlich Winter. Am liebsten hätte ich ihm eine reingehauen. Oha, wird nun der eine oder andere Leser denken, da ist eine, die traut sich nicht, Menschen die Meinung zu sagen und lässt ihre Wut dann an einem wehrlosen Tier aus. Und sie ist ja eh selber schuld, warum hängt sie ihre Klamotten auch nicht an die Garderobe, wo der Kleine nicht dran kann; so ist das eben, wenn man Kinder hat. Überhaupt, so eine schlägt bestimmt auch Menschenkinder. Und ich sage: Richtig, ich würde mich in kaum einem Fall trauen, einen Menschen allen Ernstes Arschloch zu nennen, und warum kaufe ich mir auch teure Sachen und hänge sie dann nicht an die Garderobe, wo der Kleine nicht dran kann. Aber: Erstens werden Haustiere in unseren Breiten im Allgemeinen viel zu sehr verhätschelt. Neulich in Mali machten sich ein paar Kinder noch einen Spaß daraus, einen kranken Esel halb tot zu prügeln, so kann’s auch laufen. Und zweitens habe ich dem Lump ja gar keine reingehauen, und er hat mir nicht gesagt, wo er den Schal versteckt hat und meinen Mützenbommel auf ewig verstümmelt, und jemanden, der so was macht, möchte ich verdammt noch mal Arschloch nennen dürfen. Ich kann das sogar empfehlen als Selbsttherapie für Konfliktscheue: Wenn Sie Schwierigkeiten haben, Menschen die Meinung zu sagen, schaffen Sie sich eine pubertierende Katze an. Die wird Ihnen oft genug Anlass geben, sie als Arschloch (oder Vergleichbares) zu beschimpfen, und mit großer Wahrscheinlichkeit (eine Restmöglichkeit möchte ich nicht ausschließen) wird sie den Wortsinn Ihrer Beschimpfungen nicht verstehen. Und wenn doch, wird sie Sie vielleicht ihrerseits in Katzensprache beschimpfen, was Sie wiederum, und da bin ich mir sehr sicher, nicht verstehen werden. Man muss nicht immer nett zu allen sein.

Donnerstag, 6. November 2008

I wanna be a secret agent

Diese Woche habe ich zum ersten Mal Näheres über John le Carré erfahren. Das (nämlich dass es das erste Mal war) liegt daran, dass ich eine gewisse Art von Literatur geringschätze und deshalb aus Prinzip nicht beachte: Bestseller. Eine allzu hohe Verkaufszahl ist selten ein Zeichen von Qualität, finde ich (und vermutlich nicht nur ich). John le Carré war für mich immer sowas wie Konsalik oder Utta Danella, wohl weil die Buchcover sich (zumindest in den Achtzigern) ähnelten. Vielleicht hatten sie auch eine Zeit lang denselben Verlag. Ich sah jedenfalls die Titel und ignorierte ganz bewusst und demonstrativ den Inhalt dahinter. Das bereue ich bis heute nicht, aber vor ein paar Tagen las ich ein Interview mit dem Herrn, dessen Pseudonym mir schon immer ein Graus war (welches ich, ohne eins seiner Bücher zu lesen, als solches erkannte). Was soll das überhaupt, und was soll es heißen, le Carré? Johann das Karo? Johannes der Gekreuzte, der Karierte? Und soll man es nun französisch aussprechen oder englisch mit französischem Akzent oder umgekehrt? Sein wirklicher Name steht auch in dem Interview, und der ist viel schöner: Cornwell. Fast so wie die Landschaft, in der er wohnt, Cornwall. Deshalb habe ich das Interview überhaupt nur gelesen, weil da so schöne Fotos von Cornwall dabei waren, und Herr Cornwell saß mittendrin in Cornwall.
Und durch dieses lehrreiche Interview erfuhr ich viele Dinge auf einmal: Dass Herr Karo Spionageromane schreibt (ja, ich bin gar nicht so weltgewandt, wie ich immer wirke), dass die vielleicht doch einen Tick anspruchsvoller sind als Konsalik und Utta Danella (trotzdem kommt mir kein le Carré ins Bücherregal), und dass dieser Herr - das fand ich am spannendsten - selber mal Geheimagent war. Und zwar von der alten Schule, also Sean Connery, nicht Daniel Craig (dass Letzterer überhaupt Brite sein soll, finde ich schon unglaubwürdig). Wow, dachte ich, Geheimagent! MI-6-Mitglied! Alter, krass! Und er erzählt in dem Interview, dass er es wiederum krass findet, wie der britische Geheimdienst heutzutage sein Agentenfrischfleisch rekrutiert: über Zeitungsannoncen. Das hätte es zu meiner Zeit nicht gegeben, erzählt Herr Cornwell - er ist jetzt Ende 70 - , da lief das alles im Privaten, über Talentsucher. Und dass die Spione immer die besten Unterhalter waren, woran man sie auf Partys erkennen konnte. Immer witzig, spritzig und nie um eine Antwort verlegen, so musste ein Spion damals sein. Wie sollte man auch sonst würdig sein, im Dienste ihrer Majestät zu stehen?
Ich dachte ja immer, als Geheimagent muss man vor allem sportlich und furchtlos sein, immer spontan gute Einfälle zur Rettung des eigenen Lebens haben und gut mit Schusswaffen umgehen können. Traf alles nicht auf mich zu und ich bewarb mich deshalb nie um einen Agentenposten. Aber jetzt, wo ich Herrn le Carré und sein Agentenleben kennen gelernt habe, tun sich mir ganz neue berufliche Perspektiven auf: Zunächst bräuchte ich nichts zu tun, als mich möglichst häufig auf feinen englischen Partys herumzutreiben. Dort würde ich wie immer ein bisschen die Rampensau raushängen lassen, mit jeder Menge Witz und Charme die Leute unterhalten und so den Talentscout vom Secret Service auf mich aufmerksam machen. Der würde mir dann irgendwann unauffällig eine Nummer zustecken, woraufhin wir uns einige Tage später in einem unauffälligen Londoner Straßencafé träfen. Nach ein wenig Vorgeplänkel würde der smarte, mysteriöse Herr sich ein wenig vorbeugen, mir fest in die Augen sehen und mich fragen, ob ich mir eine Tätigkeit in der Grauzone des bürgerlichen Lebens, aber im Dienste ihrer Majestät und zum Wohle des Commonwealth vorstellen könnte. Ich würde einen Moment lang den Atem anhalten und dann mit dramatischem Augenaufschlag hauchen: "Sir, well... Sir, I feel terribly flattered, but... couldn't that be dangerous?" Ich würde nämlich auf keinen Fall jemals jobbedingt um mein Leben bangen wollen. "Neeee, Frau Nölle, alles no problem, für Sie haben wir natürlich was ganz Maßgeschneidertes, spannend und doch völlig ungefährlich!"
So kämen wir ins Geschäft. "Wo wollense denn gerne hin", würde er mich noch fragen, und ich würde mir erst mal Italien aussuchen, zum Einstieg. Dort würde ich dann in einer schönen Villa mit Meerblick wohnen, den ganzen Tag Leute beobachten und alles Beobachtete nach London hochfaxen. Ansonsten würde ich viel Wein trinken und Bruschetta essen sowie ordentlich dolce vita machen. Und häufig schwimmen gehen, dabei kann man nämlich auch gut Leute beobachten. Und schreiben könnte ich auch nebenbei, vielleicht schon mal einen Teil meiner Memoiren, dann habe ich später nicht so viel zu tun. Oder ich frage Mister Cornwell, ob er Lust auf ein Gemeinschaftsprojekt hat; so käme auch die weibliche Sicht mal ins Spionagebuchbusiness. Auch mit der Queen hätte ich hin und wieder Briefkontakt, sie ist schließlich persönlich daran interessiert, was an der italienischen Front so läuft.
Ja, so schön schillert sie, meine Seifenblase. Und doch bin ich ein richtiger Depp. Denn der karierte Herr Cornwell war heute zu Gast im Schauspielhaus und hat seinen neuen Roman vorgestellt und außerdem über seine Jahre beim Secret Service erzählt. Und ich hab ihn verpasst! Manno. Da hätten wir so gut mal in Ruhe quatschen können. Ich hätte ihm sagen können, Sir John, don't you worry, Ihre Nachfolge ist gesichert. Und auch in der Spionage sind nun endlich die Frauen am Zug. Aber nun ist es nach Mitternacht, morgen fahre ich nach Mali und Sir John ist bestimmt schon wieder auf seinem Landsitz in Cornwall. Wenn ich Spionin bin, muss ich unbedingt meine Termine besser koordinieren. Und dann wird mal an einem knackigen Bond-Boy gearbeitet. Denn 0079 wird eine Frau sein.

Mittwoch, 5. November 2008

Hamburg kann hören kommen

Verehrtes hamburger Publikum, es ist so weit: Fraunoelle liest Septentryo in Hamburg. Das darf man nicht verpassen: Am Samstag, dem 13.12.08 um 20 Uhr gibt es endlich auch im Norden die Veranstaltung der besonderen Art, eine öffentliche Bloglesung mit vielen unterhaltsamen Extras. Kommen Sie ins schöne Altona zum Ottenser Marktplatz 11 und steigen Sie die Stiegen zum ersten Stock hinauf. Und bringen Sie Ihre Freunde mit!
Des weiteren nicht wundern, wenn's bis dahin kaum Einträge gibt, bin demnächst im malischen Sahel.

Dienstag, 28. Oktober 2008

Ist die noch frisch? oder Momente vollkommener Peinlichkeit

Fremdschämen ist so ein schönes neues Modewort, das ich zuerst nur aus dem Spanischen kannte - vergüenza ajena. Da sich das Phänomen inzwischen auf Deutschland auszubreiten scheint und ich es heute selbst wieder erlebt habe, will ich nun auch endlich einmal darüber schreiben.
Peinliche Momente sind ja dann am schlimmsten, wenn sich zwei Leute gleichzeitig schämen, sich dabei aber nicht gut oder gar nicht kennen (sonst wird es manchmal auch lustig). In solchen Situationen entsteht die Peinlichkeit auch dadurch, dass man einander zu fremd ist, um darüber unbefangen zu sprechen, etwa: "Mama, tut mir leid, aber diese Jacke macht dich ungefähr fünfzehn Jahre älter." Oder: "Oh tschuldigung, wusste ja nicht, dass du auf dem Klo sitzt, schließ doch ruhig ab - stinkt übrigens ziemlich."
Da ich vor kurzem erst umgezogen bin, kenne ich die Bäckereiverkäuferinnen in meinem neuen Veedel noch nicht besonders gut. Und die beiden, die ich heute kennenlernte, waren mir dann auch nicht sympathisch genug, um mit ein paar legeren Worten die entstandene Peinlichkeit zu übergehen. Dazu kam es so: Ich mag gern Brot mit vielen Körnern sowie Süßgebäck mit nicht allzu viel Mohn. In der Bäckerei hatte ich mir schon ein Brot mit schön vielen Körnern ausgesucht und liebäugelte mit einer Scheibe Mohnstollen, die sich dort in der Auslage räkelte und 95 Cent kosten sollte. Mohnstollen finde ich nun lecker, aber für 95 Cent, immerhin eine Mark neunzig für eine einzelne Scheibe, möchte ich nichts kaufen, das schon mehrere Stunden werdender Pappigkeit durch zu langes aufgeschnittenes Liegen hinter sich hat. Deshalb fragte ich die Verkäuferin, wobei ich mir glatt etwas spießig vorkam: "Ist die Scheibe da noch einigermaßen frisch?" Fast wären die Finger der Frau schneller gewesen als ihre Worte. Letztere waren etwa: "Ja klar, die is, ja doch, die ham wer erst...", während erstere blitzschnell Richtung Stollenscheibe gezuckt waren, um diese prüfend zu befühlen, sich aber in letzer Bruchsekunde besonnen und kurz vorher gestoppt hatten. Da schwebten sie nun, ihre Finger über meiner Stollenscheibe, und stürzten uns beide in die Peinlichkeit: Sie hatte ganz einfach das tun wollen, was man üblicherweise tut, um die Frische von Teigwaren zu überprüfen: Man befühlt und drückt sie ein bisschen. Ich hätte genau das Gleiche getan, wenn es bereits meine Scheibe Stollen gewesen wäre. So aber konnte ich nicht selbst fühlen, weil ich noch nicht zum Kauf entschlossen war, hätte aber auch ihre Fingerabdrücke nicht auf meiner potenziellen zukünftigen Stollenscheibe haben wollen. Und sie hatte das ganz genau erkannt, aber ihre Hand nicht mehr zurückhalten können. Nun schämte sie sich, ich schämte mich für sie fremd, weil ich ein solches Verhalten für eine Bäckereifachverkäuferin recht unprofessionell fand (und ein bisschen schämte ich mich auch wegen meiner spießigen Frage, die uns beiden ja erst den Schlamassel beschert hatte), und sie wusste nicht wohin mit ihren ausgestreckten Fingern. Um die Situation gerade zu biegen, ließ sie dann ihre Hand wenige Millimeter über dem Gebäckstück kreisen, so wie man prüft, ob eine Herdplatte noch heiß ist. Das trug auch nicht unbedingt zur Rettung ihrer Ehre bei und klärte nicht meine Frage, aber die Rettung nahte in Gestalt ihrer Kollegin, die breitschnäuzig dazwischenfuhr: "Oh ja der Mohnstollen, hab ich gerade erst aufgeschnitten und selber gegessen, is nämlich der einzige Stollen, den ich esse."
Puh. Geschafft. Wie wohltuend ist doch das Eingreifen einer unbeteiligten Person in einer Situation der Peinlichkeit! Nun konnte ich mich voll und ganz auf das Urteil der zweiten Verkäuferin verlassen und leichten Herzens meine Stollenscheibe kaufen, und die erste Verkäuferin konnte ihre Hand wegnehmen und musste mir nicht mehr beweisen, dass die Stollenscheibe noch frisch war. Ich habe dann die ganze schöne Scheibe als Abendbrotnachtisch gegessen, und sie schmeckte wirklich kein bisschen pappig. Ich war aber auch froh, dass keine fremden Finger sie befühlt hatten.

Donnerstag, 16. Oktober 2008

Endlich Palladio und Schluss mit Venedig

Ja, solche Fortsetzungsgeschichten sind hart, man verbringt mehr Zeit mit Warten als mit Lesen und weiß nicht recht, was man in all der Wartezeit machen soll. Aber nun kommt, wie der Titel verspricht, endlich der letzte Teil des kleinen venezianischen Tagebuchs, und wir können alle wieder ruhig schlafen. Ehrlich gesagt habe ich mich die ganze Zeit am meisten auf den Inhalt dieses letzten Teils gefreut; vielleicht geht es euch ähnlich und die Freude nimmt nun Überhand im Bloggerland.
Mein zweiter Venedig-Tag war reserviert für einen ausgiebigen Vicenza-Besuch, weil mein Herr Tiepolo mit seinem Vater dort eine Villa ausgemalt hat. Das wusste auch schon Herr Goethe, der kannte wohl den Villenbesitzer, Herrn Valmarana, und hat ihn besucht auf seinem Anwesen. Herr Goethe dachte aber, dass die ganze Villa von Papa Tiepolo ausgemalt worden sei, was gar nicht stimmt, das Gasthaus hat mein Herr Tiepolo Junior ausgemalt, und deshalb bin ich hin. Goethe und mir hat die Villa dennoch gleichermaßen gefallen.
Dass ich in Vicenza genauso viel laufen musste wie in Venedig, lag vor allem daran, dass die Busfahrer dort streikten. Das passiert ja recht oft in Italien, und zum Glück ist Vicenza nicht so groß, aber die Villa Valmara liegt doch ein bisschen außerhalb auf einem Hügel, also wieder einiges zu tun für meine geplagten Füße. Die hatten wohl auch langsam Angst, sie befänden sich auf dem Jakobsweg, und taten mir dies durch mahnendes Schmerzen kund. Trotzdem zwang ich sie, mich erst auf einem Rundweg zu einigen Palladio-Bauten zu tragen (der wohl berühmteste Sohn Vicenzas feiert dieses Jahr seinen 500. Geburtstag) und dann stracks den Hügel hoch zur Valmarana-Villa.
Dieses schöne Herrenhaus heißt Villa Valmarana ai Nani, „mit den Zwergen“, weil die umgebende Mauer mit in Stein gemeißelten Zwergen in Lebensgröße verziert ist. Dazu gibt es eine schöne Geschichte, die ich nicht mehr ganz genau weiß, aber ungefähr geht sie so: Der Gutsherr, der die Villa bauen ließ, bevor Herr Valmarana sie kaufte und Herrn Goethe dorthin einlud, hatte eine kleinwüchsige Tochter. Diese kleine Principessa Giftspritze war immer sauer auf ihre Diener, weil die ihr alle zu groß waren und sie sich von ihnen nicht ernst genommen fühlte. Ein Angestellter nach dem anderen wurde von der kleinwüchsigen Principessa vor die Tür gesetzt. Bis ihr Vater eines Tages eine Idee hatte: Er ließ im ganzen Land verkünden, dass er Kleinwüchsige als Hausangestellte suchte, und stellte seiner Tochter eine komplette Zwergendienerschar zusammen. Da freute sich die Prinzessin sehr, und sie gewann ihre Zwergendiener so lieb, dass jeder von ihnen vom Hofbildhauer in Stein verewigt werden musste. Und so erinnern ihre Skulpturen noch heute daran, wie viel Ehre dem kleinen Volk hier einst zuteil wurde.
Meine Ehrerbietung galt nun aber vor allem dem jüngeren Herrn Tiepolo, und deshalb schaute ich mir seine Fresken sehr lange an und machte mir möglichst viele kluge Gedanken dazu. Und ich plauderte kurz mit der Signora Valmarana, einer sehr netten modernen Adligen. Irgendwann war es aber Zeit zu gehen, ich musste ja noch nach Venedig zurück, und so nahm ich einen kleinen Schotterweg hügelabwärts, den ich vorher nicht gegangen war. Und als dieser kleine Schotterweg auf halber Höhe des Hügels plötzlich auf die Straße mündete, stand sie auf einmal vor mir: Palladios wunderbare Villa Rotonda. Potzblitz, dachte ich (so wie es wahrscheinlich schon Goethe gedacht hatte), dass sie hier irgendwo steht, wusste ich ja, aber dass sie nun so wie aus dem Nichts auftaucht, ist schon ein kleines Wunder. Ich näherte mich zögernd, wusste ich doch Zeit und auch Geldbeutel gegen eine weitere Besichtigung. Ich hatte nämlich fast all mein Geld für Bücher über die Bilder des Herrn Tiepolo ausgegeben und besaß gerade noch genug für die Rückfahrt nach Venedig.
Direkt hinter dem Eingangstor der Villa ist ein Pförtnerhäuschen, in dem ein Pförtner sitzt und interessierte Laufkundschaft darüber informiert, dass die Außenbesichtigung fünf, die Innenbesichtigung zehn Euro kostet. Ganz schön stolze Preise, aber im Veneto ist eben alles teuer. Er merkte wohl, dass ich Interesse hatte, und wollte mir gern ein Ticket für die Außenbesichtigung verkaufen. Ich sagte ihm aber, dass ich schon zu viel ausgegeben hätte und nun ein bisschen sparen müsse. Das fand er sehr komisch, er brach in schallendes Gelächter aus. „Ähm, ja, ich geh dann mal“, murmelte ich und verließ ihn, der immer noch kicherte.
Etwas geknickt trottete ich die Straße hinunter, unschlüssig, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte, und ein wenig erbost über die Wucherpreise in diesem Kulturland der unkultivierten Politiker. Unvermittelt blieb ich jedoch stehen. Ich dachte: Du kannst doch nicht zwanzig Schritte von Palladios Rotonda stehen und sie Dir nicht anschauen. Wer weiß, wann Du wieder hierhin kommst? Das half. Ich ging die zwanzig Schritte zurück und war schnell wieder bei dem humorvollen Pförtner. Der grinste schon; ich hielt ihm meine letzten fünf Euro hin und sagte: „Hier, habs mir anders überlegt. Ich mach die Außenbesichtigung.“ Flink zog er mir den Schein aus der Hand, wedelte damit vor meiner Nase herum und sagte schelmisch: „Tja, gibt wohl kein Abendessen heute, was?“- „Richtig, ich mach Diät heute. Für Palladio“, gab ich zurück.
Dann genoss ich den schönen Rotonda-Rundgang und die Ausssicht auf den herbstlichen Veneto im Abendlicht. Und dachte: Wäre Palladio ein Politiker und lebte er noch, dann könnte er sich ganz schön auf seinen Diäten ausruhen. Die werden nämlich sicher oft für ihn erhöht.
Meine Diät an jenem Abend bestand aus einem wirklich mickrigen Stück Pizza. Zurück in Deutschland freute ich mich vor allem über das gute Essen, das ich mir dort wieder leisten konnte, und über das Tragen anderer Schuhe sowie Fahrradfahren statt Laufen.

Dienstag, 7. Oktober 2008

Venedig II

... ist besser als Hartz IV. Wenn es auch hier noch um Politik und Geld gehen wird. Aber nein, eigentlich kommen wir dazu erst in Venedig III. Zuerst ist doch der Mensch wichtig.
Am Abend meines ersten Venedig-Tages merkte ich, dass man zum Viellaufen dicke Sohlen braucht. Ich hatte einfach das Gefühl, den ganzen Tag über ein Geröllfeld gelaufen zu sein, und zwar barfuß. Gleichzeitig wollte ich aber, wie es meinem Naturell entspricht, nach getaner Arbeit nicht gleich ins Bett gehen. Und siehe da, die Rettung saß am Küchentisch meiner Herberge! Es waren die beiden weiblichen Wesen, mit denen ich unbekannterweise eine Nacht verbracht hatte, eine Mexikanerin und eine Argentinierin. Beide sehr unterhaltsam und beide viel älter, als sie aussahen (ja, man ist da doch manchmal erstaunt!). Und da sie gerade schon mal einen Wein auf hatten, nahm ich auch ein Glas und los wurde geplappert bei Wein und Weib, nur ohne Gesang. Die Mexikanerin gefiel mir besonders, ihr Name war Leticia. Und es hatte sich Venedig auch schon jemand in sie verliebt, nämlich... Giorgio! Ich konnte erst nicht glauben, dass sie überhaupt irgendeine Form der Kommunikation mit ihm gehabt hatte, in welcher Sprache?!
Es zeigte sich bald, dass es doch auch ohne viel Sprache geht. Giorgio kam nämlich alsbald und schenkte allen erst mal Wein nach. Und er schien sehr wohlgelaunt, allein das hatte ich ihm kaum zugetraut. Er wollte die beiden in einen anderen Ableger des Hostels bringen, und ich schlug vor, doch vorher noch gemeinsam etwas trinken zu gehen, wenn auch die Füße schmerzten, wann ist man schon mal abends in Venedig und hat Geld für ein paar Spritz in der Tasche, Lagunengetränk Nummer eins. So geschah's. Als lustiges Ausländerquartett setzten wir uns vor eine kleine Bar an einem ruhigen Kanälchen und zeigten dem einheimischen Publikum, wie interkulturelle Kommunikation ohne viel verbales Verständnis geht. Giorgio bemühte sich vor allem, Leticias Namen zu behalten und dann auch noch flüssig auszusprechen, was ihn die meiste Zeit beschäftigte. Sie machte sich einen Spaß daraus, ihn zappeln zu lassen und in schnellem mexikanischem Slang fortwährend zu foppen, wovon er natürlich kein Wort verstand. Und Karina, die Argentinierin, erzählte mir zu meinem Namen, sie habe in ihrem Wohnheim in Rom eine Chinesin, die auch Nina heiße. Sie war erstaunt, dass das offensichtlich ein Name sei, der in China und Deutschland gleichermaßen beliebt ist. Ich deutete an, dass ihre Nina wohl genauso wenig wirklich Nina hieß wie unser Giorgio Giorgio. "Was?! Er heißt nicht Giorgio? Warum behauptet er das denn, wenn es gar nicht stimmt?", entrüstete sie sich. Tja, Recht hat sie doch. Sollen denn Namen ausgewechselt werden können wie Unterhosen, nur damit sie irgendwelchen offensichtlich sprachgestörten Europäern etwas mehr Gedächtniskomfort bieten? Oder sollten wir, die globalisierte Generation, vielleicht gleich bei der Geburt ein Wörterbuch mit der Übersetzung unseres Namens in etwa 154 Sprachen bekommen?
Merke: Asiaten tragen gern Namen wie Tarnanzüge oder Chamäleons.

Freitag, 3. Oktober 2008

Von falschen Namen und Diäten für Palladio – kleines venezianisches Tagebuch in mehreren Teilen

Auf den Spuren von Giandomenico Tiepolo (über den ich ein schlaues Buch schreiben möchte und hoffentlich werde) bin ich drei Tage durch Venedig und seine Umgebung gelaufen. Das war ziemlich anstrengend, und einiges habe ich dabei erfahren. Davon will ich nun erzählen. Weil ich immer noch erschöpft bin von der Reise und außerdem beim Schreiben auch noch umziehen muss, werde ich mehrere Pausen einlegen; es wird also wieder ein schöner Fortsetzungseintrag.

Ich kannte Venedig schon von einer früheren Reise vor vier Jahren, aber sich in dieser seltsamen Stadt wirklich auszukennen ist eine Kunst für sich, und deshalb hatte ich das Angebot gern angenommen, mich von einem der Mitarbeiter meiner Pension am Bahnhof abholen zu lassen. Das Zimmer hatte ich per Telefon bei einer netten Frau vorbestellt; es würde zwar nicht für mich allein sein, dafür aber günstig und mit Frühstück. Wunderbar. Ich nannte der Frau meine Ankunftszeit und sie sagte, ihr Bruder würde mich am Bahnhof abholen. Ich gab ihr als Erkennungszeichen meine orange Jacke durch. „Und wie sieht dein Bruder aus?“, wollte ich wissen, schließlich gibt es dort eine Menge Menschen, die warten und eine weitere Menge, die die Wartenden abholt. Die Herbergsmutter wirkte etwas verwundert ob meiner Frage, sagte dann aber: „Naja, er heißt Giorgio und ist dunkelhaarig.“ Aha, dachte ich, da ist er wirklich die große Ausnahme unter allen Italienern. Wie verabredet am Fuß der großen Brücke über den Canal Grande angekommen, positionierte ich mich dort also möglichst auffällig mit meiner gottlob knallorangen Jacke und hoffte, Giorgio würde mir ein ähnliches Zeichen senden.
Dort wartete ich so eine ganze Weile und blickte jedem herannahenden dunkelhaarigen Italiener (meistens kann man die ja ganz gut von den Touristen unterscheiden, sind besser gekleidet) tief in die Augen, während ich gleichzeitig mit einem oder zwei Fingern unauffällig auf meine Jacke zu deuten versuchte. Aber keiner achtete auf meine Zeichen, und die Minuten verstrichen zu fünft, zu zehnt und mehr. Plötzlich baute sich wie aus dem Nichts ein kleiner, gehetzt wirkender Asiate vor mir und fragte in sehr schlechtem Englisch, ob ich Nina sei. „Äh, yes“, erwiderte ich zögernd, „aber – you are not Giorgio, are you?!“ – „Oh yes, itali: Jiojio.“ Ich verstand; einer der vielen Asiaten, die sich ihren europäischen Gastlandbewohnern zuliebe einen für diese aussprechbaren Namen geben. Trotzdem seltsam, dachte ich, seine angebliche Schwester hatte am Telefon sehr professionell Italienisch gesprochen. Und Pseudo-Giorgio sprach noch weniger Italienisch als Englisch, das merkte ich schnell. In meiner Verdutztheit fragte ich dann tatsächlich etwas wie „And is your sister really your sister?“, fühlte mich irgendwie veräppelt in meiner romantischen Hoffnung, im Haus einer italienischen Familie aufgenommen und erst mal ordentlich mit Pasta bekocht zu werden, und sei’s auch gegen Geld und mit anderen Touris zusammen. Giorgio verstand meine unverschämte Frage zum Glück falsch und antwortete irgendwas anderes. Er und seine Schwester sind aus Thailand und er jobbt gelegentlich in ihrem Hostel, so viel bekam ich aus ihm heraus, aber auch nur auf ausdrückliche Nachfrage. Eigentlich schwieg er die ganze Zeit – auf immerhin gut fünfzehn Minuten Weg – und fragte mich auch nichts, wohl auch aus sprachlichem Unvermögen. So wurde es eine recht eigenartige abendliche Wanderung: Wenn wir nicht gerade schwiegen oder er mir mit der Hand und einem „this“ den Weg wies, kam ich mir vor wie eine neugierige Polizistin, die den armen thailändischen Schwarzarbeiter verhört. Ich sollte Giorgio noch anders erleben, aber dazu später.
Nach der ersten Nacht im Dreibettzimmer, die ich mit zwei in der Dunkelheit nicht erkennbaren weiblichen Wesen verbracht hatte – sie verließen das Haus schon in aller Herrgottsfrühe – , machte ich mich also auf den Weg der Wissenschaft. Für den hatte ich mir einiges vorgenommen, musste also schauen, dass alles zügig voranging. Da es aber nahezu unmöglich ist, sich bei einer Dreivierteldurchquerung Venedigs nicht zu verlaufen, wenn man gerade vier Jahre lang nicht da war, dauerte das Ankommen an meinem ersten Ziel, Ca’ Rezzonico, dann doch etwas länger als geplant. Damit ich beim Verirren bei Laune blieb, lief mir in einer Sackgasse Sonja über den Weg. Die heißt aber gar nicht wirklich Sonja, sondern eigentlich Songün, lebt in Dresden und ist vor acht Jahren aus der Türkei dorthin gezogen. Sie meinte, ihren wirklichen Namen könnten ihre deutschen Freundinnen nicht aussprechen, deshalb habe sie sich an Sonja gewöhnt. Und sie war hoch erfreut, als sie mein Deutsch hörte, sie konnte sich nämlich weder auf Englisch noch auf Italienisch, sondern nur auf Türkisch oder Deutsch verständigen und war so ein bisschen verloren dort jenseits der Alpen; noch dazu hatte sie Stöckelschuhe mit etwa acht Zentimetern Absatzhöhe an, „Ich dachte, ich fahre heute nur Boot“. Wir nahmen dann auch gemeinsam den Vaporetto, nachdem wir endlich die Station gefunden hatten. Ich fuhr mehr zufällig schwarz, aber Sonjagün meinte lächelnd, „Ich bringe dir Glück, du brauchst keine Fahrkarte.“ So war es dann auch, die Sonne schien, Venedig zog rechts und links des Canal Grande an uns vorbei und hatte sein Sonntagsgesicht aufgesetzt, niemand kontrollierte die Fahrkarten, und der Vaporetto setzte uns direkt an der Ca’ Rezzonico ab. Wirklich kunstinteressiert war Sonja nicht, was ich an ihrer sprudelnden Beschreibung eines „alten“ Bildes merkte, „total verrückt, was die Leute darauf machen, total verrückt!“ Ich glaube, sie wusste ohnehin nicht ganz genau, warum sie nach Venedig gekommen war. Sie wollte gern Salsa tanzen und hatte gelesen, es gäbe dafür donnerstags ein Lokal in Venedig, aber wo das war und wie es hieß, wusste sie nicht. Wir trafen uns nach getrennten Wegen zum Essen wieder, wo ich erfuhr, dass sie schon zwei gescheiterte Ehen hinter sich hat – und das mit schätzungsweise Ende Dreißig. Offenbar suchte sie in Italien vor allem ein wenig Abenteuer und Abstand von allem. Zuletzt entschied sie aber, zwei Tage früher als geplant zurückzufliegen, zu ihrem Freund nach München, weil der sie ständig anrief und darum bat. „Aber ich weiß nicht, das ist alles noch nicht so ernst mit dem... Wenn der sähe, wie ich Salsa tanze, wäre er total eifersüchtig. Ist halt Türke.“
Dieses war der erste Teil. Fortsetzung folgt in der nächsten Ausgabe. Schalten Sie also wieder ein und seien Sie dabei.

Mittwoch, 17. September 2008

Die Temperamente der Händler

Wer den vorvorletzten und dann diesen Eintrag hier liest, könnte den Eindruck bekommen, ich sei besessen von Verkäufern. Vielleicht bin ich das. Na, und wenn! Es sei! Andere sind besessen von Spielzeugautos oder Plüschelefanten. Und über die kann man lange nicht so viel erzählen wie ich über meine Verkäufer. Also:
Gestern hatte ich innerhalb von weniger als zwei Stunden drei sehr unterschiedliche Begegnungen mit drei sehr unterschiedlichen Verkäufern (zugegeben waren sie auch sehr verschiedene Menschen, aber ich traf sie alle im Handelsumfeld). Jede einzelne ist erzählenswert, und zusammen ergeben sie diese schöne Komödie in drei Akten:
Nach der Arbeit nutzte ich die verbleibende Zeit bis zum Monatstreffen meines Kochclubs und ging zunächst zum Optiker, weil inzwischen meine Brille meine Sehschwäche nicht mehr vollends behebt und ich wissen wollte, ob das normal ist oder ich mir Sorgen machen muss. Der Optiker, ein agiler, schicker Herr mit grauem Haar in den besten Jahren, ging gleich auf Frontalkonversationskurs mit Komplettpaket: plaudern, scherzen, kalauern und flirten. Ich bin da ja durchaus nicht zimperlich, aber da musste ich schon einiges auffahren aus meiner Profikommunikationskiste, um mitzuhalten. Ich arbeitete hauptsächlich mit der Taktik der offenen Tür, ließ ihn einfach reden mit ermunternden Kommentaren hier und da. Und so erfuhr ich einiges über ihn: Triathlet, seine letzten Wettkämpfe, Alter, Wohnort (Sankt Georg, "im Puff"), Mietpreis (seiner Wohnung, monatlich), Lieblingscafé, bevorzugter Supermarkt, Vorname seines Bruders (deckt sich mit meinem Nachnamen). Ich könnte ihn nun nach Herzenslust ausspionieren oder ihm ein Verbrechen in die Schuhe schieben (man kann nämlich Menschen besonders gut beschuldigen oder decken, wenn man möglichst viel über sie weiß, alte Ganovenweisheit). Ich überlege mir noch was. Das mit der Sehschwäche haben wir nicht so richtig beheben können, aber dafür hat er meine Brillenbügel wieder schön festgeschraubt und ich habe eine Menge gelacht, insgesamt war ich also wieder mal sehr zufrieden mit der Händlerleistung.
So beschwingt, ging ich flugs zum Rathaus-Edeka, um nur schnell Zigaretten zu kaufen. Die Zigaretten sind dort - und nur dort, so weit ich weiß - in einem Tante-Emma-ähnlichen Holzregal vor der Nase der Kassiererin gestapelt, man muss entweder vor die Nase der Kassiererin greifen und sich selbst bedienen oder sich von der guten Frau bedienen lassen. Ich sah eine Kassiererin ohne Schlange, steuerte in heiterer Optikerstimmung auf sie zu und sagte lächelnd im Plauderton: "Da komm ich doch gleich zu Ihnen, hab ja sonst nix." Und wumm, wurde ich vom Optikerhimmel auf den Boden der Tatsachen gestürzt. Die Kassierin sagte nämlich original: nichts. Und sie zeigte exakt: keine Reaktion. Sie starrte einfach nur teilnahmslos in meine Richtung. Oh, dachte ich, jetzt bloß nicht die Fassung verlieren, höflich bleiben. "Äh, ich wollte eine blaue Pall Mall, da muss ich dann mal eben so unverschämt an Ihnen vorbei greifen, oder..." Und es passierte: nichts. Sie half mir auch nicht, als die Packung nicht gleich aus ihrem Schacht herauskommen wollte, blickte mich einfach nur teilnahmslos an. "So, dreisechzig kosten die, ne?" versuchte ich es noch einmal. Nee, nix. Sie wartete auf ihr Geld. Und auch das war ihr wahrscheinlich egal, weil's ja eh nicht für sie war, sondern für Herrn Edeka. Ich sagte noch danke und tschüß, was aber wie erwartet keine Reaktion hervorrief. Oha, dachte ich, Lektion des Tages: Herr Fielmann und Frau Edeka haben sich abgesprochen und wollen mir das Prinzip von Yin und Yang beibringen. Okay, muss ich wohl noch mal nachlesen.
Begegnung Nummer drei war dann kurz vor Ladenschluss mit einer mir schon bekannten Verkäuferin in der Marktstraße, Karoviertel. Bei ihr hatte ich vor ein paar Wochen Schuhe gekauft. Die Marktstraße ist eine Art großes Wohnzimmer mit Asphaltschneise, unterteilt in kleine Parzellen voller schicker und mehr oder weniger nützlicher Dinge, wo sich Menschen aller Art treffen, unterhalten und ab und zu einer dem anderen etwas abkauft. Und über allem weht ein leichter Duft von Räucherstäbchen. Ich wollte nach dem Schockerlebnis mit Frau Edeka noch ein bisschen Konsumspaß haben und erinnerte mich an die nette Frau in dem Schuh- und Klamotten-Laden von neulich. Da war ich auch kurz vor Ladenschluss gekommen und hatte ein nettes, kommunikatives tête-à-tête mit der Besitzerin und einzigen Verkäuferin gehabt, die uns zusammen einschloss (nicht die ganze Nacht, nur bis zum fertigen Deal) und mir zwanzig Prozent Rabatt auf ein Paar Schuhe gab. Ich kam also wieder rein, wir begrüßten einander sehr freundlich, und ich stellte gleich meine Sachen ab und zog die Jacke aus, wusste ja, dass es gemütlich wird. Ich glaube nicht, dass sie sich an mich erinnerte, aber sie war trotzdem sehr nett, und wahre Gefühle sind mir in solchen Fällen egal, ich will nur gut bedient werden.
Sie hatte gerade neue Ware bekommen und packte einen großen Karton aus, wobei sie sich über dessen Bauart amüsierte, er war nämlich eine Art Kleiderschrank, mit Stange und aufgehängten Klamotten drin. Ich probierte den einen oder anderen Schuh an, aber ohne rechte Überzeugung. Bei unseren Tätigkeiten plauderten wir ein bisschen. Einmal kamen ein paar Mädels rein, aber das waren keine richtigen Kundinnen, sie interessierten uns nicht weiter und gingen auch nach einer Ladendurchquerung gleich wieder. Und wir waren wieder schön unter uns, meine Verkäuferin und ich. Allerdings war die Rollenverteilung an diesem Tag etwas anders, wie sich bald herausstellte. Ich fand nämlich nicht so recht den Schuh, der meinen Vorstellungen entsprach. Dafür war sie aber ganz begeistert von einer Jacke, die mit der neuen Lieferung gekommen war. Und die stand ihr auch ganz wunderbar, sagte ich ihr. Ich war selbst interessiert an der Jacke und probierte sie an, aber sie spannte etwas zu sehr über meinem Busen. Trotzdem guckte meine Verkäuferin für mich nach, was sie kostete. Zu teuer, dachte ich gleich. Schade. Aber ich blieb trotzdem noch ein bisschen, es war grad so nett und meine Verkäuferin wollte noch ein paar Sachen anprobieren. Als nächstes zog sie die gleiche Jacke in grau an, „das ist aber nicht so deine Farbe“, gab ich zu bedenken. „Stimmt, hab ich auch schon öfter gemerkt, bei meiner Freundin ist das ganz anders, die kann sich vollkommen in Grau kleiden und sieht toll aus, aber ich brauch immer so kräftige Farben.“ Lieber zog sie dann noch den passenden Rock zur Jacke an. „Bohr, der steht dir auch super“, fand ich. Sie mochte auch das Oberteil, das ich gerade trug und ließ sich davon zur Anprobe eines ähnlichen Stücks aus der neuen Kollektion inspirieren. „Aber ich glaub’, mein Stil ist das nicht so, du bist da eher der Typ für“, zweifelte sie vorm Spiegel. „Naja, stimmt schon, das ist ein bisschen zu mädchenhaft für dich“, pflichtete ich ihr bei. „Ich bin die Jacke, oder?“ – „Du bist die Jacke, eindeutig. Die in schwarz. Und ich glaub’, die kaufst du auch.“ Da waren wir uns beide einig, und wir waren nun auch beide sehr zufrieden – sie wegen ihrer schönen neuen Jacke und ich, weil sie ihr so gut stand und ich sie so gut beraten hatte. Sie lud mich dann noch zu einer Neueröffnung ein und gab mir mit auf den Weg, ich sollte doch immer mal wieder reinschauen, sie bekäme auch immer wieder neue Schuhe. Klar, mach ich sowieso.

Montag, 1. September 2008

Doch nicht so mit Technik

In diesem Eintrag geht es nicht nur um Technik, noch nicht einmal nur um Nichttechnik. Es geht auch ziemlich viel um Faulheit, genauer: um Prokrastination, die Lust am Verschieben. Trotzdem finde ich die Technik als Titel ganz schön, so gibt’s für die Männer auch ein bisschen Vorfreude.
Technisches Gerät empfinde ich wie zu erledigenden Papierkram: Alles, was nicht reibungslos funktioniert oder sich nicht quasi von selbst erledigt, versursacht mir körperliches Unbehagen und führt dazu, dass ich versuche, es aus meinem Alltag zu verbannen. Gleichzeitig fühle ich mich aber durchaus nicht hilflos gegenüber zu lösenden technischen Aufgaben und möchte auch gar nicht zu viel Hilfe in diesem Bereich in Anspruch nehmen, da dies meiner Unabhängigkeit und Emanzipation widerspräche. Und prinzipiell ist mein Glaube daran, im Grunde alles zu können, nicht so leicht zu erschüttern. Auf der anderen Seite ist da diese unglaubliche Unlust Dingen gegenüber, die keinen Spaß machen. Beispiel Steuererklärung: Ich verstehe, was man tun muss, um nach einem Jahr der Arbeit Geld zu bekommen, das man zwar verdient hat, das einem aber aus komplizierten Gründen nicht ausgezahlt wurde. Ich kann auch, rein praktisch gesehen, sehr gut Formulare ausfüllen, Additionen – per Taschenrechner – durchführen und vorher gesammelte Unterlagen und Belege zusammenheften. Aber der Wille, Herrgott, der Wille! Der sträubt sich wie ein wildes Pferd. Der findet Formularkram das Unnötigste und Ödeste, womit ein Mensch sich beschäftigen kann. Und da sich ein wildes Pferd nicht einfach von jetzt auf gleich zureiten lässt, lasse ich den Gaul erst mal in Ruhe grasen, vulgo: verschiebe die Steuererklärung. Um einige Wochen, einige Monate, gern ein Jahr, bis sich eben irgendein Finanzamt meldet. Bin in letzter Zeit eh so oft umgezogen, die wissen gar nicht mehr, wo ich bin.
Ähnlich verhält sich mein Wille bei der Aussicht auf, sagen wir, das Installieren eines Druckers oder das Verlegen eines neuen Telefon- und Internetanschlusses. Letzteres wurde bei uns nun nötig. Und meine Mitbwohnerin Maggy und ich ähneln uns sehr in den Wildheiten unseres Willens. Es ist für uns beide die größte vorstellbare Qual, die angehäuften Dokumente auf unseren Schreibtischen zu ordnen, zu sortieren und – GAU – zu bearbeiten. Deshalb tun wir es in der Regel nicht, bis etwas mehr oder weniger Schlimmes uns dazu zwingt (wie etwa eine Mahnung, die den zu zahlenden Betrag um mehr als zwanzig Prozent erhöht). Und wir können beide ganz gut Fahrräder reparieren (Maggy noch besser als ich), aber ich lasse die Handbremse jetzt erst mal baumeln, solange sie nicht verloren geht. Auch wenn es schon stört, dass ich sie samt Gangschaltung beim Fahren die ganze Zeit festhalten muss.
Und nun hatten wir also eine neue Telefon- und Internetflatrate bekommen, die allerdings nur funktioniert, wenn man die dazugehörige Box mit Rooter und Kabeln und Owehlan installiert.
An dem Tag, als die Box kommen sollte, bin ich noch ein bisschen länger in der Stadt geblieben, um nicht allzu früh nach Hause zu kommen. Beim Betreten des Hauses erfüllten sich jedoch meine schlimmsten Befürchtungen: Der Flur war ein Wald aus Kabeln, Rootern, Hämmern, Zangen und Nägeln. Und im Nebenzimmer saß eine rauchende Maggy, die starr und reglos auf ihren Comupter blickte und mich nur mit einem Brummen begrüßte. Das tut sie nur, wenn sie sehr angespannt ist. Ich erfasste sofort den Ernst der Lage und stellte mich auf einen unliebsamen Abend ein, denn ich wusste ja, was zu tun war und tat es auch besser gleich: Ich bot ihr meine Hilfe an. Zu meiner heimlichen Erleichterung ging sie gar nicht richtig darauf ein, sondern murmelte nur irgendwas und starrte weiter verbissen auf den Bildschirm. Denn Maggy hat wie ich den Ehrgeiz, die unangenehmen Dinge, wenn sie schon sein müssen, dann doch wenigstens alleine zu schaffen.
Ich kam denn auch ganz gut weg an jenem Abend; meine Aufgabe beschränkte sich auf das Vorlesen einer sehr kleinen Nummer auf der Rooterrückseite. Das war okay. Nicht so ganz okay ist bis jetzt unsere heimische Telekommunikation. Man kann telefonieren, unter bestimmten Voraussetzungen (zum Beispiel ist es nicht so gut, sich anrufen zu lassen, da kommt die Verbindung oft nicht zustande. Aber man kann zurückrufen). Man kann auch ins Internet, aber nicht mehr über Wehlahn, der is über de Wupper. Die ersten Tage dachte ich, ich sollte mir das auch mal in Ruhe angucken mit der Installation, eigentlich kapier ich sowas immer ganz gut, aber erst mal warte ich, ob’s nicht doch irgendwann von selbst geht. Es ging nicht von selbst, aber wir haben jetzt zwei Kabel statt Owehlan. Ein ganz kurzes, das reicht genau von der Anlage bis zu Maggys Computer und ist eine straff gespannte Stolperfalle in Oberschenkelhöhe. Und ein ganz langes, das ziehe ich, wenn ich ins Internet will, über die Treppe hoch in den ersten Stock, wobei meistens erst mal die Telefonanlage runterfällt. Und hinterher rolle ich es wieder auf und bringe es runter und stecke es hinters Fax (wobei meistens das Fax runterfällt), damit nicht nachts auf dem Weg zum Klo jemand drüber stolpert. Oder sich daran würgt, es hängt nämlich bei Benutzung quer durch den Flur in der Luft. Es soll auch demnächst jemand kommen, der sich mit sowas auskennt. Diese Aussicht finde ich gut und bin solange einfach heilfroh, dass ich nichts machen muss außer ein bisschen aufpassen mit dem Kabel. Früher hat man nämlich auch sehr gut ohne WLAN gelebt. Da wusste man ja gar nicht, was das heißt. Ich dachte erst, das wäre ein türkischer Freundeskreis.
Und noch früher, als der ganze Computerkram gerade anfing, da wusste man noch viel weniger. Man wusste nicht, wie so ein Computer bedient wird. Bei Maggy lief der erste Versuch so: Sie hatte gehört, das sei alles sehr einfach mit so einem PC, man müsse nur ein paar Befehle eingeben und er mache alles, was man wolle. Sie bekam ein älteres Exemplar geschenkt, es war MS-DOS-Zeit. Das war das mit der grünen Schrift vor schwarzem Hintergrund. Maggy war allein, sie fand den Anschaltknopf und sah die grüne Schrift, hatte aber keine Maus gefunden und wusste, dass man die braucht. Also schrieb sie einfach auf der Tastatur: WO IST DIE MAUS? ENTER Als der Computer nicht antwortete und auch sonst nichts tat, versuchte sie es auf Englisch: WHERE IS THE MOUSE? ENTER Wieder keine Reaktion; sie beschloss, die Befehle zu verkürzen: MAUS? ENTER, nichts. Dann also: MOUSE? ENTER
Inzwischen sind wir da alle fixer und schlauer geworden. Ich sage nur noch manchmal zum Blackberry (das heißt, zum Blackberry anderer Leute, ich selbst bin noch nicht so weit) versehentlich Blueberry. Klingt auch irgendwie netter, leckerer. Und am Ende sind mir Sprache und Essen doch wichtiger und angenehmer als Technik.

Montag, 18. August 2008

Der Weg der Schnecke führt ins Haus

... vor allem dann, wenn sie kein eigenes hat. Kann man ja auch irgendwie verstehen.
Ich habe vor kurzem einen neuen Nebenberuf ergriffen: Nacktschneckenforscherin. Mein Betätigungsfeld ergab sich zugegeben eher aus den Umständen denn aus einem brennenden Interesse heraus.
Harburg ist nämlich absolutes Hoheitsgebiet der Nacktschnecken (die eigentlich Wegschnecken heißen, wie meine Forschungen ergeben haben), sie haben hier fast alle anderen Tierarten verdrängt. Selbst die Vögel kommen nicht mehr her, denn die Schnecken schmecken so schrecklich, dass ein Vogel davon nicht leben kann. So ist es also still geworden in meiner Heimat, das geräuschlose Schneckenkriechen wird nur vom Säuseln des Windes untermalt.
Wenn ich mit dem Fahrrad vom Bahnhof nach Hause fahre, muss ich ja diesen endlosen Hügelanstieg bewältigen. Meistens ist mein innerer Schlappschwanz aktiv und ich schiebe den größten Teil. Eigentlich eine ganz meditative Übung, wäre da nicht diese Armada von Nacktschnecken, die mich bei dem meist feuchten Wetter regelmäßig zu einer Rallye komplizierter Ausweichmanöver zwingt. Denn ich schiebe ja anständig auf dem Fußgängerteil des Weges, und da sind auch die Nacktschnecken, die als Quasi-Fußgänger ebenfalls brav die Grenze zum Radweg respektieren. Und ich finde die Vorstellung, eine Nacktschnecke unter meinem Fuß zu zerquetschen, einfach widerlich. Auch wenn mir meine gärtnernden Kollegen einstimmig erklärt haben, man müsse Nacktschnecken mit dem Spaten zerteilen, sonst fräßen sie einem alles weg. Jawohl, liebe Leser, so kriegerisch ist der gern zum Pazifisten stilisierte Gärtner (andererseits fällt mir gerade ein, dass er in Krimis ja oft als Verdächtiger herhalten muss, wenn er's auch dann meistens nicht war).
Ich mache mir um die Nacktschnecken in unserem Garten gar nicht sooo viele Gedanken, da ich den Garten ehrlich gesagt nur zum Sonnenbad und Frühstück im Freien nutze und darin mal eine tote Taube begraben habe, ansonsten dort aber recht wenig tätig werde. Aber etwas anderes bereitet mir Stirnrunzeln: Die Schnecken haben unser Haus erobert. Und zwar, wie sollte es anders sein, mal wieder das invasionsgeplagte Bad im Keller. Zuerst war mir schleierhaft, wie sie dort hinkamen. Es bewegte sich nur eines Tages, und auch tags darauf, eine getigerte (ehrlich, getigert) Nacktschnecke mittlerer Größe auf den Fliesen vor dem Klo. Klar, da war es schön glatt für sie, da konnte sie sich nach Herzenslust zusammen- und auseinanderziehen, was sie auch tat, ungeachtet der Tatsache, dass ich meine Füße vor das Klo stellen wollte aus gegebenem Anlass. Nun finde ich Schnecken nicht so widerlich wie Kakerlaken, aber irgedwie dachte ich doch, Frollein, du gehörst hier nicht hin, Liebelein, und was zum Teufel suchst Du hier überhaupt? Zu Boden gefallene Haare und Hautschuppen, ist es das, was dein Allesfressermagen begehrt? Sie antwortete nicht, sondern zog nur die Fühler ein. War aber so dreist, am nächsten Tag wiederzukommen. Ich glaube, es war tatsächlich dieselbe, oder zumindest ihre Zwillingsschwester. Und noch ein paar Tage später sah ich auch, wie sie hereingekommen war, ich fand dann nämlich ein Exemplar auf dem rauen grünen Rasenteppich im Badvorzimmer (das im Grunde ein bescheidener Kellerraum ist), wo das Fenster offen stand. Alle Achtung, dachte ich, die muten sich ganz schön was zu, um auf die schönen glatten Fliesen zu kommen, der Teppich muss für einen Schneckenleib das reinste Nagelbrett sein. Aber die können so einiges machen mit ihrem Schleim, habe ich bei meinen Recherchen erfahren. Es gibt Schnecken, die können sich an ihrem Schleim von einem Baum abseilen, manche paaren sich sogar in der Luft, nur von einem Schleimfaden am Absturz gehindert. Im Schleim liegt also das Wunder des Lebens dieser seltsamen Tiere begründet. Wenn man mit menschlichem Nasenschleim so viel anfangen könnte, wir alle wollten ständig erkältet sein!
Irgendwann war aber doch Schluss mit meiner Anerkennung: An dem Tag nämlich, als sich eine der dicksten braunen Wegschnecken knapp unterhalb des Badezimmerfensters an der Wand festgesaugt hatte und dort stundenlang nicht wegging. Ich fass die nicht an, dachte ich. Irgendwann hat das dann wohl auch jemand für mich gemacht, die Schnecke war weg, aber sie musste gewaltsam von der Wand gerissen worden sein, denn übrig geblieben waren sowas wie zwei Saugnäpfe. Vielleicht waren das auch ihr After und ihr Mund, jedenfalls muss der Schnecke jetzt was fehlen, sofern sie noch lebt, denn das klebt nach wie vor an unserer Badezimmerwand. Vielleicht möchte das ja eine andere Schnecke essen. Die Damen und Herren fressen sich nämlich auch gegenseitig, habe ich erforscht und selbst beobachtet. Also, liebe Nacktschnecken: Es ist angerichtet und inzwischen bestimmt so gut wie ein richtiger Parmaschinken, schön luftgetrocknet und gereift, noch keine 16 Monate, aber vielleicht mögt ihr ja nächstes Jahr wiederkommen.

Montag, 4. August 2008

Der gute Verkäufer

Ich bin wohl, was mein Konsumverhalten angeht, etwas altmodisch. Ich habe mich vom Fernsehen abgewendet, als die Programmansager abgeschafft wurden. Ich muss, wenn die Marktforschung mich anruft, bei jeder zweiten Frage "null" oder "gar nicht" angeben, weil ich das Produkt oder die Sendung nicht kenne. Ich besitze keine Dinge von Wert außer meinem Laptop. Wenn mir jemand am Telefon etwas verkaufen will, um das ich nicht gebeten habe, werde ich kalt wie Eis und hart wie Krupphusten. Dennoch gibt es eine marktwirtschaftliche Instanz, in deren Händen ich zu Wachs werde: Menschen, die mit Leib und Seele Händler sind.
Auf den dringenden Rat meiner Mutter wollte ich mir schon seit Wochen ein orthopädisches Nackenstützkissen kaufen. Man braucht sowas als Schreibtischarbeiter, wirklich. Nicht jeder kann sich schließlich einen eigenen thailändischen Masseur leisten, und deshalb sollte man wenigstens im Schlaf etwas für die geplagten Schultern tun. Meine Mutter hatte mir aber eingeschärft, nicht mehr als vierzig Euro dafür auszugeben, denn das sei nicht nötig. Und gern hört man auf seine Mutter, wenn es darum geht, das Leben und Liegen angenehmer zu gestalten. Ich schaute mich also auf meinen Wegen durch die Geschäftswelt um nach orthopädischen Nackenstützkissen zum Preis von höchstens vierzig Euro. Ein Laden auf meinem üblichen Weg zur Arbeit war mir dafür als geeignetes Ziel aufgefallen, ein Matratzengeschäft. Bei meinem mehrmaligen beiläufigen Hineinschauen im Vorbeifahren (ich wollte mich nicht zu leicht ködern lassen) hatte ich tatsächlich eine Reihe orthopädischer Nackenstützkissen im Eingangsbereich des Geschäfts entdeckt. Aber die für Spione wie mich angenehm groß gestalteten Preistafeln kündeten von Fehlanzeige: Fünfen bis Siebenen an erster Zahlenstelle, das ging also nicht. Da ich aber auch nirgendwo anders auf orthopädische Nackenstützkissen stieß, wagte ich es doch eines Tages, meine Schultern schmerzten mal wieder von der ungesunden Schlafhaltung, vom Fahrrad abzusteigen und es zunächst möglichst langsam an dem Laden vorbeizuschieben. Dabei äugte ich so angestrengt aber beiläufig wie möglich auf die Auslage mit den orthopädischen Nackenstützkissen. Und da! Runtergesetzt! 39, 90! Nix wie das Fahrrad abgeschlossen und rein also.
Ich mag es ja nicht, von Verkäufern gleich beim Betreten eines Geschäftes bedrängt zu werden. Zum guten Handel gehört, wie ich finde, ein anfängliches beidseitiges Beobachten und Einschätzen zwischen Händler, Kunde und Ware. Dann erst kann der Händler vorsichtig versuchen, das Interesse des Kunden für eine bestimmte Ware zu kanalisieren bzw. zu verstärken. In jenem Fall war der Verkäufer gerade noch mit anderen Kunden beschäftigt, was mir sehr zupass kam, denn ich wollte mir auf keinen Fall etwas aufschwatzen lassen, sondern das heruntergesetzte orthopädische Nackenstützkissen für 39,90. Mit ebendiesem in der Hand und gezücktem Geldbeutel stellte ich mich also direkt an die Kasse und wartete geduldig.
Am Blick des Verkäufers, der schließlich auf mich zugeschlendert kam, erahnte ich jedoch schon, dass ich so einfach nicht dort weg käme. Mit der Andeutung eines Lächelns musterte er mich und die Ware in meiner Hand. Ich versuchte einen festen, seriösen Blick aufzusetzen. Und doch wusste ich schon, dass er mich und meine Schwäche für gute Verkäufer durchschaut hatte, bevor er seinen einleitenden Satz ausgesprochen hatte: „Sooo, Sie habbesisch also e Kisse ausgsucht.“ Mensch, e Hesse, versuchte ich nicht zu denken, so weit oben! „Wissese denn schon, obss Rischtische is?“ – „Och ja, dann kann man ja nicht so viel falsch machen“, gab ich mich betont locker. Er lachte kurz spötttisch auf, seiner Stärke gewiss, und befahl mir, zum Probeliegen mitzukommen. Fix nötigte er mich auf eine Matratze und schob mir das ausgesuchte Stützkissen unter. Man fühlt sich da ja schon recht ausgeliefert auf einer Matratze in einem Bettengeschäft liegend, das Gesicht des Händlers etwa anderthalb Meter über dem eigenen. „Un?“, fragte das Gesicht. „Öh, ja, geht doch“, meinte ich unsicher. „Tss“, macht das Gesicht nur wieder mit feinem Spott und tippt mir ans Kinn, das fast auf meiner Brust liegt, „wollese mim Kinn aufde Brust schlafe?!“ Er vermutet völlig richtig, dass ich das eigentlich nicht will, sondern nur meine letzte Barriere des Kundenstolzes aufrechterhalten möchte und fügt hinzu, dass dieses Kissen nämlich eher eins für Herren mit Boxerstatur sei, also mit unglaublich breiten Schultern und Nacken wie Stiere. Ich überlege noch, warum denn sowas überhaupt als Standardmodell hergestellt wird, schließlich hat auch der durchschnittliche Mann selten die Statur eines Boxers, da schiebt er mir schon sein Lieblingsmodell unter, „Vilona Visco“, das ist viel dünner als das Boxerkissen und aus Latex. In der Tat fühle ich sofort, wie sich meine Wirbelsäule glättet und ich wesentlich komfortabler liege, das kann nur gesund sein. Meint mein Verkäufer offensichtlich auch, besonders nachdem er mich kurz auf die Seite gerollt und gesehen hat, dass auch in der Position meine Wirbelsäule schön gerade liegt.
Damit ist es vorbei mit meinem Widerstand, das wissen wir beide. Es schockt mich dann auch kaum noch, dass Vilona Visco nicht 39,90, sondern 60 Euro kostet, und die warnende Stimme meiner Mutter in meinem Hinterkopf ist fast verstummt. Nein, ich finde alles super, freue mich auf meinen gesunden Schlaf und lasse mir noch ein bisschen auf Hessisch erzählen, dass der Herr Händler diese Woche sehr viele Überstunden gemacht hat und dass er weit weg wohnt von seinem Geschäft. Und den Bezug kann ich bei 60 Grad waschen, ist doch prima. Ich schlafe übrigens sehr gut auf dem Kissen und habe in der gleichen Woche noch ein Kleid gekauft, das so teuer war wie überhaupt nur ein einziges Kleidungsstück aus meinem Bestand zuvor. Und im Rücken hat es auch noch ein großes Loch. Absichtlich natürlich, wegen sexy und so. Die Verkäuferin war einfach klasse.

Dienstag, 22. Juli 2008

Hereinspaziert, die Herren Einbrecher!

Zuhaus in Harburg führt von der Küche eine Tür direkt in den Garten. Das ist schön, denn man kann dort sitzen und frühstücken und dabei hinausschauen oder sich bei gutem Wetter auf die Treppe setzen und schon im Garten sein, mit Blick auf Flieder und Rhododendron.
Diese Tür ist allerdings schon seit Monaten kaputt und wird einfach nicht von allein wieder ganz, im Gegenteil fördern das Voranschreiten der Zeit und die gelegentliche Benutzung ihren Verfall, wie sollte es auch anders sein. Bis gestern ging sie seit gut zehn Tagen gar nicht mehr auf. Man musste durch die Garage in den Garten, dumm. Seit gestern aber steht sie offen und geht gar nicht mehr zu. Und heute Abend hing ein Zettel dran, genauer gesagt ein wiederverwerteter Briefumschlag von der GEZ, auf dem handschriftlich steht: "Achtung! Diese Tür bitte nicht schließen!" In Ordnung, habe ich gedacht. Aber dann fiel mir auf, dass der Zettel von außen drangeklebt war. Das heißt also, er ist gar nicht in erster Linie für mich bestimmt, sondern für Leute, die vom Garten aus reinkommen. Und das kann ja bei einem nichtöffentlichen Garten nur eine Gruppe Menschen sein: Einbrecher. Es ist ja nämlich auch so, dass die Garage, über die man auch den Garten erreicht, ebenfalls immer für jeden zu öffnen ist, sie lässt sich nicht abschließen. Wir haben es hier also mit einem der seltenen Beispiele echter Konsequenz zu tun: Wer bei uns einbrechen will, dem steht jeder Weg außer der Haustür offen, er muss dann nur bitte die Tür zum Garten nach getaner Arbeit auch offfen stehen lassen, da sie sonst noch kaputter geht. Kommt ihm vielleicht ganz gelegen, hat er doch wahrscheinlich einen dicken Sack mit Beute zu schleppen.
Ich habe ja eigentlich keine Angst vor Einbrechern, solange sie nicht kommen, während ich zu Hause bin und mich fesseln und/oder verprügeln. Viel mehr Angst hatte ich immer schon vor all den dunklen Fabelwesen, die da draußen lauern und des Nachts reinkommen können, wenn man nicht aufpasst (und Tür auflassen heißt nicht aufpassen). Ich finde auch, die Einbrecher dürfen hier ruhig reinkommen, ich würde alles abgeben außer meinem Laptop. Den bitte stehen lassen, Herr oder Frau Einbrecher. Alles andere hier ist zwar leider wertlos, aber vielleicht finden Sie ja doch etwas Schönes oder wollen ein bisschen fernsehen, wir haben ein hübsches Fernsehzimmer. Aber bitte: Laptop stehen lassen und Gartentür nicht schließen. Und bitte nicht kommen und mich fesseln und/oder verprügeln, wenn ich da bin. Dann habe ich keine Angst und Sie einen lauen Job. Ansonsten hoffe ich nur, dass der Hund auch bei dunklen Fabelwesen anschlägt.

Dienstag, 15. Juli 2008

26.7.: unbedingt hören kommen!

Liebe Freunde, vor allem Fründe, es ist so weit: Septentryo wird live erfahrbar. Für das einmalige Erlebnis einer Bloglesung, und zwar nur von diesem Blog (gespickt natürlich mit ein paar Überraschungsgimmicks), solltet ihr euch den 26.7. (wunderbarerweise ein Samstag) vormerken und unbedingt vor 21 Uhr ins Kölner Kuen, Kuenstr. 9 in Köln-Nippes (www.kuenkneipe.de), kommen. Denn da geht's ab! Wie immer gibt's natürlich gute Musik dazu. Bitte weitersagen, wenn ihr schon nicht selbst kommt.

Montag, 7. Juli 2008

Schieb ordentlich, Mann!

Ich weiß nicht, ob das außer mir noch jemandem auffällt. Aber folgende Beobachtung häuft sich seit geraumer Zeit: Es gibt ja immer mehr Männer, die Kinderwagen schieben. Sogar türkische Männer, habe ich anerkennend gesehen. Allein oder mit Frau, die darf nebenher laufen und ein Eis schlecken oder trägt das zweite Kind in ihrem Tragedings. Bis hierhin alles prima. Die vielbeschworenen neuen Väter scheinen sich vom Diktat der Männlichkeit emanzipiert zu haben und benutzen ihre naturgegebenen Bärenkräfte, um Charmepunkte zu sammeln und der ebenso, wenngleich auf andere Art emanzipierten Frau unter die Arme zu greifen.
Aber, mit Verlaub: So richtig gut finden das Schieben, glaube ich, die wenigsten. Und wisst ihr, Väter, woran frau das merkt? Ihr schiebt nur mit einer Hand! Und telefoniert dabei zuweilen noch mit der anderen! In der Regel ist es sogar so, dass ihr den Kinderwagen gar nicht mittig vor euch her schiebt, sondern seitlich neben ihm her lauft, während die, sagen wir, linke Hand den rechten Griff des Wagens schiebt und die rechte des Telefon ans Ohr hält. Keine Frau würde je ein solch absurdes und noch dazu das Kindeswohl gefährdendes Verhalten an den Tag legen! Stellt euch nur vor, während ihr schräg rechts hinter dem Kinderwagen herlauft, telefoniert und mühsam mit einer Hand den Wagen auf Kurs zu halten versucht (was gar nicht so einfach ist), kommt von schräg links vorne ein aggressiver Dreijähriger pfeilschnell auf seinem Bobbycar dahergebraust und rammt in voller Absicht das Gefährt eures zarten Pflänzchens Nachwuchs. Natürlich ist der Gehweg leicht abschüssig, dazu recht schmal und grenzt an eine stark befahrene Straße. Der lächerliche rechte Griff wird euch aus der schwachen linken Hand gerissen, die Rechte weiß nicht wohin mit dem Telefon, der Buggy gerät ins Schleudern, euer Kind schreit in Panik, es kann sich nicht befreien, schleudert unaufhaltsam der Straße entgegen, von hinten hupt es, ihr wollt euer Kind retten, stürzt aber bei dem Versuch über den mit offenem Mund glotzenden Dreijährigen auf seinem Bobbycar... Wir wollen das Szenario nicht weiterspinnen; das hier ist wie Lola rennt, jeder darf sich ein passendes Ende aussuchen.
Nachdem nun endlich mal jemand ausgesprochen hat, was für fatale Folgen euer sorgloses Verhalten haben kann, kommen wir zur psychologisch tieferen, da gesellschaftspolitisch relevanten Dimension des ganzen: Warum verhaltet ihr euch so? Doch wohl kaum, um eine Hand frei zu haben. Auch nicht so sehr, weil ihr wirklich dringend telefonieren müsstet. Und schon gar nicht, weil es in irgendeiner Weise bequemer oder rückenschonender wäre, mit nur einer Hand zu schieben. Nein, liebe Herren der Schöpfung, in Wirklichkeit verhält es sich doch so: Ihr wollt bei dieser eigentlich typisch weiblichen Tätigkeit des Wagenschiebens möglichst lässig aussehen und bloß nicht so bescheuert, wie ihr euch dabei fühlt. Weil ihr eben doch noch nicht so ganz eins seid mit der beidgeschlechtlichen Emanzipation. Im Grunde Eures Herzens denkt ihr doch oft ein wenig ängstlich an all die FHM-Leser, die euch so sehen und sagen könnten, oh Mann, den hat die Alte aber ganz schön unter der Knute, der bringt ihr wahrscheinlich abends noch den Tee gegen Menstruationsbeschwerden ans Bett!
Und um wenigstens äußerlich solchen Imagetodesurteilen vorzubeugen, möchtet ihr das Ganze möglichst als von euch mit links ausgeführte Begleiterscheinung "der Umstände" erscheinen lassen, die euch aber keinesfalls erfüllt, schon gar nicht mit Freude oder Ähnlichem. Aber seid gewarnt: Es könnte euch so ergehen wie dem jungen Inder, der neulich - ganz gegen die Tradition seiner Kultur und seines Geschlechts - auf dem Weg aus dem U-Bahnschacht einen leeren Kinderwagen (natürlich mit einer Hand) vor sich herschob und sich sichtlich uncool dabei fühlte. Es war ja noch nicht mal was drin, das er als sein Erzeugnis hätte bezeichnen können. Und auf der Treppe ins Freie wollte er den Wagen so was von lässig mit einer Hand über die Schulter schwingen, dass dieser nicht nur in hohem Bogen die Treppe wieder hinunterflog, sondern dabei auch noch Passanten verletzte und den Inder mehrere Stufen mit sich riss. Wollt ihr das?
Ich kann euch nur raten: Macht's hundertprozentig! Ein bisschen schwanger ist ja auch nicht, genauso wenig ein bisschen Vater sein oder ein bisschen Kinderwagen schieben. Nur ein ordentlicher Schieber ist auch ein ordentlicher Kerl.

Donnerstag, 3. Juli 2008

Kein Tag ohne Kakerlak

Hiermit eröffne ich die ersten offiziellen crazy Kakerlakentage. Sie dauern ewig und jeder, wirklich jeder, kann mitmachen. Wenn die Zuschriften so üppig sind wie bei den anderen Mitmach-Posts hier, muss ich wohl anbauen, ich seh's schon kommen. También son bienvenidas las cucarachadas. Als Vorlage von mir also das

Lied vom khakifarbenen Kakerlaken (zum Mitsummen):

Als ein kranker Kakerlak
ganz khakifarben in der Kacke lag
worüber er sehr wohl erschrak,
(es war ein Kaiserkakerlak,
daher der Khaki-Farbauftrag)
sagte er sich: "Shit happens",
kakelte noch kurz mit einem Krak
und tauchte ab -
um ihn geklagt
hat niemand.

Mittwoch, 18. Juni 2008

Schön beim Augenarzt

Mein Augenlicht schwindet zunehmend. Und es ist noch lange keine Altersweitsichtigkeit, sondern Maturitätshornhautverkrümmung. Das ist insofern ziemlich blöd, als ich einfach nicht so gut sehe wie manche Menschen und ständig Sehhilfen tragen muss. Es hat mir aber andererseits einen wunderbaren Besuch bei Frau Hoppe beschert.
Frau Hoppe ist Augenärztin, und ich bin zu ihr gegangen, weil meine Augen wieder schlechter geworden sind. Ihre Praxis liegt, von außen nicht erkennbar, in einem schönen Gründerzeithaus im Hamburger Univiertel. Kein Schild weist draußen darauf hin, dass Frau Hoppe hier Augen untersucht, nur an der Klingel ist ein ganz kleiner verwaschener Pfeil angemalt. Die Tür und die Dielen knarren, wenn man eintritt. Ganz links in einem versteckten Räumchen sitzt eine grauhaarige Frau mit Haaren auf den Zähnen, das ist die Sprechstundenhilfe, die einzige. Während sie meine Personalien aufnimmt, betrachte ich die uralten augenmedizinischen Geräte, die aus wer weiß welcher Universitätssammlung geklaut und hier aufgestellt wurden. Vieles davon ist sicher über hundert Jahre alt. Im Wartezimmer sitzt außer mir nur ein älteres Ehepaar, auf dem Tisch liegen Fotozeitschriften, englische Kinderbücher aus den sechziger Jahren, Comics. Und an den Wänden das Beste: wunderschöne, professionell gemachte Bilder von Venedig und Griechenland. Auch eine überlebensgroße Tigerkatze; ich könnte schwören, die ist Griechin. Unter einem Stuhl an der Wand gegenüber steht ein ganz kleines, ganz altes Radio, das Klassik spielt. Ich finde es gleich klasse hier. Da werde ich auch schon aufgerufen und muss in einen kleinen Nebenraum, wo schon eine Frau steht, die auf einen Stuhl weist. Ich will ihr die Hand schütteln, vielleicht ist das schon Frau Hoppe, aber sie nimmt meine Hand nicht, sondern sagt: "Nein, ich bin's noch, von eben." Ach ja, die grauhaarige Frau mit Haaren auf den Zähnen. Sie will nur meine Krümmung messen. Ach so, denke ich, nee, dann wärs ja auch idiotisch, wenn wir uns hier die Hand schütteln würden. Fühle mich gleich furchtbar unprofessionell.
Dann gehts wieder zurück ins Wartezimmer, ich höre noch ein bisschen Klassik und gucke Venedig, und schon bald darf ich zur richtigen Frau Hoppe. Die ist so, wie man sein will als Frau um die Fünfzig: schlicht, dabei nicht unattraktiv, sehr gelassen, mit einer Spur trockenen Humors in vielem, was sie sagt. Ihre Guckmaschine macht sie nicht sauber, bevor ich meine Stirn dran lege; okay, denke ich, mischt sich eben mein Schweiß mit dem anderer. Sie guckt und probiert durch, wie das so ist mit meinem Sehvermögen. Als wir die richtige Stärke gefunden haben, gibt sie mir einen Auszug aus einem Buch, ich schätze, ein deutscher Spätromantiker, und bittet mich, laut vorzulesen. Das kann ich gut, ich fühle mich wie bei der Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule und lese ganz toll vor, aber bald schon nimmt Frau Hoppe mir meinen Text weg und sagt: "Prima, Sie kommen ja trotz ihrer starken Hornhautverkrümmung auf hundert Prozent!" Das finde ich zwar schön, aber ich hätte auch gern noch ein bisschen weiter vorgelesen. Dann fragt sie mich, ob ich denn wirklich eine neue Stärke wolle oder ob mir das nicht eigentlich egal sei. Komisch, denke ich, deshalb bin ich doch hier und dafür sind Sie doch da, um mir eine neue Stärke zu geben. Ich sage, dass ich das schon schön fände mit der neuen Stärke, weil ich ja beim Autofahren die Schilder immer erst so spät lesen kann und beim Arbeiten oft meine Augen brennen. "Gut, dann schreib ich's Ihnen auf." Das ist nett, denke ich und finde, es ist an der Zeit, dass wir jetzt mal richtig ins Gespräch kommen. Ich frage sie, ob sie die Bilder gemacht hat. Hat sie und freut sich, dass sie mir gefallen. Prima, dann können wir uns ja jetzt richtig schön über Venedig unterhalten, denn mir scheint, wir haben da eine gemeinsame Leidenschaft, Frau Hoppe! Aber irgendwie kommt das Gespräch nicht so richtig ins Rollen, Frau Hoppe wirkt nicht so, als sei sie zum Plausch mit mir verabredet. Irgendwie ist sie eher dabei, mich zu verabschieden. Aberaber, Frau Hoppe, wir müssen uns doch unterhalten, denke ich verzweifelt, ich finde Sie doch so toll und wir haben so viel gemeinsam, ich bin Ihre Reinkarnation, Frau Hoppe, ich liebe Sie, wir sind seelenverwandt, und es interessiert Sie einen Scheißdreck?! Aber Frau Hoppe bleibt hart, unerbittlich weist sie mir den Weg zur Tür. Im Hinausgehen werfe ich ihr einen schmachtenden Blick und ein verzweifelt-hoffnungsvolles "Ich komme wieder!" zu, um dann wie im Rausch aus dem Haus zu stürmen. Gott, war das schön, denke ich auf der Straße. Ich werde einen Grund finden, wieder zu ihr zu gehen, das weiß ich. Und wenn sie mich wieder wegschickt, werde ich mich einfach unter ihren Balkon stellen und so viele Schwalben, gefaltet aus Werken venezianischer Maler, zu ihr hochschicken, bis sie mich einfach lieben muss.

Montag, 9. Juni 2008

Wut am schwarzen Montagmorgen

Mein Gott, hat das lange gedauert mit dem neuen Eintrag. Ich hoffe, ihr seid noch alle da. Könnte verstehen, wenn nicht. Irgendwann verliert man ja doch die Lust. Für die, die noch dabei sind, hier nun, Entschuldigung im Voraus, ein Eintrag mit ziemlich viel negativer Emotion. Und dabei geht es noch nicht mal um Fäkalien.
Es ist nun einmal so: Ein Kind, das müde ist, bekommt schlechte Laune und fängt irgendwann an zu weinen. Der Erwachsene fängt nicht so schnell an zu weinen, aber er bekommt auch nicht selten schlechte Laune, wenn er müde ist, und er tut etwas, was noch viel schlimmer ist als Weinen: Er sucht einen Schuldigen, oder etwas Schuldiges, für seinen Unmut. Da viele Erwachsene montags besonders müde sind (denn sie sind, bis auf die eingefleischten Lerchen, nach dem Wochenende aus ihrem Wochenschlafrhythmus heraus), heißt der Montag im Volksmund (der auch nicht immer Gold in sich hat) oft blauer Montag. Da hat man den Blues. Man hat das Gefühl, alles gehe schief, da man zu unausgeschlafen ist, um die Dinge in ihre rechte Bahn zu bringen. Und immerhin macht man, statt sich an ethnischen Minderheiten zu vergreifen, etwas dafür verantwortlich, das sich faktisch nicht greifen lässt und dem also niemand Schmerz zufügen kann: Man schiebt es auf den Wochentag, diesen miesen, kleinen Scheißer.
Mir kam allerdings der heutige Montag viel mehr schwarz als blau vor, rabenschwarz fing er an. Fuckin' shitty black monday, unfortunately without blackcurrant flavour, which would have been surprisingly sweet in comparison to that. Schon dass ich überhaupt aufstehen und arbeiten musste, war eine Frechheit, das mache ich auch nur fürs Castro-Spezial, cien por Castro, könnte eine revolutionäre Gruppe sein, oder? Cien por Cienfuegos wäre natürlich noch besser.
Nachdem ich mich also mit größter Mühe aus dem Bett geschält und ins Bad geschleppt hatte, passierte tatsächlich das Schlimmste: Es kam kein warmes Wasser aus der Dusche. Ich wartete Minuten, aber vergebens. Kalt brauste das Wasser auf meine Füße, den Rest des Körpers hatte ich wohlweislich in Sicherheit gebracht. Wirklich: Wenn ich eines nicht ertragen kann, ja hasse, dann sind das kalte Duschen bei weniger als 35 Grad Celsius Umgebungstemperatur. Und es hatte weiß Gott weniger als 35 Grad im Bad heute Morgen. So schäumte ich denn auch vor Wut und Verzweiflung, schrie heulend meine stumme und unbelebte Umgebung an: "Ich will nicht kalt duschen! Ich will einfach nicht kalt duschen!!" Aber der Heizkessel war zu lange inaktiv gewesen und meine Haare einfach zu fettig, ich hatte keine Wahl. Und die allergrößte Folter ist ja das kalte Brausewasser auf dem Kopf. Das konnte ich auch nur unter lautem Schreien ertragen. Als ich endlich weinend der Dusche entstieg, fühlte ich mich durchaus nicht richtig schön erfrischt und aufgeweckt, sondern völlig durchgefroren.
Und an solchen Tagen bleibt es ja nicht bei dem einen Unglück, oder jede Misslichkeit erscheint einem gleich als eine sich immer weiter spinnende Unglückskette. Als ich mein Zimmer lüften und wenigstens die schöne Morgensonne reinlassen wollte, ging das Fenster nicht mehr auf. Am Tag zuvor hatte es sich noch problemlos öffnen lassen. Noch so ein Ding, das mir heute Böses will, dachte ich mir und frühstückte lieber. Im Sitzen befiel mich sogleich wieder bleierne Müdigkeit, vielleicht auch noch als Folge der erlittenen Erfrierungen.
Dann auf dem Fahrrad, mit Wind und Sonne im Gesicht, konnte ich dennoch nicht umhin, mich etwas besser zu fühlen; immer noch müde, aber doch etwas leichtmütiger. Sogar ein kleines Liedchen summte wie von selbst in meiner Kehle, als wollte es mich von dort drinnen necken.
Mensch Fidel, dachte ich bei mir, für dich mach ich das alles hier, kämpfe an einem blauschwarzen Montagmorgen gegen die Welt und mich selbst. Dabei bin ich gar nicht so einverstanden mit dir und deinen Taten. Und deine Revolution, die hätte ich auch nicht mitgemacht. Dafür bin ich viel zu empfindlich. Obwohl, bei kubanischen Temperaturen könnte ich immerhin ab und zu kalt duschen...

Montag, 19. Mai 2008

Freier Tag mit Brille im Klo und mittags Langusten

An meinem heutigen freien Tag hatte ich ziemlich viel Körperkontakt mit Fäkalien. Nicht willentlich, sondern gezwungenermaßen, versteht sich.
Es fing damit an (nein, eigentlich fing es nicht damit an, es fing vielmehr schon gestern an, aber dazu später), dass die Sonne heute morgen so schön schien. Und da es mein freier Tag war, hab ich mich erst mal schön mit Zeitung und Sonnenbrille, ohne viel Kleidung in den Garten gesetzt. Das war auch ganz wunderbar. Irgendwann musste ich aber aufs Klo, mein Stoffwechsel ist morgens eins a. Pardon, dass ich solche Details andeuten muss, sie dienen aber hier der Anschaulichkeit: Da die Sonnenbrille für drinnen zu dunkel ist, setzte ich sie mir ganz keß auf den Kopf auf dem Klo, und da ist sie mir natürlich beim Aufstehen ausgerechnet nach hinten runtergefallen, direkt in die Schüssel - abgezogen hatte ich noch nicht. Die Sonnenbrille ist mit Stärke und deswegen durchaus keine Wegwerf- oder Abziehbrille. Was blieb mir also übrig als der Griff ins Klo. Waren ja immerhin meine Fäkalien und das Waschbecken direkt daneben. Aber gern macht man sowas nicht. Ich habe mir trotzdem erlaubt, es hier zu erzählen, weil es ja schließlich auch in dem schönen Film Brot und Tulpen gleich zu Anfang eine Szene gibt, in der die Protagonistin ganz Ähnliches durchleben muss. Kunst ist Kunst (übrigens habe ich, wie's der Teufel will, heute beim Stöbern auch Ferreris Das große Fressen als DVD entdeckt, aber vom Kauf abgesehen).
Irgendwann bekam ich trotz des Exkrementeerlebnisses Hunger. Vom gestrigen Kochclubessen (da hatte es nämlich im Grunde angefangen) hatte ich noch jede Menge Paella und Langusten übrig. Also, eigentlich heißen die hierzulande gar nicht Langusten, sondern Gambas, aber für mich sind es spanische Langostinos a la plancha. Streng genommen also Langüstchen, oder Langüsteken, wie der Niederrheiner wohl sagen würde. Langusten habe ich für den Titel gewählt, weil es sich so schön und mediterran anhört. Die Gambas oder Langüstchen habe ich dann also schön mit ajoleo, mit Knoblauch und Olivenöl, gebraten, dazu eine Prise Kräuter der Provence. So hatte ich es mal bei irgendeinem Fernsehkoch gesehen (und das war, ich schwöre, das einzige Mal, dass ich einem Fernsehkoch zugeschaut habe). Dieser Koch hatte die Tiere allerdings vorher gehäutet und ausgeweidet, ich fand sie schöner ganz. Hinterher ist mir aber aufgegangen, dass das mit dem Ausweiden gar keine so schlechte Idee ist, denn macht man es nicht, hat man zwar den Spaß des Knackens und Pulens vor dem Essen, aber die Tiere haben ja auch alle mal was gegessen, und deshalb haben sie auch einen Darm. Der liegt direkt unter ihrer Rückenhaut und ist, wie sollte es anders sein, voll mit Meeresaa (ein seltenes Wort mit zwei Doppelvokalen). Und man bekommt ihn in der Regeln in die Finger, wenn man das Tier entschalt hat; er lässt sich aber im gegarten Zustand kaum noch herauslösen, ohne dass der Inhalt sich über Tier und Hände verteilt. Gut, könnte man sagen und habe ich mir gesagt, solange sie zu Lebzeiten in keine Ölpest geraten sind, ist das ja alles Natur pur, aber man muss sich doch mal vor Augen führen, was wir da im Glauben, eine Delikatesse zu verspeisen, in der Regel mitzuessen in Kauf nehmen: Exkremente! Alle größeren Tiere werden vor dem Verzehr ausgeweidet, nur Schalen- und Weichtiere werden dabei wohl allzu oft übersehen. Oder habt Ihr etwa immer Eure Weinbergschnecken und Gambas vor dem Genuss entdarmt? Werden die in Asien und Afrika sehr beliebten Heuschrecken und Käfer etwa ausgeschlachtet, bevor sie geröstet und als Exotikfastfood feilgeboten werden? Ich gebe zu, all das sind nicht die gängigsten Nahrungsmittel, aber irgendwann hat vermutlich jeder von uns schon mal Aa gegessen.
Je mehr ich darüber nachdachte, desto weniger schmeckten mir die Langusten, die ich höchstens noch als olle Krabben empfand. Gleichzeitig erschien mir mein Tun auch plötzlich sehr barbarisch: Da reißt man einem Tier, das man zuvor am ganzen Leib in heißes Öl geworfen hat und das einen noch aus toten, seltsam ausdruckslosen Augen anguckt, erst den Kopf und dann die Beine ab, um es dann vollends zu häuten. Und schließlich verspeist man es mitsamt seinen Eingeweiden.
Nach der vierten Schlammguste brach ich ab. Seitdem ist mir ein bisschen schlecht. Das liegt bestimmt an dem vielen Langustenaa. Gott, im Herzen bin ich doch ein echter Vegetarier. Oder sogar Veganer. Pflanzen haben wenigstens keinen Darm.

Montag, 12. Mai 2008

Guten Tag, Herr Kakerlak

Ich liebe Südamerika. Nicht nur wegen der schönen Landschaft und der tollen Stimmung, sondern auch wegen der mutigen Männer dort. So ein Latin Macho ist doch noch ein richtiger Kerl. Zumindest, was den Umgang mit sechs- bis achtbeinigen Krabbeltieren angeht. Egal, ob Kakerlaken, Spinnen oder andere, sich unserem europäischen Benennungshorizont entziehende Spezies sich ins Zimmer eingeschlichen haben (bzw. sie prinzipiell dort wohnen, wo unsereins sich einschleicht): Ich sage einem männlichen Wesen in greifbarer Umgebung Bescheid, und er macht’s weg, ohne mit der Wimper zu zucken. Da brauche ich mich in meinen Ekel gar nicht groß hineinzusteigern. Einmal hatte ich in Brasilien eine Zecke in der Achselhöhle, und weil ich mich so geekelt habe, bin ich ins örtliche Krankenhaus gegangen (war mehr so eine Bretterkneipe mit Ambulanz, sehr kleiner Ort) und habe, zur Erheiterung der Anwesenden, mein Problem geschildert, mit erhobenem Arm. Und ein älterer Herr, der einfach nur so da rumsaß in dem Vorzimmer, wahrscheinlich weil’s kühler war als draußen, ist einfach aufgestanden und hat das Tier rausgezogen. Zack. Und geschmunzelt. Und ich dachte: Was für ein Mann!
Hierzulande ist frau mit solchen Problemen auf sich gestellt. Ich zumindest kenne hauptsächlich Männer, die sich mindestens genauso viel vor gewissen Tierchen ekeln wie ich selbst. Und in meinem Hamburger Zuhause wohnt ja gar kein Mann. Dafür ein Kakerlak, unten im Bad. Er ist da natürlich nicht allein, es ist ein altes, sicher nicht überall ganz dichtes Haus und das Bad liegt im Keller. Nachbarn des Kakerlaken sind etliche Spinnen und immer mal wieder ein paar Silberfischchen. Aber die Spinnen sind in der Regel so klein, dass ich sie unter ungefährlich abhaken kann, und die Silberfische kommen nur manchmal kurz aus ihrem Versteck, um die Lage zu peilen und verabschieden sich dann meist schnell wieder. Aber dieser Kakerlak, das ist ein ganz schlimmer. Führt sich auf wie der König des Kellers und weigert sich zu sterben.
Bei unserer ersten Begegnung habe ich ihn erst gar nicht erkannt, ich saß nämlich ohne Sehhilfe auf dem Klo und er saß auf dem Badewannenvorleger in zwei Metern Entfernung; ich hielt ihn für Dreck oder einen großen Flusen. Gut, dass ich meine Brille aufsetzte, bevor ich weitere Schritte unternahm, denn unterm Glas nahm der Flusen plötzlich Gestalt an und wurde zu diesem schwarzen Vieh! Blitzschnell kalkulierte ich meine Verteidigungs- und Rettungschancen und kam zu dem Schluss: Okay, du bist allein, niemand kann dir jetzt helfen, das hier ist ganz allein dein Ding. Und mit einem lauten „You are not welcome!“ nahm ich den Schrubber und fegte ihn erst mal an den Badewannenrand, trieb ihn in die Enge. Und dann, ich gestehe es, schlug ich ein paarmal mit dem Schrubber auf das Objekt meines Ekels ein, aber mit der Borstenseite. Als ich vorsichtig nachsah, lag der schwarze Krieger reglos am Boden. Ich wagte es nicht, die Leiche aufzuheben und zu entsorgen, daher fegte ich sie erst mal ein Stück weit hinter den Schrank, so dass sie wenigstens aus meinem Blickfeld verschwand. Endlich konnte ich in Ruhe meine Nachttoilette beenden.
Der findige Leser wird aber schnell – und richtig – vermuten, dass die Geschichte hier nicht zu Ende ist: Am Tag darauf war die Leiche auf seltsame Weise verschwunden. Mir schwante Schlimmes, ich versuchte aber, nicht zu viel drüber nachzudenken. Bis noch einen Tag später wer quietschfidel den Badewannenrand entlangspaziert? Richtig, der liebe Herr Kakerlak.
Zuerst überlegte ich, ihn einfach zu ingnorieren, mich ganz Herrin der Lage zu geben. Aber der kleine Schweinehund legte es offensichtlich auf Konfrontation an, er bog von seinem Weg ab und kam direkt auf mich zu. „Na gut, du willst es nicht anders“, warnte ich ihn und holte den Besen. Diesmal versuchte ich nicht, ihn zu erschlagen, sondern fegte ihn so geschickt in die Ecke zwischen Schrank und Badewanne, dass er nicht nur aus meinem Wirkungsbereich verschwand, sondern auch hilflos auf dem Rücken liegen blieb. Grausam, aber da ließ ich ihn zappeln. Verletzung fremden Herrschaftsgebiets muss bestraft werden, das wissen wir seit der jüngsten Andenkrise. Wieder führte ich dann meine Toilette zu Ende und versuchte, nicht an das strampelnde Etwas am anderen Ende des Raumes zu denken. Als ich mich aber zum Gehen wandte, kreuzte zu meinem Entsetzen ein schwarzer, unverwüstlicher Ninjakämpfer auf sechs Beinen meinen Weg. Dass er mich nicht frech angrinste, war alles. In der Hoffnung, dass er mir nicht auch dorthin folgen würde, verließ ich fluchtartig das Bad und rettete mich in mein Zimmer. Dort überlegte ich: Ich habe einen Territorialkonflikt mit einem Kakerlaken. Ist ein Territorialkonflikt nicht im Grunde auch ein Beziehungsproblem? Gerade wenn die Beteiligten nicht des anderen Sprache sprechen, reduzieren sich persönliche Probleme schnell auf die reinen Besitzverhältnisse. Vielleicht müsste ich also einfach ganz offen mit ihm über das reden, was mich an ihm stört. Aug in Aug fällt mir sowas immer schwer, deshalb entschied ich mich für die Briefvariante, da kann man die Worte sorgfältig abwägen und der andere unterbricht einen nicht dauernd. Und so schrieb ich auf feinem Büttenpapier einen Brief an den Feind in meinem Bad, auf einem ganz kleinen Blatt in klitzekleinen Buchstaben, damit er hinterher nicht behaupten könnte, er habe Schwierigkeiten beim Lesen gehabt. und diesen Brief werde ich ihm unten in seine Ecke stellen, dorthin, wo ich ihn schon zweimal tot oder todgeweiht zurückgelassen geglaubt hatte. Ich gebe den Wortlaut hier wieder:

Werter Herr Kakerlak,
ich weiß mir nicht mehr anders zu helfen als mit diesem Brief an Sie. Ich kann verstehen, wenn Sie nicht gut auf mich zu sprechen sind, Sie haben in der Tat allen Grund dazu. Auch Hass Ihrerseits könnte ich nachvollziehen. Aber lassen Sie mich, bevor Sie diese Zeilen blind vor Wut in Stücke reißen, meinen Standpunkt erklären:
Es tut mir Leid – zumindest vom moralischen Standpunkt her gesehen – dass ich versucht habe, Sie umzubringen. Zweimal wollte ich Sie töten, und das mit einiger Brutalität, und zweimal sind Sie wie ein frecher Phönix aus der Pottasche flugs wieder auferstanden. Vielleicht hinken Sie nun ein bisschen, aber bestimmt haben Sie noch genug Manneskraft übrig, um viele kleine Kakerlakenkinder zu zeugen. Erfreuen Sie sich daran!
Denn ich versichere Ihnen, Herr Kakerlak: Meine Absicht, Sie zu töten, entsprang durchaus keinem Tötungswunsch aus einer perversen Lust an der Sache, sondern vielmehr einer sehr persönlichen, zutiefst menschlichen, vielleicht speziell weiblichen Schwäche: Sie sind mir zuwider. Dabei anerkenne ich Ihr Recht auf Existenz, letztlich auch das auf Grund und Boden, denn wir sind Teil einer Schöpfung und bewohnen denselben Planeten. Doch ich bitte Sie mit allem nötigen Respekt, diese meine eine Forderung zu akzeptieren: Ich will Sie nicht mehr sehen. Ich will Ihr Dasein nicht mehr sinnlich erfahren. Leben Sie meinethalben weiter Ihr Leben dort unten in dem Kellerraum, der mir als Bad dient, aber verschonen Sie mich in Zukunft mit Ihrem Anblick. Verstecken Sie sich einfach, wenn ich da bin, vielmehr ziehen Sie sich zurück, machen Sie von mir aus ein Nickerchen oder essen Sie still einen Silberfisch, was auch immer, aber sorgen Sie bitte dafür, dass meine Augen nicht mehr in Ihr mir zutiefst widerwärtiges Antlitz blicken müssen. Dann, Herr Kakerlak, können wir uns auf unserem gemeinsamen Territorium (zu dieser Konzession bin ich immerhin bereit) vielleicht zu unser beider Zufriedenheit arrangieren. Anderenfalls seien Sie gewarnt, dass ich auch zu drastischeren Schritten bereit sein werde. Bewaffnete Vertreter meiner Spezies – wir nennen sie Kammerjäger – werden nicht ruhen, bevor von Ihnen nur noch ein Häufchen Staub übrig ist, das sich kinderleicht unter den nächsten Teppich kehren lässt.

In Erwartung Ihrer Reaktion verbleibe ich mit freundlichen Grüßen,

Ihre Frau Nölle

Dienstag, 6. Mai 2008

In Tüddelchen mit dem Tüdelband rumtüddeln

In Hamburg wird oft und gern getüddelt (oder getüdelt, je nach Neigung), und zwar auf vielerlei Art. Mir ist das auch schon widerfahren, ich wurde sozusagen ordentlich dürchgetüddelt. Nun fragt sich natürlich der gemeine Rheinländer: Was ist hier passiert? Oder auch: Waddisdattenn?! Dann wollen wir mal nicht so gemein sein zum gemeinen Rheinländer und ihn aufklären.
Leider kann ich das Folgende nur unzureichend sekundärliterarisch belegen, ich habe nämlich meinen dtv-Atlas Deutsche Sprache nicht zur Hand, der ist im Rheinland (nä, wat is dat Reimen schön). Ich kann also keinen rechten Aufschluss über den etymologischen Ursprung des Objektes meiner heutigen Betrachtungen geben (werde das bei Gelegenheit vielleicht noch nachreichen, sonst bleibe ich selbst am Ende als Philologin unzufrieden), habe dafür aber einige populärwissenschaftliche Quellen zum Thema parat.
So wie in Köln dat Trömmelsche jeht, rennt der Jung mit’m Tüdelband durch das kulturelle Gedächtnis der Hamburger, anner Hand ’n Bodderbrod mit Kees. Und wenn er sich mal wehtut, indem er mitm Dassel opn Kantsteen rasselt, macht ihm das nichts, is nämlich n Klacks für son Hamburger Jung. Das Lied kennt jeder richtige Hamburger, so schreibt die ZEIT, und so versicherten es mir meine beiden Kollegen, als wir neulich das Tüdelthema erörterten. Und als ich den Test mit Maggy machte, konnte sie es auch gleich vorsingen, die These scheint also durchaus haltbar. Nun interessierte mich ja weniger der Jung als die Tüdelei an sich, denn so kamen wir bei besagter Gelegenheit drauf: Es regnete mal wieder, nachdem noch Minuten zuvor die Sonne geschienen hatte, und mit einem Blick aus dem Fenster meinte meine Kollegin S. kopfschüttelnd: „Is doch tüddelüddel!“ Ich musste erst überlegen, um zu verstehen (das kommt ja in den besten Kreisen vor), war mir doch diese Verwendung der beiden bedeutungsschwangeren Silbchen neu. Für mich konnte man bis dahin nur tüddelig sein, und das auch im Rheinland, wenn ich nicht irre, oder etwas vertüddeln, dies aber doch eher hier im Norden. Aber nun war zum Tüddel noch ein Lüddel gekommen, und das Wetter sollte so sein, bestehend aus einem Sonne-Wolkenmix. Yepa. Ich wollte dann wissen, ob es sich nun korrekt mit zwei d tüddelt (wie es sich anhört) oder mit einem. Da ist man sich in Plattexpertenkreisen durchaus nicht einig. Dafür bekam ich spontan ein wenn auch unzusammenhängendes Tüdelband- (wir einigten uns auf diese Schreibweise) Ständchen. Und ich fragte, was denn ein Tüdelband sei. „Na, ein Tüdelband, einfach so’n Tüdelband“, erklärte mir S., aber da fragte ich mich dann weiter, wie denn ein einfaches Tüdelband, das in meinem Kopf einfach keine Gestalt annehmen wollte, Schuld daran sein könne, dass jemand mit’m Dassel auf den Kantsteen rasselt. Dank unseres recherchestarken Arbeitsumfelds konnte die Sache geklärt werden, und der plattmaster.de und andere Internetquellen erklären’s auch noch mal zum Mitschreiben: Tüdelband heißt eigentlich Faden oder Seil, und das Tüdelband aus dem Lied müsste eigentlich Trudelband heißen, ist es doch „´n iesern Band vun´n höltern Fatt“, also ein Trudelreifen. Ist als Spielzeug ein wenig aus der Mode gekommen und deshalb vielleicht nicht mehr allen präsent, aber vielleicht mag ja der eine oder andere mal seine Großeltern fragen, sofern es die noch gibt, oder das Familienalbum mit Bildern aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts konsultieren. Fazit ist jedenfalls, dass sich da jemand ein bisschen vertüddelt hat bei der Namensgebung.
Aber wie es so ist mit Murphy’s Law, ein Tüddel kommt selten allein, und wenn man einmal von ihrer Existenz weiß, verfolgen sie einen überall. Kurz darauf sprach ich nämlich mit Maggy über Generationenprobleme, und sie erzählte mir von der großen Spaltung nach dem 68er-Aufbruch, „da waren die Tüddelchen Politischen und die Tüddelchen Feministinnen und so weiter, und die einen konnten mit den anderen nich, und man musste sich auf jeden Fall abgrenzen.“ Auch hier dauerte es eine Weile, bis ich begriff: Die Politischen, die Feministinnen, die Esoteriker und all die anderen hatten zumindest auf der Metaebene gemeinsam, dass sie in Anführungszeichen standen. Und Tüddelchen ist so ein heiterer Begriff auf der ansonsten eher trockenen Metaebene, da erscheinen die verhärteten Post-68er-Fronten doch gleich etwas freundlicher.
Ganz nebenbei stellt sich hier wieder die Frage der Generationenzugehörigkeit: Ist Maggy eine 68erin, weil oder obwohl sie vor allem beim Verhärten und Aufweichen der 68er-Fronten mitgewirkt hat? Bin ich eine Golferin, obwohl niemand aus meiner Familie jemals einen Golf besessen hat und ich sieben Jahre jünger bin als Florian Illies, ich aber dennoch früher Nutellabilder gesammelt und alle drei Moderatoren von „Wetten, dass?“ miterlebt habe?
Wer legt fest, wann eine Generation, die einen Namen hat, beginnt und wann sie aufhört, Mitglieder aufzunehmen? Zur Not, als eine Art Trost auch für die Angehörigen einer „Generation Garnischt“, könnten wir uns alle an einem Ort treffen: In Tüddelchen.

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